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Toxische Freundschaft„Sie sollten jedes Störgefühl unbedingt ernst nehmen“

Lesezeit 6 Minuten
Frau legt grübelnder Freundin Hand auf die Schulter

Eine gute Freundschaft gibt Kraft, eine toxische Freundschaft zieht Energie.

Wann ist eine Freundschaft toxisch? Und wie beendet man die am besten? Klarer Schlussstrich oder ausschleichen lassen?

Eine gute Freundschaft bedeutet Freude, Leichtigkeit und Unterstützung. Manche Menschen dagegen rauben einem viel Energie. Familienberaterin Ruth Marquardt erklärt im Interview, wie Sie erkennen, ob eine Freundschaft toxisch ist, wie Sie sich am besten daraus befreien und was eine gesunde Freundschaft ausmacht.

Porträtfoto von Ruth Marquardt

Ruth Marquardt ist systemisch ausgebildete Familienberaterin, Hypnotherapeutin und psychologische Beraterin.

Frau Marquardt, den Begriff toxisch kennt man vor allem aus Beziehungen oder von der Arbeit. Aber auch eine Freundschaft kann toxisch sein. Wann ist diese Bezeichnung angemessen?

Ruth Marquardt: Eine toxische Freundschaft ist für mich, wenn ich belogen werde oder der andere hinter meinem Rücken schlecht über mich spricht. Wenn ich dauerhaft das Gefühl habe, deutlich mehr als der andere auf das Freundschaftskonto einzuzahlen. Wenn ich immer die Schulter zum Ausheulen bin, der Andere aber nicht da ist, wenn ich selbst Unterstützung brauche. Zum toxischen Bereich gehört für mich auch, dass jemand sich gerne als Opfer sieht.

Können Sie das genauer erklären?

Toxische Menschen übernehmen keine Eigenverantwortung. Sie suchen die Schuld immer im Außen und sehen sich als Opfer der Umstände. Immer gibt es gute Entschuldigungen. Toxische Menschen sagen nicht: „Ich habe einen Fehler gemacht.“

Über toxische Beziehungen ist viel geschrieben worden, über toxische Freundschaften ist dagegen noch nicht so viel bekannt. Sind die Dynamiken ähnlich?

Die Basis ist die gleiche, nämlich das absolute Fehlen von Eigenverantwortung. Auch das Thema „Streit vom Zaun brechen“ ist ähnlich, denn durch Streit entsteht Aufmerksamkeit. Dazu kommen Beleidigungen und Abwertungen, man wird schlecht geredet und klein gemacht. Sätze wie „Das schaffst du sowieso nicht“ oder „Guck doch mal, wie du aussiehst“ fallen immer wieder und erscheinen irgendwann ganz normal. Toxische Menschen ziehen Energie daraus, andere runterzumachen.

Das hat mit Freundschaft wenig zu tun. Merkt man das nicht?

Man spürt das zunächst nicht so deutlich und ist irritiert. Denn die Sticheleien werden immer wieder mit etwas Schönem gepaart. Eigentlich fühlt man sich verletzt, aber durch die sofort folgende nette Behandlung kommt ein besseres Gefühl zurück. Man denkt sich: „Ach, wir hatten doch mal so eine gute Basis und eigentlich ist er oder sie ja auch total nett.“ Man lässt sich immer wieder auf den Anderen ein. Zudem haben toxische Menschen oft ein sehr smartes und charismatisches Äußeres. Sie können Schwingungen gut aufnehmen und sich wunderbar verkaufen. Aber sobald man sie ohne Zeugen erlebt, präsentieren sie ein anderes Gesicht.

Sowohl zu einer toxischen Beziehung als auch zu einer toxischen Freundschaft gehören zwei Menschen. Wie finden diese beiden Leute zueinander und warum?

In beiden Fällen gilt eine Art Schlüssel-Schloss-Prinzip. Man könnte auch von Plus- und Minuspolen sprechen. Da ist einerseits der Pluspol, der gerne gibt, und andererseits der Minuspol, der gerne empfängt. Der Pluspol denkt sich beispielsweise: „Hauptsache, ich bin nicht allein und ich kann mich wichtig und gesehen fühlen, indem ich helfe“. Durch die Unterstützung erfährt er positive Macht. Der Minuspol auf der anderen Seite erfährt Bestätigung, weil er immer im Mittelpunkt steht und Macht ausübt. Das ist nichts, was sich beide Parteien bewusst überlegen – es handelt sich hierbei um unbewusste Muster, die vollautomatisch ablaufen.

An welchem Punkt sollte man sich Gedanken darüber machen, ob man sich in einer toxischen Freundschaft befindet?

