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Glitzer-HorrorWarum es mich wahnsinnig macht, für meine Tochter Klamotten zu kaufen

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Ballspielen im Tüllkleid - muss das denn sein?

Wenn ich für meine dreieinhalbjährige Tochter Klamotten kaufen muss, dann bringt mich das zur Verzweiflung. Dabei ist mein Wunsch bescheiden: Ich will einfach nur funktionstüchtige Kleidung in normalen Farben finden. Ein geradezu lächerliches, unmögliches Unterfangen, wie sich regelmäßig herausstellt. Denn in der Mädchenabteilung handelsüblicher Klamottengeschäfte überrollt mich ungefragt eine wahre Rosa-Glitzer-Tüll-Attacke. Ein Schritt hinein und ich bin im Prinzessinnen-Horrorland. Dann höre ich sie lachen, die Elsas und Lillifees, weil sie längst wissen, wie aussichtslos mein Vorhaben ist.

Ein schlichter Pulli ohne Herzchen? Fehlanzeige!

Grundsätzlich habe ich ja wirklich nichts gegen Pink. Und ich gehöre auch nicht zu der Fraktion, die ihrer Tochter um keinen Preis der Welt ein mädchenhaftes Outfit anziehen würde. Ich bin aber für echte Wahlfreiheit. Und das ist etwas, das in der Mädchen-Sektion garantiert schwierig ist. Neulich habe ich versucht, einen schlichten Pulli zu finden - ohne Herzchen, ohne Babykatze, ohne Tüllapplikationen. Fehlanzeige. Was soll mir das als Mutter sagen? Mädchen ziehen sich eben so an? Ist doch süß!?

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Wo sind die Mädchen? Schon in der Kita werden durch die Kleidung Geschlechterunterschiede deutlich.

Es geht hier selbstverständlich um ein wichtiges und sehr viel komplexeres Thema: um Geschlechterrollen. Und die Frage, wie sie in unserer Gesellschaft vermittelt werden. Die Klamottenindustrie spielt ihre eigene Rolle in der Verbreitung eines gewissen Rollenbildes. Wie Mädchen und Jungs sich anziehen, das ist den Firmen vermutlich gleich – man könnte sagen: Hauptsache ungleich. Denn beim Gender Marketing geht es vor allem um eins: mehr verkaufen. Wenn Kindersachen sich durch Farbe oder Form eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen, dann kann der kleine Tim unmöglich die Sachen der großen Hanna auftragen, ja noch nicht einmal ihr pinkes Laufrad übernehmen.

Der Tenor, der hier automatisch mitschwingt, ist dennoch deutlich: Mädchen sollen zart, elegant und niedlich sein. Und auf jeden Fall anders als Jungs. Und dabei zeigt sich doch gerade bei Kita-Kindern noch deutlich, dass ihre Leidenschaften und Interessen - malen, bauen, im Sand spielen, erkunden, klettern - so ähnlich sind. Und zwar unabhängig davon, ob sie Jungs oder Mädchen sind.

Wollen Eltern ihre Mädchen wirklich in Ballkleider stecken - oder nehmen sie, was angeboten wird?

Jede Familie muss natürlich selbst entscheiden, welches Geschlechterbild sie unterstützt und vermittelt. Und auch, welche Kleidung die Kinder tragen sollen. Aber ich frage mich an dieser Stelle schon, ob es tatsächlich so viele Eltern gibt, die ihr Mädchen ständig in zarte gelbe Kleidchen mit Pailletten stecken wollen? Oder kaufen sie einfach das, was angeboten wird - und haben vielleicht längst kapituliert?

Was mich bei den angebotenen Mädchenklamotten noch stört, ist die fehlende Funktionalität. Hautenge Jeans mit komplizierten Knöpfen, Shirts in fast transparentem Stoff, knappe Hotpants, bauschige Kleidchen – das ist einfach keine angemessene Kleidung für den Kinderalltag. Meine Tochter verbringt nämlich ihre Tage nicht auf einer Kita-Misswahl und sie trinkt auch bestimmt nicht den ganzen Tag Tee mit Prinzessinnen. Sie lümmelt und tobt, rennt und klettert. Sie braucht dafür robuste Klamotten, die sie schnell selbst ausziehen kann, wenn sie mal muss, mit denen sie nicht hängen bleibt, wenn sie über die Rutsche steigt und die nicht sofort zerreißen, wenn sie mal auf den Knien bremsen muss.

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Feenkleider mit Flügeln sieht man in der Kita inzwischen nicht mehr nur an Karneval.

Natürlich gibt es sie, diese funktionstüchtigen Kinderklamotten. Aber für diese Neutralität muss man zahlen. Wer nämlich solide Kinderkleidung in schönem Design und dezenten Farben sucht, der muss dafür richtig tief in die Tasche greifen. Und selbst wenn man sich das leisten kann, ist die Frage, ob sich diese Investition lohnt, wo Kinder doch so schnell aus allem wieder herauswachsen.

Der soziale Gender-Druck fängt früh an

Viele Mädchen-Eltern werden jetzt zu Recht einwenden: Aber meine Tochter, die WILL immer rosa Röcke, kitschige Leggins und Haarreifen, da kann ich nichts machen! Ja, auch diese Erfahrung ist mir nicht fremd. Meine Tochter hat auch jüngst moniert, sie möge jetzt aber kein Dunkelblau mehr, sondern lieber Lila – wie die anderen Mädchen. Der soziale Druck fängt früh an. Weil eben (fast) alle Mädchen irgendwann nur noch typische Mädchenklamotten tragen, wird das zum Standard und zum Credo. Und plötzlich fällt das Mädchen mit dem schlichten Pulli auf. Und wir sprechen hier noch über Kita-Kinder. Wie es dann weitergeht, ist bekannt.

Ich lande nach einer Runde in der Mädchen-Ecke auf jeden Fall immer irgendwann völlig frustriert in der Jungsabteilung. Da gibt es auch neutrale Motive. Das ist natürlich möglich und immer eine Option – aber muss das sein? Und ganz ehrlich: Auch hier prangt inzwischen auf jedem zweiten Shirt ein Spiderman- oder Star-Wars-Druck. Jungs müssen eben Helden sein, oder? Mein kleiner Sohn jedenfalls braucht mit knapp zwei Jahren sicher kein Helden-Shirt. Die Klamotten seiner großen Schwester kann er aber auch nicht mehr lange anziehen, wenn das mit der Glitzer-Invasion so weiter geht.

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