AboAbonnieren

Kölner Psychologin„Für manche fühlt sich Online-Dating wie ein stressiger Nebenjob an“

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau liegt auf dem Sofa und schaut auf ihr Handy.

Nicht immer ein Vergnügen: Die digitale Suche nach einer Partnerschaft.

Auf der Suche nach sozialen Kontakten und Sex landen immer mehr Menschen in kompletter Erschöpfung. Wirtschaftspsychologin Wera Areth untersucht das Phänomen Dating-Burnout.

Frau Aretz, viele Menschen haben die Hoffnung, dass Online-Dating soziale Kontakte, mehr Sex, Anerkennung und Spaß bringt. Sie haben nun die Schattenseiten genauer untersucht und sind dabei gar auf etwas Pathologisches gestoßen: Nutzerinnen und Nutzer litten mittlerweile unter Dating-Burnout. Wie konnte es so weit kommen?

Wera Aretz: In unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass Online-Dating manche Menschen fast rund um die Uhr begleitet. Zwar geben viele an, die Apps nur 30 bis 90 Minuten am Tag zu benutzen. Das aber auf mindestens zehn Mal am Tag verteilt. Gedanklich, so sagen sie, beschäftigen sie sich zudem quasi rund um die Uhr damit. Gleich nach dem Aufwachen wird der Posteingang gecheckt, beim Frühstücken und in langweiligen Zoomkonferenzen bei der Arbeit swiped man sich die Finger blutig, abends auf dem Sofa tippt man Nachrichten beim Tagesschaugucken oder wechselt Fotos aus.

Hört sich anstrengend an.

Ganz genau. Es gibt Nutzer, die geben an, Online-Dating fühle sich für sie wie ein stressiger Nebenjob an. Irgendwann fühlen sie sich emotional erschöpft. Dazu kommt die ständige Wiederholung des Durchswipens von Profilen. In Bruchteilen einer Sekunde entscheidet man sich für Ja oder Nein. Das führt nicht selten zu einer Depersonalisierung. Man nimmt die Menschen gar nicht mehr wahr, sondern kämpft sich da zombiemäßig durch.

Das Gefühl, trotz großer Anstrengung komplett ineffizient zu sein, ist ähnlich wie beim Burnout im Job
Wera Aretz

Und dann führt das am Ende gar nicht zum Erfolg?

Je häufiger der Erfolg ausbleibt, desto mehr steigt zumindest der Druck. Und die Frustration, wenn sich die Enttäuschungen häufen. Zum Beispiel, wenn man schon fertig gestylt auf dem Rad sitzt und dann zehn Minuten vor der Verabredung eine Absage eintrudelt. Oder wenn man ein nettes Date hatte, die Frau zum Abschied noch winkt und verspricht, sich zu melden und einen dann noch beim Weggehen blockiert. Das Gefühl, trotz großer Anstrengung und Erschöpfung komplett ineffizient zu sein und keinen Schritt voranzukommen, ist dann ähnlich wie bei einem Burnout im Job.

Wera Aretz von der Fachhochschule Fresenius

Wera Aretz ist Professorin ist Wirtschaftspsychologin an der Europa Fachhochschule Fresenius in Köln.

Klagen Männer und Frauen in gleichem Maße über Dating-Burnout?

In der Tat gibt es keine Ausreißer – weder beim Geschlecht noch beim Alter. Frauen klagen aber über andere Dinge als Männer. Frauen finden die Eintönigkeit des Swipens besonders belastend, zudem leiden sie unter abweichenden Partnerschaftszielen. Das ist dann der Fall, wenn sie die große Liebe sucht und er nur ein amouröses Abenteuer. Männer dagegen plagen vermehrt Selbstzweifel. Das liegt daran, dass von ihnen der erste Schritt erwartet wird, was in manchen Fällen dazu führt, dass sich da jemand viel Mühe mit Nachrichten macht, aber nie eine Antwort erhält.


Wera Aretz ist provomierte Diplom-Psychologin, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Kölner Hochschule Fresenius, zertifizierter Systemischer Coach und zertifizierte Systemische Paartherapeutin. Sie lehrt und forscht seit mehr als einem Jahrzehnt zum Thema Dating. Jüngst ist von ihr „Hate to date? Eine explorative Studie zum Burnout-Syndrom im Dating-Kontext“ aus dem Journal of Business and Media Psychology erschienen.


