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Müde, lustlos, erschöpftSchon Kinder und Jugendliche haben Burnout

Lesezeit 6 Minuten

Müde, lustlos, erschöpft: Schon Kinder können an Burnout leiden.

Kinder mit Burnout-Syndrom? Wieder so ein herbeigeredetes Phänomen, das gerade ins Bild passt? Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort konnte es vor einigen Jahren selbst zunächst kaum glauben, als er Kinder und Jugendliche mit Symptomen einer Erschöpfungsdepression diagnostizierte. Doch nach vielen ähnlichen Fällen stellte er fest, dass es sie gibt, die Burnout-Kids. Und dass die Ursache ihrer Probleme vor allem im unbarmherzigen Leistungsprinzip unserer Gesellschaft liegt. In seinem gleichnamigen Buch „Burnout Kids“ (Pattloch Verlag, 2015) berichtet Schulte-Markwort aus seiner Ambulanz, geht den Burnout-Ursachen nach und gibt Präventionstipps. Ein Gespräch.

Burnout bei Kindern – das klingt zunächst befremdlich. Wie äußert sich das, was sind die Symptome?

Die Symptome im Kindes- und Jugendalter unterscheiden sich nicht von denen im Erwachsenenalter. Das heißt, es beginnt meistens mit einem Leistungsknick in der Schule, die Kinder fühlen sich müde und angestrengt. Und das kann sich dann immer weiter steigern, sie sind erschöpft, leiden unter Stimmungseinbrüchen, Appetitverlust und Schlafstörungen, völliger Lustlosigkeit. Bis dahin, dass sie das Vollbild einer Erschöpfungsdepression entwickeln können.

Wie können Eltern denn „normale“ Verstimmungen unterscheiden von ernsthaften Problemen?

Eltern können das eigentlich. Ich sage immer: Eltern sind die Experten für ihre Kinder. Wenn die Symptome zu lange anhalten und die Eltern unsicher sind, dann sollten sie den Gang zur Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht scheuen.

Wie verbreitet ist diese Erkrankung bei Kindern?

Es gibt fließende Übergänge. Nicht jedes Kind, das erschöpft ist oder sich müde fühlt, hat gleich ein Burnout-Syndrom. 20-30 Prozent der Kinder - das haben wir in Hamburg untersucht - sagen, dass sie nachhaltig erschöpft sind. Natürlich haben bei weitem nicht alle einen Burnout. Ich schätze, dass etwa zwei Prozent im Jugendalter davon betroffen sind.

Wenn die Kinder zu Ihnen in die Praxis kommen, worüber klagen sie konkret?

Ich habe im Buch ja viele Fallbeispiele aufgeführt. Die Kinder sagen „Ich kann nicht mehr“, „Ich bin traurig und verzweifelt“, „Ich habe Angst, dass ich meine Schule nicht schaffe, dass mein Abitur-Schnitt zu schlecht wird“ oder „Ich versage“.

Die Schule spielt also eine zentrale Rolle. Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten konkreten Ursachen für einen Burnout?

Konkret macht es sich natürlich an der Schule fest, weil das der Ort ist, an dem Kinder mehr als die Hälfte des Tages verbringen. Und die Arbeitsanforderungen liegen ja häufig bei 50 Wochenstunden - damit unterscheiden sich Kinder und Jugendliche eigentlich gar nicht mehr von Managern.

Es wäre aber verkürzt, zu sagen, dass die Schule Schuld hat oder die Kinder weniger Schule brauchen. Sondern es geht darum, dass die Kinder in einer komplett durchökonomisierten Welt ein Prinzip Leistung verinnerlicht haben. Danach reicht es nicht aus, genauso gut zu sein wie die Älteren, es muss immer besser und mehr sein.

Es sind ja zunächst die Eltern, die Werte vermitteln. Sind die besonders ehrgeizig?

Nein. Die Eltern bremsen eher. Kennzeichen dieses Syndroms ist, dass die Familien keine direkten Verursacher sind. Ich hab mit nur wenigen Helikopter-Eltern zu tun. Diejenigen, die mit ihren Kindern und Jugendlichen zu mir kommen, sind sehr besorgt und sagen „für uns muss diese Leistung nicht sein“. Sie wollen gerne wissen, was sie tun können, um ihr Kind zu entlasten. Die Kinder selbst fühlen sich davon missverstanden. Sie antworten: „Ihr müsst ja nicht diese Leistungen bringen!“

Das heißt, die Kinder haben dieses System „besser, schneller“ schon so verinnerlicht?

