„Mami braucht 'nen Drink“Warum es so schön ist, keine perfekte Mutter zu sein
Köln – Ab jetzt wird alles anders, ich werde eine mustergültige Mutter sein! Das sagte sich Gill Sims und nahm sich einiges vor: Morgens rechtzeitig aufstehen, um die Kinder locker flockig in aller Ruhe fertig zu machen und sie mit französischem Zopf, selbst genähten Hosen und gesunden Pausenbroten in den Tag zu schicken.
Dann eine perfekt geplante, aufregende Nachmittagsgestaltung bieten - mit „Quality Time” ohne Schimpfen natürlich. Hier und da ein bisschen freiwilliges Engagement in Kita und Schule. Und immer adrett aussehen, um im Plausch mit den anderen Eltern eine gute Figur zu machen. Einfach vorbildlich!
Wenn Mama sich nach einem Glas Wein sehnt
Doch dann kommt mal wieder alles anders: Schon morgens Geschrei und Hetze und der stumme Wunsch, endlich mit einem Glas Wein auf der Couch versinken zu können – und zwar allein! Oder aber mal wieder mit viel zu kurzem Rock durch die Clubs zu ziehen.
In ihrem Tagebuch-Roman „Mami braucht ‘nen Drink“ erzählt die britische Mutter Gill Sims, wie sie sich mit eigenem Kopf, Selbstironie und Humor durch ihr chaotisches, erschöpfendes Familienleben kämpft. Ein lustiger Abgesang auf die absurd hohen Ansprüche, die heute an Eltern gestellt werden. Ein Gespräch.
Frau Sims, wann haben Sie das letzte Mal unbedingt einen Drink gebraucht, weil Ihre Kinder Sie genervt haben?
Gill Sims: Hier in Schottland sind gerade sehr lange Sommerferien zu Ende gegangen. Und meine Kinder haben mir sehr sehr viele unsinnige Fragen gestellt. Fragen wie: „Mami, wenn ein Gorilla-Tiger und ein Giraffen-Hai kämpfen, wer würde da gewinnen, Na, Mami, was denkst du, Mami?“ Nach einem dieser Tage, oder mehreren dieser Tage ist der Gedanke an ein Glas Wein am Abend wirklich sehr verlockend!
Was tun Sie, wenn Ihnen das Familienleben mal über den Kopf wächst?
Sims: Ich verstecke mich im Schrank und esse die extra schokoladigen Kekse, die ich vor meinen Kindern versteckt habe. Dann hab ich fünf Minuten Ruhe und das Gefühl, was ganz für mich zu haben, auch wenn es nur eine Packung Süßes ist. Die kleinen Dinge zählen!
Sie erzählen, wie Sie ständig daran scheitern, eine vorbildliche Mutter zu sein. Warum wollen viele Mütter dauernd perfekt sein – und fühlen sich dabei doch so unzulänglich?
Sims: Ich denke, es gibt mehrere Gründe. Zum einen wurde uns eingeredet, dass Muttersein angeboren ist und wir es einfach von Natur aus in uns haben, eine gute Mutter zu sein. Doch das ist Unsinn. Muttersein muss man lernen, wie alles andere auch. Manchen fällt es leichter als anderen, manche sind gut darin und manche gar nicht. Weil wir aber gelernt haben, dass man Muttersein einfach kann, fühlen wir uns schlecht, wenn wir es hart und anstrengend finden. Und fragen uns, was bloß bei uns falsch läuft – welche Frau bitteschön hadert denn schon mit dem Muttersein?! Dabei hat jede Frau ab und zu damit zu kämpfen. Es wird aber nicht darüber gesprochen. Ein Teufelskreis.
Dazu kommt ja noch, dass wir heute nicht nur Mutter sein sollen…
Sims: Genau. Man hat uns die Idee verkauft, dass wir Frauen „alles“ haben können: Kinder, Karriere, ein sauberes Haus. In der Realität sieht es aber so aus, dass der Tag eben nur 24 Stunden hat. Wir können nicht alles haben. Und fühlen uns deshalb schuldig. Wenn wir bei der Arbeit sind, haben wir das Gefühl, wir sollten eigentlich bei unseren Kindern sein. Wenn wir Zeit mit unseren Kindern verbringen, denken wir an den Berg an Arbeits-Mails. Und wenn wir das Haus putzen, fühlen wir uns schlecht, weil wir Job und Kinder vernachlässigen.
