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Keine Stiko-Empfehlung mehrIst eine Corona-Impfung für unser Kind trotzdem sinnvoll?

Lesezeit 6 Minuten
Ein Kind wird in den Oberarm geimpft

Gesunden Kindern empfiehlt die Stiko keine Impfung gegen Corona mehr. Aber es gibt Situationen, in denen der Piks für sie dennoch sinnvoll sein kann.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt gesunden Kindern nun keine Covid-19-Impfung mehr. Gilt das wirklich für alle Kinder?

Die Covid-19-Impfempfehlung für gesunde Kinder ist gefallen. So einige Familien stehen nun vor der Überlegung: Wollen wir dennoch den Piks fürs Kind? Auf die Frage, wie sinnvoll der fürs gesunde Kind sein kann, gibt es keine pauschale Antwort. Es ist eine Abwägungsfrage, bei der vor allem auch das Gespräch mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin für mehr Klarheit sorgen kann.

„Wenn man von der allgemeinen Impfempfehlung der Stiko abweicht, was man im Einzelfall durchaus tun kann - dann wird das immer eine individuelle Entscheidung sein, die auf vielen unterschiedlichen Faktoren beruht“, sagt Prof. Reinhard Berner. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums Dresden.

Verläufe unter Omikron fallen fast immer mild aus

Aber von vorn: Bei den Impfempfehlungen der Stiko steht eine Überlegung im Mittelpunkt: Wie groß ist der Nutzen, den der Piks hat? Schwere Verläufe, Krankenhausaufenthalte, Intensivstation und Tod vermeiden - dafür ist die Impfung, so Berner, gemacht worden. Seitdem sich die Omikron-Varianten durchgesetzt haben, hat sich der Nutzen der Impfung für gesunde Kinder allerdings deutlich verringert.

Der Grund: „Kinder erkranken unter Omikron-Varianten nur selten schwer - noch seltener als unter den vorherigen Varianten“, sagt Prof. Tobias Tenenbaum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana Klinikum Berlin-Lichtenberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn es um das Entzündungssyndrom PIMS geht. Nach Beobachtung von Tenenbaum kommt es unter Omikron bei Kindern so gut wie gar nicht mehr vor - anders als noch bei der Deltavariante. Was dazukommt: Viele Kinder haben bereits Kontakt mit dem Coronavirus gehabt und eine gewisse Immunität aufgebaut.

Übrigens: Dass die Stiko gesunden Kindern keine Impfung mehr empfiehlt, heißt nicht, dass sie aktiv von der Spritze abrät. Es bestünden „keine Sicherheitsbedenken bei der Impfung von gesunden Kindern und Jugendlichen“, schreibt die Kommission.

Impfempfehlung für Kinder mit schweren Vorerkrankungen

Aber wie lautet denn nun die neue Empfehlung der Stiko, wenn es um Kinder geht? Eine Covid-19-Impfung empfiehlt die Stiko Kindern ab sechs Monaten, die ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben. Dazu zählt ein Kind mit einer schweren neurologischen oder neuromuskulären Erkrankung, das im Rollstuhl sitzt. Oder ein Kind mit einer chronischen Erkrankung der Lunge oder der Nieren. Oder mit einer Immunschwäche, einem angeborenen Herzfehler oder einer Trisomie 21. In der aktuellen Impfempfehlung listet die Stiko auf, bei welchen Erkrankungen eine Impfung empfohlen wird.

„Von solchen Kindern wissen wir, dass sie bei Covid-19, aber eben auch bei der Influenza oder anderen Virusinfektionen ein hohes Risiko haben, ins Krankenhaus - oder gar auf die Intensivstation - zu müssen“, sagt Berner. Eine Covid-19-Impfung kann dieses Risiko deutlich senken. Laut Empfehlung der Stiko sollten Kinder mit solch schweren Erkrankungen eine Grundimmunisierung erhalten. Sie kann sich entweder aus drei Impfungen zusammensetzen oder aus zwei Impfungen und einer Corona-Infektion.

Anschließend rät die Stiko zu einer jährlichen Auffrischungsimpfung. Sie sollte in einem Abstand von mindestens 12 Monaten zur letzten Infektion oder Impfung stattfinden, optimalerweise im Herbst.

Auch Eltern sollten Impfschutz prüfen

Für Kinder mit schweren Grunderkrankungen ist eine Impfung also weiterhin wichtig. Und in solchen Familien kann es laut Tenenbaum durchaus sinnvoll sein, dass auch die Eltern ihren Impfschutz noch einmal prüfen. Übrigens nicht nur gegen Corona, sondern zum Beispiel auch gegen Masern.

