Mit ihrem Kinder-Sachbuch ist Nguyen-Kim auf der lit.cologne zu Gast. Ein Gespräch über Warum-Fragen, Chemieunterricht und die Klimakrise.
Mai Thi Nguyen-Kim im Interview„Kinder denken noch nicht 'Bäh, Chemie, ich muss kotzen!'“
Frau Nguyen-Kim, Sie haben mit Marie Meimberg zwei Sachbücher für Kinder geschrieben. In einem davon behaupten Sie, dass Dinos gar nicht alle tot sind. Das müssen Sie uns jetzt mal ein bisschen genauer erklären!
Mai Thi Nguyen-Kim: Ja, Dinos sind nicht alle ausgestorben, als damals der Asteroid auf die Erde stürzte. Es gibt einige Lebewesen, die überlebt haben, darunter auch die Coelurosaurier. Und von denen stammen die heutigen Vögel ab. Deswegen sind alle Vögel letztlich Dinos.
Jedes Buch beginnt damit, dass Bibibiber eine Frage an Sie beide stellt. Diese Frage könnte man auch in einigen Sätzen beantworten, so wie Sie das gerade mit meiner Frage gemacht haben. Jedes Ihrer Sachbücher für Kinder ist aber mehr als 100 Seiten stark. Wie kommt das?
Es sind sehr umfangreiche Bücher, die einen aber nicht erschlagen, sondern sich eher anfühlen wie Bilderbücher. Trotzdem gehen wir sehr in die Tiefe. Denn diese typischen Kinderfragen wie „Sind Dinos alle tot?“ lösen doch auch im Alltag viele Folgefragen aus. In unseren Büchern begeben wir uns mit der Ausgangsfrage auf eine große Reise und kommen am Ende bei uns Menschen an. Denn wir wollen, dass die Kinder verstehen, was Dinos oder Sterne mit ihnen selbst zu tun haben. Denn das ist doch ganz oft der Grund dafür, warum Jugendliche in der Schule Naturwissenschaften abwählen: Weil ihnen der Bezug zu ihrem eigenen Leben fehlt.
Wie sind Sie beide überhaupt auf die Idee gekommen, eine Buchreihe für Kinder zu schreiben?
Marie und ich sind schon lange befreundet und haben oft über die Welt gesprochen, aus zwei verschiedenen Blickwinkeln, ich aus der Naturwissenschaft, sie aus der Kulturwissenschaft. Und wir finden es beide besonders spannend, in diese Grenzgebiete zu gehen, da wo es interdisziplinär wird. Da, wo es nicht nur um die Entstehung des Universums geht, sondern auch darum, was das mit mir als Mensch zu tun hat. Marie hatte die Idee zu den Büchern und mich gefragt, ob ich mitmachen will.
Für Kinder gibt es unzählige Sachbücher auf dem Markt. Was unterscheidet Ihre Buchreihe denn von anderen?
Marie und ich in unserer Verbindung, das ist für mich die Revolution. Wir bringen Welten zusammen, die zusammengehören, aber sonst oft getrennt werden. Nicht nur die Naturwissenschaft und die Kulturwissenschaft. Es gibt Bilderbücher und Kinderromane, die Emotionen und Werte vermitteln. Und dann gibt es Sachbücher, die Wissen vermitteln. Wir wollen beides verbinden. Gleichzeitig wollen wir Bücher schreiben, die Kinder toll finden, aber die Eltern auch begeistern. Bücher, die Eltern nicht nur vorlesen, um den Kindern einen Gefallen zu tun. Denn von letzteren gibt es genug, das weiß ich, seit ich Mutter bin. Aber diesen Spagat kann man schaffen, Disney oder Pixar bekommen das ja auch hin. Und dass alle Vögel Dinos sind, erzeugt vielleicht auch bei manchen Erwachsenen einen Aha-Moment. Unsere Bücher richten sich an alle Menschen ab sieben Jahren.
Bei der lit.kid.cologne lesen Mai Thi Nguyen-Kim und Marie Meimberg aus ihrem Sachbuch „Bibibiber hat da mal ne Fragen: Sind Dinos wirklich alle tot?“. Die interaktive Lesung findet statt am 16. März um 16 Uhr in der Aula des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums. Tickets kosten 9,50 Euro und sind noch erhältlich.
Apropos Mutterschaft: Wie sehr hat die Tatsache, dass Sie selbst zwei kleine Kinder haben, Sie motiviert, Kinderbücher zu schreiben?
Ehrlich gesagt konnte ich, bevor ich Mutter wurde, nicht so viel mit Kindern anfangen. Aber seit ich Kinder habe, fühlt es sich an, als hätte sich ein neues Level freigeschaltet: Ich kann gar nicht glauben, dass Kinder und Erwachsene dieselbe Spezies sind. Kinder sind meiner Meinung nach die besseren Menschen. Und ja: Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich etwas für Kinder gemacht hätte. Aber ich bin sehr froh, das jetzt mit Marie zusammen zu machen. Das Produkt wäre sonst ein anderes geworden.
Ihre Tochter ist jetzt vier Jahre alt. Stellt sie auch Fragen, auf die Sie keine Antwort wissen?
Ja, sie stellt sehr viele Fragen. Mein Mann, er ist auch Chemiker, und ich lieben das total. Also dieses ständige „Warum, warum, warum“. Ich versuche auch immer, ihr vermeintlich komplizierte Sachen zu erklären und gucke, wie weit sie kommt. Aber bei manchen Themen muss ich auch nachgucken. Ich lerne auf jeden Fall selbst sehr viel.
