Mehr VertrauenWarum der deutsche Erziehungsstil jetzt in Amerika gefeiert wird
Köln – Crazy! Ganz Amerika reißt sich derzeit um ein Buch, das sogar einen deutschen Titel trägt: „Achtung Baby“. Autorin Sara Zaske (38) eilt von einer Talkshow zur nächsten und singt ein Loblied auf die deutsche Erziehung. Große Zeitungen wie die „Sunday Times“ titeln: „Should we be parenting like Germans?“ (Sollen wir unsere Kinder wie die Deutschen erziehen?)
Ausgerechnet good old Germany, für viele Ausländer der Inbegriff für Befehl und Gehorsam, preußische Disziplin und Sturheit, soll den Amis in punkto Erziehung als Vorbild dienen? „Ja“, sagt Sara Zaske (38). Die Amerikanerin lebte mit ihren beiden Kindern sieben Jahre in Berlin und schwärmt noch immer davon, wie frei Kinder in Deutschland aufwachsen können. Unsere Zeitung fragte nach: Was machen wir denn hierzulande besser?
Kinder haben mehr Freiheit!
In Amerika gehen sechs- bis elfjährige Kinder nirgendwo allein hin oder spielen auf dem Spielplatz, die Eltern fahren sie nicht nur zur Schule, sondern überall mit dem Auto hin – aus Angst vor Kidnappern oder Unfällen. Nur ein Beispiel: Als ich mich das erste Mal mit einer Mutter in Berlin auf dem Spielplatz traf, packte sie ihr Picknick aus, während ihre Tochter mit meiner los rannte. Kleinkinder für eine Minute aus den Augen lassen – das kennt man in Amerika nicht. Deutsche Mütter stehen auch nicht neben jedem Spielgerät Spalier.
Learning by doing statt Verbote
In Berlin wurde meinen Kindern schon in der Kita mit vier Jahren beigebracht, wie sie eine Frucht schneiden müssen. In der Grundschule lernten sie, Kerzen anzuzünden. Es macht doch viel mehr Sinn, Kindern den sicheren Umgang mit gefährlichem Werkzeug beizubringen, statt alles zu verbieten. Verbote fordern die Kids nur heraus, es heimlich zu machen - und das ist meist viel gefährlicher.
Erzieher sind Helfer, nicht Befehlshaber!
Sie schreiben nicht die Namen der unartigen Kinder an die Tafel oder schicken sie in die Ecke, wie es in Amerika an der Tagesordnung ist. Sie mischen sich auch nicht so schnell bei einem Streit ein, sondern legen Wert darauf, dass Kinder lernen, Konflikte allein zu lösen.
Keine falsche Scham!
Die Deutschen sind viel freier darin, Dinge anzusprechen, die für Kinder schwierig zu fassen sind. Ich rede da von Themen wie Sex, Religion, Tod oder den dunkleren Seiten der Geschichte. Hier würde ich mir das auch wünschen, damit Kinder wissen, dass das Teil ihres Lebens ist.
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Weniger Erfolgsdruck!
In den USA wird die Karrierelaufbahn schon in der Kita und in der Vorschule gepusht. Bei meinem ersten Kita-Besuch in Berlin sah ich keine Lesestunden, keine Mathe-Arbeitsblätter. Kinder liefen herum und schrien und spielten. Was sie wollten und mit wem sie wollten. Stritten und vertrugen sich. Das ist so wichtig!
Amis können „Danke“ sagen
„Amerikanische Eltern können bald ‚Danke‘ sagen", lobt „USA Today“. Ist das nicht etwas übertrieben? Unsere Zeitung fragte eine Deutsche, die seit drei Jahren mit ihren beiden Söhnen in New York lebt. Buchautorin Britta Sembach kann Zaske nur zustimmen: „Die Aufsichtspflicht ist enorm, der Verdacht, seine Kinder zu vernachlässigen, wenn man sie alleine durch die Gegend laufen lässt, ist schnell da. Ein Kind mit sechs Jahren zum Bäcker schicken? Undenkbar! Eher hat man den Jugendschutz oder die Polizei vor der Tür als eine Tüte frisch duftender Brötchen. Freies Spiel, das Austragen von Konflikten – alles Fehlanzeige. Die Lehrer sind begeistert, wie sehr selbst unser jüngster Sohn auf andere achtet, nicht immer nur an sich selber denkt, wie selbstständig und freundlich er ist.“
Stereotyp? Jedes Land hat so seine Eigenarten
Immer wieder gibt es länderspezifische Erziehungsbücher, die viel Aufmerksamkeit erlangen: „Tiger Mum“ Amy Chua spaltete mit ihren rigiden chinesischen Erziehungsmethoden im Buch „Die Mutter des Erfolgs – wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ 2011 die Gesellschaft. Purer Drill – für die einen ein Ideal, für die anderen der reinste Psychoterror. Einen Bestseller landete Pamela Druckermann 2012 mit dem Buch „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind“ – weil die Deutsche beschreibt, dass sich in Frankreich nicht alles um den Nachwuchs dreht.
Mit „Bambini sind Balsamico für die Seele“ servierte die südländische Rheinländerin Sandra Limoncini im selben Jahr Geheimnisse der italienischen Erziehung. Derzeit orientieren junge Eltern sich hierzulande an den hyggen Dänen. „Warum dänische Kinder glücklicher und ausgeglichener sind - die Erziehungsgeheimnisse“ heißt ein aktueller Ratgeber. "Gutes Spiel, Lernorientierung, Umdeuten, Empathie, Coolbleiben und Kuscheln", lautet übrigens diese Glücksformel.
Buchtipp:Sara Zaske, Achtung Baby, (englisch),Piatkus Verlag, 2018