„Bei einem Kind mit einer schweren Immunschwäche im Rahmen einer Knochenmarktransplantation etwa, wirken Impfungen nicht gut“, sagt Tenenbaum. Denn ihr Immunsystem spricht schlechter auf die Impfung an. Schützt sich also das Umfeld möglichst gut, schützt das am Ende auch das erkrankte Kind mit.

So bewertet es auch die Stiko: Die Impfempfehlung umfasst auch Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von Menschen, bei denen durch eine Covid-19-Impfung „vermutlich keine schützende Immunantwort erzielt werden kann“. Auch ihnen rät die Stiko zu einer Grundimmunisierung und einem jährlichen Piks zur Auffrischung.

Was bei leichteren Erkrankungen gilt

Aber was gilt für das Kind, das ein leichtes Asthma hat oder eine Neurodermitis? Für die Stiko, so Berners Einschätzung, zählen sie zu den gesunden Kindern.

„Ein Kind, das eine normale Teilhabe am Leben hat, das sich ganz normal körperlich beim Sportunterricht oder im Sportverein belasten kann - ein solches Kind hat kein Risiko, eine schwere Covid-19-Infektion zu erleiden“, sagt er. Damit falle es nicht unter die Indikation der Stiko.

Die Hoffnung, einen Infekt zu ersparen

Auch wenn erst mal der Sommer ansteht - schon jetzt rechnen einige Eltern damit, dass in Herbst und Winter wieder zahlreiche Krankheitserreger in den Kitas und Schulen umhergehen. Wäre die Impfung nicht ein Weg, dem Kind wenigstens einen Infekt zu ersparen?

„Das ist ein verständlicher Gedanke“, sagt Berner. Aber er blickt nicht ganz ohne Skepsis darauf. Denn es gebe viele, viele Viren, die sich der Nachwuchs in der Kita auflesen könnte. „Die Frage ist: Wäre es überhaupt sinnvoll, gezielt zu versuchen, eine einzelne Infektion zu verhindern, die noch nicht einmal einen schweren Verlauf macht?“, sagt er. „Oder ist es nicht viel sinnvoller, dass sich - wie bei vielen anderen Atemwegsinfektionen auch - eine natürliche Immunität aufbauen kann?“

Denn seiner Einschätzung nach ordnet sich das Coronavirus nun ein in die „unendliche Vielfalt der unterschiedlichen Atemwegsviren, die es jeden Winter gibt“.

Dazu kommt: Dass sich das Kind eine Corona-Infektion mit Husten, Schnupfen und Fieber zuzieht und ein paar Tage zu Hause bleiben muss - davor schützt die Impfung laut Berner nicht zuverlässig. Eltern sollten an den Piks daher besser nicht die Hoffnung heften, ihrem Kind einen Infekt ersparen zu können.

Fremdschutz kann eine Überlegung sein

Bei der Überlegung, ob Eltern ihr gesundes Kind impfen, geht es aber vielleicht nicht allein um den Nachwuchs. Vielleicht steht bei dem Großvater bald eine Krebstherapie an, die das Immunsystem enorm schwächen wird. Auch hier greift die Empfehlung der Stiko, dass enge Angehörige von Immunsupprimierten einen ausreichenden Impfschutz haben sollten. Das können auch Kinder oder Jugendliche sein.

Eltern sollten laut Tenenbaum aber wissen, dass auch ein geimpftes Kind wie auch die geimpften Eltern sich infizieren und damit andere anstecken können. Das Risiko lässt sich zwar durch die Impfung senken - vermeiden lässt es sich aber nicht.

Impfung im Herbst oder zu Winterbeginn

Wenn sich Familien für den Piks fürs Kind entscheiden - wann sollte er am besten stattfinden? Die Stiko empfiehlt den Piks vorzugsweise im Herbst.

Impft man am Anfang des Winters, „dann wäre ein gewisser Schutz über die ersten Wintermonate zu erwarten“, sagt Berner. Er schränkt allerdings ein: „Aber vielleicht ist es gerade im nächsten Winter so, dass Corona erst im März oder April seinen Höhepunkt hat? Grundsätzlich gilt trotzdem: Man würde ähnlich wie bei der Influenza-Impfung empfehlen, zu Beginn der Wintersaison zu impfen.“ (dpa)