Sie sollten jedes Störgefühl unbedingt ernst nehmen. Vor allem dann, wenn sich bestimmte Motive immer wiederholen oder andere Sie darauf ansprechen, warum Sie mit diesem Menschen befreundet sind. Machen Sie sich klar, was Ihre Ansprüche an Freundschaften sind. Loyalität, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Wohlwollen, Freundlichkeit: Überprüfen Sie, ob das alles gegenseitig vorhanden ist. Gibt es eine tiefe Gesprächsebene und zugleich Spaß und Leichtigkeit? Wenn Sie zur Verabredung gehen und denken: „Eigentlich habe ich gar keine Lust. Jetzt quatscht die mich wieder zwei Stunden lang voll, ich weiß gar nicht, wie ich das aushalten soll“, sollten Sie dringend etwas verändern.

Was schlagen Sie vor?

Setzen Sie sich eine Zeitspanne, in der Sie die Situation und Ihre Gefühle weiter beobachten. Wie lang diese ist, hängt auch davon ab, wie oft Sie sich sehen. Ist die Zeit abgelaufen und es hat sich nichts geändert, sprechen Sie Ihren Freund an und sagen konkret, was Sie stört und welches Verhalten Sie sich stattdessen wünschen. Ein Beispiel: „Mir fällt auf, dass wir immer wieder über dieses eine Thema reden. Ich möchte das nicht mehr. Das kostet mich viel Kraft und ich werde das ab sofort nicht mehr mit dir besprechen.“ Warten Sie dann die Reaktion ab. Sie müssen mit Widerstand rechnen. Entscheiden Sie für sich, ob dieser Mensch wirklich zu Ihren Werten passt.

Und wenn es nicht mehr passt? Mit Freunden kann man ja nicht so einfach Schluss machen.

Viele scheuen sich davor, weil sie glauben, sie müssten immer nett sein oder der andere brauche sie doch. Gerade bei Frauen erlebe ich das oft. Auf diese Weise stellen sie sich selbst und ihre Bedürfnisse immer weiter zurück. Dabei hilft es genau wie in Beziehungen, auch in Freundschaften total klar zu sein.

Also lieber einen Schlussstrich ziehen als einfach ausschleichen lassen?

Ich persönlich würde lieber einen klaren Schlussstrich ziehen, auch wenn das nicht einfach ist. Es klingt zunächst sehr hart, jemandem zu sagen, dass man nichts mehr mit ihm zu haben möchte. Wenn man sich einfach nicht mehr meldet, hinterlässt das einerseits einen faden Beigeschmack und läuft andererseits als nicht abgeschlossener Punkt immer weiter im Gehirn mit. Eine klare Kante dagegen hat etwas unglaublich Befreiendes. Solange wir selbst unklar sind, ist die ganze Situation nicht gelöst. Es hindert uns selber in unserem Vorankommen und kostet Lebensenergie.

Gibt es auch einen sanfteren Weg?

Man kann natürlich auch eine Tür offen lassen und sagen, dass diese Person zurück kommen kann, wenn sie das Gefühl hat, falsch verstanden worden zu sein und sich entwickelt. Dabei ist es entscheidend, zu benennen, was gefehlt hat, damit die verlassene Person auch die Möglichkeit zur Orientierung hat und wenn sie will, auch wirklich an sich arbeiten kann. Mein Motto in Beziehungen lautet: Was wirklich gut ist, bleibt.

Zum Abschluss bitte das Gegenbeispiel: Was macht eine gute und gesunde Freundschaft aus?

In gesunden Freundschaften geben die Begegnungen Energie und man freut sich auf die Treffen. Es gibt einen Austausch, man unterstützt sich, man hat Spaß miteinander. Sowohl tiefe als auch oberflächliche Ebenen werden abgedeckt. Man bekommt durch den anderen neue Impulse und wird auch mal mitgezogen. An meiner besten Freundin schätze ich, dass sie mir zuhören kann, ohne mir direkt ihre Meinung zu sagen. Sie weiß genau, dass ich sie anrufe, um mich selber zu sortieren. Sie ist in jedem Augenblick für mich da, sie hat Verständnis, da gibt es keine Abwertung. Es entsteht ein gemeinsamer Raum von Sicherheit. Ich fühle mich sicher, aufgehoben, geborgen und gesehen. Das ist der größte Schatz, den uns eine zwischenmenschliche Beziehung geben kann.

Zum Weiterlesen: Ruth Marquardt, Sandra Günther: Wenn Liebe toxisch wird. Wie du Warnsignale erkennst, dich aus einer toxischen Beziehung befreist und wieder zu dir findest, Goldegg-Verlag, 352 Seiten, 22 Euro

Veranstaltungshinweis: „F wie Familie zum Thema Freundschaft und toxische Freundschaft“. Die systemische Familientherapeutin Christiane Jendrich und Stefan Battel, Facharzt für Kinder-/Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, sprechen am 23. Mai ab 19 Uhr im Studio Dumont über Freundschaft in allen Facetten. Es geht unter anderem um die Unterschiede von Kinder-, Jugend- und Erwachsenenfreundschaften, Stolpersteine in der Beziehung und die Abgrenzung von toxischen Freunden. Karten sind für 16 Euro via Kölnticket erhältlich.