Gerade Ghosting ist sehr verletzend. Warum greift diese Verrohung der Sitten vor allem beim digitalen Dating um sich?

Die Anonymität und die fehlende soziale Kontrolle im Netz fördern die Enthemmung. Das funktioniert positiv wie negativ. Einerseits zeigen Studien, dass Menschen durch das fehlende Gegenüber die eigenen Gefühle besser wahrnehmen und intimere Details preisgeben. Andererseits sind sie auch bei toxischen Verhaltensweisen wie dem Ghosting enthemmter. Und dieses Verhalten ist ansteckend. Niemand will am Ende der Einzige sein, der sich immer höflich verhält. Wer geghostet wird, hat daran aber schwer zu knabbern. Selbstzweifel und die Frage, was man falsch gemacht hat, sind ganz normal. Meist trägt der Geghostete aber natürlich keine Schuld. Der Fehler ist eher bei demjenigen zu suchen, der ghostet, Angst vor Konflikten hat oder einfach zu bequem ist, um sich zu erklären.

Ich sehe die Anbieter in der Pflicht, das Wohlbefinden ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu stärken
Wera Aretz

Warum tun sich Menschen das an und löschen nach solchen Erfahrungen nicht ihre Apps?

Online-Dating ist Zuckerbrot und Peitsche. Zwischendurch erhält man sehr aufbauende Nachrichten, hat Schmetterlinge im Bauch. Viele Befragte geben an, dass sie aus Erschöpfung die App löschen, sie nach einigen Tagen aber wieder installieren. Denn so ganz ohne diesen Dating-Thrill will man dann doch nicht sein. Dazu kommt die schier unendliche Anzahl an Kontakten, die einem digital potenziell zur Verfügung stehen. Das ist schon ein schlagender Nutzervorteil.

Aber auch der Zeitaufwand ist enorm. Früher buchte man einen Tanzkurs und damit hatte sich die Suche erledigt. Das war doch viel effizienter.

Vielleicht. Allerdings hat die Digitalisierung unseres Alltags dazu geführt, dass wir tatsächlich weniger raus ins reale Leben gehen. Das Essen wird geliefert, auch am Arbeitsplatz ist man häufiger nur noch per Zoom. Die Wahrscheinlichkeit beim Einkaufen oder am Drucker auf dem Büroflur jemanden kennenzulernen, ist also geringer. Dass es dafür die Möglichkeit gibt, neben dem Einkauf auch die Partnersuche im Netz zu erledigen, ist also sinnvoll. Außerdem haben wir es heute in der Liebe verstärkt mit sequenziellen Kettenbiografien zu tun. Ehen halten im Schnitt 15 Jahre, auch Mittvierziger sind deshalb plötzlich wieder auf dem Markt. Die haben aber einen anstrengenden Job, oft Kinder. Wann sollen die zum Tanzkurs gehen?

Also müssen die Nachteile von Online-Dating minimiert werden. Wie könnte das gehen?

Ich sehe die Anbieter in der Pflicht, das Wohlbefinden ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu stärken. Die Kommerzialisierung kann da nicht über allem stehen. Es gibt da auch schon einige, die erwünschtes Verhalten belohnen und unerwünschtes sanktionieren. Beispielsweise muss man bei einigen Apps einmal im halben Jahr ein authentisches Foto hochladen, das dann auch veröffentlicht wird. Dadurch werden Fakeaccounts und Lügen erschwert. Oder die Nutzer werden aufgerufen, Beleidigungen und Ghosting zu melden. Die Täter werden dann sanktioniert. So kann auch eine Dating-App zu einem sicheren Ort werden.

Was raten Sie Nutzern, die das Dating-Burnout schon erwischt hat?

Wer merkt, dass das Dating Energie raubt, statt Spaß zu bringen, der sollte eine Pause einlegen. Sich mit realen Menschen treffen, rausgehen, Selbstfürsorge betreiben. Außerdem kann ein Zeitlimit helfen. Jeden Tag zehn Minuten swipen, das muss reichen. Ich rate außerdem zu sequenziellen Dates. Viele Menschen swipen immer weiter, um in immer kürzerer Zeit immer mehr Matches parallel zu generieren. Langsamkeit und Reduktion sind hier aber die Superkräfte. Beziehungen brauchen Zeit. Wer jemanden kennengelernt hat, den er interessant findet, sollte die App erstmal ruhen lassen, sich auf den Menschen einlassen, ihm eine Chance geben, telefonieren, sich treffen, zuhören.