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„Im OP die ganze Zeit nur geweint“Wenn Väter bei der Geburt traumatisiert werden

Lesezeit 6 Minuten
Geburtshelferin bei der Arbeit im Kreißsaal

Geburtshelferin bei der Arbeit im Kreißsaal

Es gibt Frauen, die nach einer dramatischen Geburt traumatisiert sind. Auch die Partner leiden unter den Folgen – darüber gesprochen wird kaum.

Nach 100 Stunden im Krankenhaus stand Bernd Roschnik im März 2021 auf dem Krankenhausparkplatz. Er war geschockt. Und allein. Seine Frau und sein soeben geborener Sohn mussten noch in der Klinik bleiben. Er durfte nicht bei ihnen sein. Schließlich setzte er sich ins Auto und fuhr nach Hause. Fahrtüchtig sei er nicht gewesen, aber sein Stolz habe ihn davon abgehalten, jemanden um Hilfe zu bitten. So erzählt es der 32‑Jährige heute. Die Geburt seines Babys sei für ihn traumatisch gewesen, sagt er.

Wenn eine Geburt besonders schwierig verläuft, wenn es zu einem Notkaiserschnitt kommt oder wenn eine Frau gar Gewalt im Kreißsaal erlebt, kann bei der Mutter ein Trauma entstehen. Bislang gibt es dazu nur wenig Daten und Forschungserkenntnisse. Forschende der Psychologischen Hochschule Berlin fanden in einer Untersuchung, deren Ergebnisse bislang noch nicht veröffentlicht sind, heraus, dass von 1079 befragten Frauen 38 Prozent körperliche Gewalt erlebt haben.

Gemeint ist damit zum Beispiel ein grober Umgang mit der Gebärenden bis hin zu schmerzhaften Eingriffen, wie dem sogenannte Kristellern, wenn die Hebamme oder die Ärztin mit großer Kraft auf den Bauch der Gebärenden drückt, oder ein ungewollter Dammschnitt. 29 Prozent der befragten Frauen erlebten psychische und verbale Gewalt: abfällige Bemerkungen, Beschimpfungen, Drohungen.

Manche werden auch lächerlich gemacht. Ein Grund dafür ist die Personalsituation auf den Geburtsstationen sowie die Überlastung von Hebammen und Ärztinnen und Ärzten. Je schlechter die Betreuung einer Frau ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu medizinischen Eingriffen und Übergriffen kommt, so die These von Expertinnen und Experten. Welche Folgen traumatische Geburten für Väter haben, ist noch weniger erforscht.

„Reiß dich zusammen, und sei ein Mann“

„Be quit and men up“ – zu Deutsch „Reiß dich zusammen, und sei ein Mann“ – heißt etwa eine Studie aus England. Darin gaben die befragten Väter an, ihre Rolle als Mann so zu verstehen, dass sie nicht über ihre Erfahrung bei der Geburt zu sprechen haben. Auch schätzten sie die Folgen des Traumas bei ihren Frauen stärker ein als bei sich selbst. Bei einer weiteren Studie beschrieb über die Hälfte der Teilnehmer außerdem, dass sie während der Geburt glaubten, ihr Kind oder ihre Partnerin könnten ernsthaft verletzt werden oder sogar sterben. Außerdem gaben 22 Prozent der befragten Väter an, Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu zeigen.

Dazu gehören Flashbacks, Albträume, Panikattacken oder auch eine erhöhte Reizbarkeit oder Aggressivität. Als die Fruchtblase von Bernd Roschniks Partnerin platzte, fuhren sie direkt in die Klinik. Doch dort angekommen, setzten tagelang keine Wehen ein. Schließlich wurde die Geburt mit Medikamenten eingeleitet. Und selbst als die Kontraktionen endlich da waren, ging es nicht voran. Schließlich verkündete die Oberärztin, das Kind könne nicht auf natürlichem Wege kommen, und kündigte einen Kaiserschnitt an.

Plötzlich riesige Angst

Roschniks Frau bekam den Aufklärungsbogen zum Unterschreiben. Darin stand, dass es erhebliche Komplikationen geben könne. Dazu gehören zum Beispiel schwerste innere Blutungen, was zur Entnahme der Gebärmutter führen kann. Diese möglichen Folgen eines Kaiserschnittes stehen standardmäßig auf jedem dieser Aufklärungsbögen, doch das direkt im Kreißsaal zu lesen, hatte für Roschnik heftige Folgen.