Ja. Ich hab mit Schülern aus der vierten Klasse zu tun, die sagen: „Wenn ich es nicht aufs Gymnasium schaffe, ist mein Leben gelaufen“. Manche Kinder schauen nur noch auf den Satz „Schulempfehlung“.

Was ich in dem Zusammenhang schön finde: Sie schreiben, dass Kinder von heute aufgeschlossen, sozial kompetent und reflektiert sind, dass also nicht sie, sondern das System gestört ist…

Genau. Deswegen habe ich mich auch entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Weil ich finde, wir brauchen dringend eine neue Debatte darüber, welche Werte und welche Pädagogik wir vermitteln wollen. Wir lassen es tatsächlich zu, dass die Schule zu dem Ort in der Gesellschaft verkommt, an dem das Burnout kumuliert – sowohl auf Seiten der Lehrer als auch auf der der Kinder.

Was hilft erschöpften Kindern? Und wie kann man Burnout vorbeugen? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Was könnte man tun, um die Situation zu entschärfen?

Man kann natürlich im Kleinen bei sich selbst schauen. Dann empfehle ich immer, dass alle Familienmitglieder sich ihre Kalender vornehmen und gemeinsam überlegen: Wo ist tatsächlich guter und wo negativer Stress? Wo gibt es Phasen von Erholung und Entspannung? Wo Inseln von Gemeinsamkeit?

Und das betrifft natürlich nicht nur die Kinder. Viele Mütter sind beispielsweise verzweifelt, weil sie drei Jobs haben: sie arbeiten meist Teilzeit, dann der Haushalt, plus nachmittägliche Hausaufgabenbetreuung, Mama-Shuttle und diese Dinge. Und die Kinder wachsen damit auf, dass sie angestrengte Eltern haben.

Wir Erwachsenen können uns ja aber nicht aus dem System Leistung ausklinken…

Viele Unternehmen sind da heute schon weiter. Sie wissen, dass sie ihre leistungsstarken Mitarbeiter schützen müssen, indem sie Systeme entwickeln, wie man mit der Informationsflut umgeht, wie man wieder kreativ wird, wie man Auszeiten entstehen lässt. In Japan machen die Mitarbeiter zum Beispiel Yoga-Pausen. Warum machen wir das nicht an Schulen?

Das heißt, es muss wieder mehr Entspannung und Spaß in den Alltag der Kinder?

Ja, und Wertschätzung. Wir brauchen vor allem auch ein anderes Schul-Klima. 50 Prozent der Kinder glauben, dass ihre Lehrer sie nicht gerne unterrichten. Das ist doch skandalös.

Wie behandelt man Kinder mit Burnout?

Das hängt immer vom Schweregrad ab. Wenn ich von einer ausgeprägten Depression ausgehe, dann kommt man oft nicht drumherum, zu Beginn auch medikamentös zu behandeln, um gleichzeitig eine Psychotherapie einzuleiten. Darüber hinaus ist es ganz wichtig, sich anzuschauen, mit welchen Lernstrategien ein Kind eigentlich lernt. Hier sind Pädagogen gefragt, die eine Lernanalyse machen. Dann schaue ich mir mit den Kindern genau ihren Tagesablauf an, versuche ihre Schlafqualität zu verbessern. Manchmal schicke ich sie auch in die Physiotherapie oder zur Sportmedizin. Ich bastele ein individuelles Gesamtpaket aus verschiedenen Bestandteilen. Dann ist die Prognose gut.

Verschlimmert sich das Burnout-Phänomen bei Kindern in den nächsten Jahren noch? Und gibt es schon erste Erfolge in der Behandlung?

Wahrscheinlich lässt es sich nicht aufhalten, dass es sich im Kindesalter noch weiter ausdehnt, aber ich habe schon Hoffnung, dass wir es nicht so weit kommen lassen wie im Erwachsenenalter. Inzwischen habe ich viele ehemalige Patienten, die zufriedene junge Erwachsene geworden sind.

Buchtipp:

Michael Schulte-Markwort, Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert. Pattloch Verlag, München, 2015