Uns sollte klar werden, dass wir nicht alles haben können. Wir sollten es auch nicht ständig versuchen. Und uns nicht dafür schämen, wenn wir anstatt aufwändig zu kochen einfach was zusammenrühren, wenn wir unseren Partner um Hilfe fragen oder einfach abends mal das Handy ausschalten.
Wer das Handy anlässt wird mitunter noch mehr verunsichert, von all den Müttern im Netz, oder?
Sims: Ich glaube, dass auch Social Media eine große Rolle spielt. Wenn man die Höhepunkte aus dem scheinbar perfekten Leben anderer Eltern sieht, ist es schwer, nicht automatisch das eigene Familienleben damit zu vergleichen. Oder sich daran zu erinnern, dass das nur der kleine Ausschnitt der Bilder ist, den sie uns zeigen wollen. Ihr Haus könnte in Wirklichkeit im Chaos versinken, während sie auf Instagram die eine saubere Ecke zeigen, die noch vorzeigbar ist. Alles was man sieht sind die Blumen und die schönen Vorhänge, während außerhalb des Bildes wahrscheinlich gerade ein kleines Kind mit völlig Dreck verschmiertem Mund tobend auf dem Boden liegt.
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Unter Müttern geht es manchmal zu wie auf dem Schlachtfeld. Jede schaut genau, was die andere macht – jederzeit bereit, ihr Urteil zu fällen. Kennen Sie das?
Sims: Im Mütteruniversum steht eigentlich immer jemand bereit, der Rat geben will – auch wenn man den weder braucht noch will. Und dann kommt die nächste und schlägt vor, es doch lieber ganz anders zu machen. Was Bewertungen betrifft kann ich mich an eine schräge Situation erinnern: Eine andere Mutter bewunderte die Haarfarbe meiner Tochter und fragte mich doch ernsthaft, ob ich sie gefärbt habe. Dabei war meine Tochter erst zwei Jahre alt!
In Ihrem Buch schreiben Sie darüber, was Ihnen alles fehlt, abseits vom Muttersein. Viele Mütter würden sich für so ein Bekenntnis wohl leicht schuldig fühlen. Gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Mütter nur „für ihre Kinder leben sollen“?
Sims: Ja, ich denke, so ein Gesetz gibt es – und ich finde es furchtbar! Es gibt doch einen Unterschied, ob man sein Leben für ein Kind geben würde – ich bin sicher, das würde jede Mutter ohne zu Überlegen tun – oder ob man nur für sein Kind leben will. Schließlich ist jede Mutter auch eine eigene Persönlichkeit. Als Eltern wollen wir, dass unsere Kinder später ein unabhängiges eigenes Leben führen. Doch wenn Mütter 18 Jahre nur für ihr Kind gelebt haben, was tun sie dann, wenn es auszieht?
Auch für die Kinder ist es eine Belastung, wenn sie merken, dass ihre Mutter ihr Leben für sie aufgegeben hat. Das setzt sie sehr unter Druck. Sie müssen große Erwartungen erfüllen. Stattdessen sollten Kinder lieber erleben, dass ihre Eltern auch Menschen mit eigenen Interessen und Ideen sind.
Was sollten Mütter öfter für sich tun?
Sims: Sie sollten gut zu sich selbst sein und sich klar machen, dass sie tun, was sie können. Und sie sollten akzeptieren, dass sie nicht perfekt sind. Und das ist auch gut so!
Ihr Buch war in Großbritannien ein großer Publikumserfolg. Glauben Sie, Eltern haben nur darauf gewartet, dass endlich jemand schreibt, wie anstrengend und chaotisch es ist, Kinder zu haben?
Sims: Ich denke ja. Im ganzen Social Media Getue mit den schön ausgeleuchteten, toll zurechtgemachten Bildern scheinbar perfekter Familien war es wohl mal an der Zeit, zu zeigen, wie Familienleben wirklich aussieht – mit all seinen Facetten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Buchtipp:Gill Sims, Mami braucht 'nen Drink - Tagebuch einer erschöpften Mutter, Eisele Verlag, 2018