Auf einmal war da diese riesige Angst, dass seine Frau oder das Kind sterben könnten. Eine Möglichkeit, an die der werdende Vater zuvor nie gedacht hatte. Tanja Sahib arbeitet seit über zwanzig Jahren mit Müttern und Vätern, die traumatische Geburten erlebt haben. Die Traumatherapeutin kennt viele solcher Geschichten wie die von Bernd Roschnik. Wenn die Frauen lebensbedrohlich gefährdet seien, hätten viele Männer ähnliche Gedanken wie Bernd Roschnik, sagt sie.

„Im OP habe ich die ganze Zeit nur geweint“

Während des Kaiserschnitts saß Bernd Roschnik am Kopfende der Liege, auf der seine Frau lag. „Im OP habe ich die ganze Zeit nur geweint.“ Er war überfordert, mit seiner Kraft am Ende. Voller Sorge beobachtete er das Ruckeln und Zerren, mit dem die Ärzte versuchten, das Baby aus dem Bauch der Mutter zu holen. Sein Sohn hatte seinen Kopf während der Geburt so gedreht, dass er im Geburtskanal feststeckte. Als er endlich geboren war, der nächste Schreck: Er schrie nicht und wurde sofort zur Untersuchung in ein anderes Zimmer gebracht. Heute geht es dem Jungen gut, direkt nach der Geburt war das nicht klar. Erst der Vater, später die Mutter durften den Sohn nur kurz sehen.

Kurz darauf wurde seine Frau auf die Wochenbettstation verlegt, sein Sohn kam auf die Neonatologie. Und Bernd Roschnik musste gehen. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen durfte er nicht auf die Wochenbettstation. In den Tagen danach sahen sie sich nur einmal täglich im Vorraum der Wochenbettstation. Kritik am romantisierten Bild von Geburt Roschnik kritisiert das romantisierte Bild von Geburt in der Gesellschaft. „Ich möchte, dass etwas vom Rosaroten um die Geburt schwindet“, sagt er.

Er plädiert für ehrlichere Informationen über das, was passieren kann. Ihm sei damals nicht klar gewesen, dass eine Geburt normal beginnen und dann im Notkaiserschnitt enden könne. Und die riesige Macht- und Hilflosigkeit habe ihn kalt erwischt. In den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt habe er dann vor allem funktioniert, sagt er. Und doch spürte er deutlich, dass es ihm nicht gut ging. So reagierte er beispielsweise oft aggressiv und wütend auf seine Frau.

Hebamme mit Baby im Arm

Die Geburt von Babys kann für manche Eltern belastend sein.

Überwältigende Ereignisse können vielseitige Folgen haben – und nicht jede führt zu einem Trauma im klinischen Sinn oder zu einer PTBS. „Es gibt auch viele weniger schwere Formen der Belastung, etwa wenn Väter sehr niedergeschlagen sind und depressive Verstimmungen entwickeln“, sagt Eberhard Schäfer, der im Berliner Väterzentrum Väter und Paare berät.

Schäfer rät Männern, sich schon vor der Geburt eines Kindes mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass sie in stressige Situationen kommen können. Auch ein Geburtsvorbereitungskurs, an dem beide teilnehmen, ist wichtig. Sowie auch, dass sich das Paar genau überlegt, wie ihre beiden Rollen im Kreißsaal aussehen sollen. Mithilfe eines Geburtsplans können Frauen ihre Vorstellungen für die Geburt besprechen und Väter diese dann bei der Geburt vertreten. „Der wichtigste Satz für einen Mann unter der Geburt an seine Frau gerichtet, ist: Willst du das?“, sagt Traumatherapeutin Tanja Sahib.

Berater: „Reden hilft“

Nach einer schwierigen oder gar lebensgefährlichen Entbindung sollten Väter über das Erlebte sprechen, mit der Partnerin, der Hebamme, einem Freund oder auch Fachleuten in Beratungsstellen, sagt Eberhard Schäfer. Den Männern in seiner Beratung sagt er: „Es kann sein, dass es dir nicht gut geht, wenn dein Kind geboren ist. Wenn das passiert, bist du kein Depp und kein Versager. Und Reden hilft.“ Bernd Roschnik begann schließlich eine Gesprächstherapie, um das Erlebte zu verarbeiten. Die Therapie hilft ihm dabei zu verstehen, wie es ihm geht und welche Bedürfnisse er hat.

Gemeinsam mit seiner Frau, die selbst unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Flashbacks, Schlafstörungen und Panikattacken leidet, ging er außerdem zur Paartherapie und zum Elterncoaching. In der Paartherapie hat er gelernt, dass seine Aggression auch eine Folge der schwierigen Entbindung war – und eine Folge seines Schweigens. „Das ist nichts, was man über Nacht versteht“, sagt er. „Man wacht ja nicht plötzlich auf und sagt: Ach ja, das war eine traumatische Geburt.“