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Lernexpertin zum Schulstart„Ein Sonntag in der Kindheit ist zu wichtig, um fünf Stunden Mathe zu lernen“

Lesezeit 6 Minuten
Eine Mutter streitet mit ihrem Sohn über die Hausaufgaben.

Der ewige Streit um die Schulaufgaben – lässt er sich irgendwie vermeiden?

Die Schule läuft wieder. Wie starten Kinder und Eltern ohne Lernfrust und Konflikte gut ins neue Schuljahr? Eine Lernexpertin gibt Tipps.

Was war das schön, sechs Wochen keine Hausaufgaben und Tests für die Kinder – und null Diskussionen mit den Eltern rund ums Lernen. Doch nun ist das neue Schuljahr gestartet und bald stehen wieder die ersten Klausuren und Vokabeltests auf dem Plan. Manch einer ahnt schon, dass dann auch der Stress und die Konflikte wieder heran rauschen. Wie können Kinder und Eltern miteinander entspannt ins neue Lernjahr starten?

Der Beginn des neuen Schuljahrs ist für Kinder oft eine besondere Herausforderung. Kein Wunder, schließlich verändert sich einiges, es kommen neue Fächer, Räume und Lehrkräfte dazu. „Es ist wichtig, das Kind zu bestärken und daran zu erinnern, dass es auch frühere Jahrgangsstufen schon gemeistert hat, die sich anfangs schwer angefühlt hatten“, sagt Lernexpertin Caroline von St. Ange, „und dass es damit nicht alleine ist, sondern die Eltern immer da sind, wenn es Hilfe braucht.“

Positive Sicht aufs Lernen

Auch die Einstellung zum Lernen könnten Eltern beeinflussen. „Wir sollten schulische Anstrengungen nicht als etwas Negatives sehen“, sagt von St. Ange, „Körper und Geist brauchen Herausforderungen und auch Stress, damit sie überhaupt etwas lernen können.“ Genau das sollten Eltern ihren Kindern auch so vermitteln. „Statt zu jammern ‚Oje, jetzt geht der Schulstress wieder los‘, sollte man lieber positiv formulieren: ‚Wie schön, dass du jeden Tag neue Sachen lernst und dein Gehirn wächst‘.“ Wie man Stress bewerte, habe nämlich Einfluss darauf, wie man stressige Momente tatsächlich empfinde.

Lernexpertin Caroline von St. Ange

Caroline von St. Ange ist Lerncoach und Bildungsaktivistin. Auf ihrem Instagram-Kanal gibt sie Tipps rund um Lernen. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Keine Angst vor Fehlern

Nicht wenige Kinder spüren bereits zu Beginn des Schuljahres wieder enormen Druck, gute Ergebnisse zu erzielen. Auch hier könnten die Eltern Spannung herausnehmen. „Sie sollten dem Kind erklären, dass Fehler normal sind, wenn man neue Dinge lernt.“ Kinder dürften auch ab und zu die Erfahrung machen, zu scheitern. „Denn vom kleinen Scheitern in der Kindheit lernt man, später besser mit größerem Scheitern umgehen zu können.“

Das Kind braucht eigene Ziele

Was die Leistungen des Kindes betrifft, sollten sich Eltern zurückhalten. „Keine Vorgaben oder Erwartungen formulieren und damit Druck aufbauen“, sagt die Lernexpertin, „sondern lieber das Kind fragen, welche Ziele es für das Jahr hat: Was nimmt es sich selbst vor?“ Dazu gehöre aber auch, seine Entscheidungen zu akzeptieren, zum Beispiel, dass ihm das Abschneiden in manch einem Fach nicht so wichtig sei. „Und dann geht es darum, konkrete Schritte zu überlegen, wie das Kind seine Ziele erreicht und welche Hilfe es von den Eltern dafür braucht.“

Keinen Noten-Druck aufbauen

Sich bei den Noten herauszuhalten, fällt Eltern meist schwer. Schließlich wollen sie, dass ihr Kind einen Abschluss macht, um später gute Chancen im Berufsleben zu haben. „Diese Sicht der Eltern ist verständlich“, sagt Caroline von St. Ange, „ich würde hier jedoch nicht bei den Noten ansetzen.“ Sie seien wenig aussagekräftig. „Was sagt denn eine Klassenarbeitsnote wirklich aus? Ob ein Kind dort gut abschneidet, kann so viele Gründe haben, die nichts damit zu tun haben, ob es später einen Job findet oder glücklich wird.“ Genau diese Weiterdrehe passiere aber oft im Kopf der Eltern. „Da steht die Fünf in Mathe und Eltern sehen ihr Kind schon halb in der Gosse.“ Stattdessen sollten sie inhaltlich ansetzen. „Hat es Schwierigkeiten bei einem Unterrichtsthema, das es noch lange begleiten wird, dann muss man ihm helfen, das aufzuholen.“ Bei Themen, die in einem Fach schnell abgehakt seien, könne man getrost auch mal sagen: Schwamm drüber.