Auch auf Ihrem Youtube-Channel „maiLab“ oder in der Fernsehsendung „Terra X“ versuchen Sie, Wissenschaft für alle zugänglich zu machen. Was ist in der Arbeit mit Kindern anders?
Im Kern ist die Arbeit auch nicht anders als etwa bei Maithink X, nur dass wir bei Bibibiber viel weniger Vorwissen voraussetzen. Am Anfang ist immer die gemeinsame Idee und die Grundfrage, zum Beispiel „Warum leuchten Sterne?“. Dann nimmt Marie zunächst die Rolle von Bibibiber ein und stellt Fragen, ich erkläre. Wir recherchieren auch und sprechen mit Fachleuten. Aber die größten Herausforderungen sind meist ganz grundlegende Dinge. Zum Beispiel die Frage, was ein Stern ist. Andere Kinderbücher schreiben „Eine große Kugel aus Gas“. Und dann fragt Marie: Aber was ist denn Gas?
Ja, und dann wird’s spannend: Wir fragen uns nicht nur: Wie erklären wir das den Kindern? Sondern sogar: Wie würden wir das einem Biber erklären? Der vielleicht gar nichts von der Menschenwelt weiß? Dann ist es wie Einstein sagt: Wenn du es nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht richtig verstanden. Gleichzeitig gibt es bei Kindern einen großen Vorteil: Sie sind frei von Ideologie und Politik, sind offen und neugierig. Das ist eine Grundhaltung, mit der man Wissen ganz anders aufnehmen kann. Kinder denken noch nicht „Bäh, Chemie, ich muss kotzen“.
Ja, Chemie wählen wirklich viele Schülerinnen und Schüler ab. Wie ist denn Ihr Eindruck: Interessieren sich Kinder in Deutschland genug für Wissenschaft?
Ich bin davon überzeugt, dass Naturwissenschaften Mainstream-Potenzial haben. Nicht nur für Kinder, sondern für alle Menschen. Wir wollen doch wissen, woher wir kommen, was der Sinn des Lebens ist, warum gewisse Dinge passieren. Aber ich verstehe auch, dass man vor lauter Formeln, Mathematik, auswendig lernen, Strukturformeln aufmalen und so weiter die Begeisterung verlieren kann. Es ist schade, dass man sich didaktisch nicht ein bisschen mehr Gedanken macht, weil es so viele Anknüpfungspunkte zum eigenen Leben gibt, das merken wir bei der Arbeit für Bibibiber.
Es ist ja nicht nur die Didaktik. In meiner eigenen Schulzeit waren viele Chemieräume marode, heutzutage werden sie aus Platznot in Köln einfach als Klassenräume genutzt. Da ist es schwierig, mehr Begeisterung für die Wissenschaft zu wecken.
Natürlich wäre es schön, wenn es, gerade in Chemie, mehr Raum und Ressourcen gäbe, um mal was explodieren zu lassen. Trotzdem kann man aus der Not eine Tugend machen, finde ich. Anhand von einem Tisch und einen Spiegel kann ich erklären, wie Wärme entsteht und was Atome und Moleküle sind. Für solche Alltags-Experimente braucht man kein Labor. Chemie ist wie ein Schlüssel zu einer unsichtbaren Welt.
Wenn sich mein Kind für Naturwissenschaften interessiert, wie fördere ich es dann richtig?
Das fragen sich ja meistens Eltern, die wenig Berührung mit Naturwissenschaften haben. Die Voraussetzung ist deswegen, dass die Eltern sich mit ihrem Kind auf diese Reise begeben. So nach dem Motto: Wenn mein Kind das verstehen kann, kann ich das auch verstehen. Und es gibt ja zum Glück viele Bücher, Filme oder auch Museen, die man nutzen kann.
Am Ende des Buchs „Sind Dinos wirklich alle tot?“ gehen Sie auch auf die Klimakrise ein. Fürs Klima hagelte es in den vergangenen Wochen schlechte Nachrichten. Was muss passieren, damit wir die Klimakrise noch aufhalten können?
Mein Learning ist: Vernunft allein bewegt Menschen nicht. Die Klimakrise ist ein naturwissenschaftliches Problem und natürlich muss man die Zusammenhänge verstehen, um technologische Lösungen zu entwickeln – aber auch, um sinnvolle politische Entscheidungen zu treffen. Der Actionplan ist klar, aber die Liste ist lang: wirksamer CO₂-Preis, mehr erneuerbarer Strom, E-Autos, Ausbau der Öffis und vieles mehr. Wir können das alles schaffen, aber nur, wenn wir uns nicht zerstreiten. Gerade in der Klimakrise gibt es viele Schuldzuweisungen. Wir können das aber nur gemeinsam hinbekommen.
Und ich glaube, das geht nur, wenn wir die Menschen emotional bewegen. Wir müssen Geschichten erzählen, die Mut machen, die zeigen, dass Menschlichkeit eine Superpower ist. Und so hat auch unser Buch „Sind Dinos wirklich alle tot?“ auch eine wichtige, mutmachenden Message: Ja, wir haben die Klimakatastrophe – oder die Klima-Kacka-Strophe, wie wir bei Bibibiber sagen – gemacht, und das heißt, wir können sie auch wieder wegmachen. Wir sind unserem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Wir sind besser dran als die Dinos, denn wir haben es in der Hand.