Da steht die Fünf in Mathe und Eltern sehen ihr Kind schon halb in der Gosse“
Caroline von St. Ange, Lerncoach

Wie viel Eltern gebraucht werden, ist abhängig vom Kind

Wie stark Eltern ihr Kind beim Lernen unterstützen müssen, ist wiederum sehr individuell. „Sie sollten so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig eingreifen“, sagt Caroline von St. Ange. „Bei einem Kind, das schon alles eigenverantwortlich macht, bloß nicht intervenieren, selbst wenn es aus Elternsicht noch ordentlicher sein könnte.“ Dadurch könne man nämlich diese Eigenverantwortung schnell im Keim ersticken. „Aber es gibt auch Kinder, die bis zum Abitur Unterstützung brauchen und es nicht schaffen, sich selbst zu organisieren.“ Diese Kinder müssten unbedingt Hilfe bekommen. „Eltern sollten niemals sagen: ‚Du bist jetzt in der 5. Klasse und musst das alleine können‘. Durch Vorwürfe lernt kein Kind etwas.“ Lieber sollten sie dann mit ihm gemeinsam Lernstrategien erarbeiten, zum Beispiel To-do-Listen schreiben oder Lernabschnitte timen.

Kinder sollten zu Hause lernen – aber nicht zu viel

Um gut ins neue Jahr zu starten, sei es sinnvoll, direkt feste Lernroutinen zu etablieren. „Für weiterführende Schulen empfehle ich, an sechs Tagen in der Woche jeweils eine Stunde zu Hause zu lernen – aber auch nicht mehr.“ So wüssten Kinder genau, welches Pensum auf sie zukomme. Auch wenn das Kind an einem Tag keine Hausaufgaben habe, sei diese Stunde Pflicht. „So kann man sich die Zeit nehmen, Inhalte zu wiederholen oder Referate oder Tests vorzubereiten. Das hilft den Kindern, sich ihre Zeit einteilen zu lernen.“ Am Wochenende exzessiv auf Arbeiten zu lernen, davon rate sie ab. „So ein Sonntag in der Kindheit ist zu wichtig, als dass man da fünf Stunden mit Mathe lernen verbringen sollte.“ Nur vor großen Prüfungen sei das denkbar.

Lernbetreuung in der Schule nicht immer gut

Heute machen vor allem jüngere Kinder ihre Hausaufgaben in der Nachmittagsbetreuung der Schule. Sollte dann trotzdem daheim gelernt werden? „Das ist sehr abhängig von der Qualität der Betreuung“, sagt Lernexpertin von St. Ange. „Gibt es dort geschulte Kräfte, muss daheim nicht mehr unbedingt etwas gemacht werden, vor allem nicht nach einem langen Tag.“ Bei mangelhafter Hausaufgabenbetreuung sollte man zu Hause noch mit dem Kind lernen und es dafür, wenn möglich, auch mal früher abholen.

Streit übers Lernen ist vermeidbar

Rund ums Lernen geraten Kinder und Eltern häufig schon wegen kleinster Dinge aneinander. Wie lässt sich das verhindern? „Keine Hausaufgabe ist es wert, dass man sich deswegen streitet“, sagt Caroline von St. Ange. „Wenn es einmal nicht klappt, dann lässt man es lieber, statt eine Auseinandersetzung zu provozieren.“ Manchmal könne es auch helfen, den Lernzeitpunkt am Tag zu verschieben. „Es gibt Kinder, die können zehn Minuten vor dem Schlafengehen ihre Aufgaben prima erledigen.“ Wichtig sei hier, eigene Schul- und Lernerfahrungen nicht auf das Kind zu übertragen. „Manche Eltern denken, so wie bei ihnen müsste es auch bei ihrem Kind sein – dabei lernt das vielleicht ganz anders.“

Wenn das Kind sich schwertut, Wechsel überlegen

„Verweigert sich das Kind ständig oder braucht viel Zeit, um Lehrstoff aufzunehmen, muss man nach der Ursache suchen und mit der Lehrkraft in Kontakt treten“, sagt Caroline von St. Ange. „Anschreien und bestrafen, macht da alles nur noch schlimmer.“ Dann gelte es, das Kind entweder so unterstützen, dass es gut mitkomme oder einen Schulwechsel zu überlegen. „Es wäre doch schrecklich, wenn es so viel Kindheit an einem Ort verbringt, an dem es nur Misserfolge erlebt.“

Buchtipp: Caroline von St. Ange: „Alles ist schwer, bevor es leicht ist – wie Lernen gelingt“, Rowohlt Verlag, 256 Seiten, 14 Euro, erscheint am 15.8.2023