AboAbonnieren

Namensrechtsreform„Namen haben Macht“ – Wie unser Name unsere Identität prägt

Lesezeit 6 Minuten
Auf einem Klingelschild in Berlin sind verschiedene Namen zu sehen. Zum Beispiel Müller, Grimm oder Schmidt,

Ein Name kann viel über eine Person aussagen, wie z.B. die Herkunft oder soziale Schicht – und nur mit berechtigtem Grund kann er geändert werden.

Der Bundestag hat eine Reform des Namensrechts beschlossen, das mehr Freiraum für Paare, Kinder und nationale Minderheiten bringt.

Im Interview spricht Barbara Aehnlich, Vorsitzende der Gesellschaft für Namensforschung (GfN), über die Bedeutung der Reform und das Verhältnis von Identität und Namen.

Frau Aehnlich, der Bundestag hat eine Reform des Namensrechts beschlossen. Beide Ehepartner dürfen nun einen gemeinsamen Doppelnamen tragen, Scheidungskinder den Nachnamen jenes Elternteils annehmen, der sie großzieht. Wie bewerten Sie die Reform?

Barbara Aehnlich: Ich begrüße sie sehr. Das vorherige Namensrecht tradierte alte Rollenbilder, indem es die Menschen zwang, sich zu entscheiden: Nur einer der beiden Ehepartner durfte einen Doppelnamen annehmen, für den anderen hieß es „dein Familienname oder meiner“.

Die Namensforscherin Anne Rosar sagte im Interview mit „ZEIT Online“, bei der Namenswahl würde „das Patriarchat noch gelebt“. Stimmen Sie dem zu?

Ja. Rosars Forschungen haben ergeben, dass in 71,9 Prozent aller heterosexuellen Ehen die Frau den Namen des Mannes annimmt. Die Begründung ist meist: „Wir planen, Kinder zu bekommen und wollen als Familie erkennbar sein.“ Der Preis ist allerdings, dass die Frauen einen Teil ihrer Identität abgeben, mit dem sie rund drei Jahrzehnte lang gelebt haben.

Sprachlich wird die Frau dadurch ein Stück weit unsichtbar. Ob sich zukünftig tatsächlich deutlich mehr Paare für einen gemeinsamen Doppelnamen entscheiden, wird sich zeigen. Übrigens ist diese Praxis, dass die Frau den Namen des Mannes übernimmt, gar nicht so alt, wie man oft meint.

„Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“

Seit wann übernimmt die Ehefrau den Namen des Mannes?

Unter Adligen gab es das bereits im 14. Jahrhundert, unter Bürgerlichen bis ins 16. Jahrhundert und auf dem Land setzte sich dieser Brauch erst um 1820 konsequent durch. Das heißt aber keineswegs, dass die Frauen selbstbestimmter waren. Sie trugen bloß den Namen des Vaters, nicht des Ehemanns.

Was verrät uns eigentlich ein Name über den Menschen, der ihn trägt?

Der Vorname sagt – in Deutschland mehr als in vielen anderen Ländern – oft etwas über das Geschlecht aus, wobei geschlechtsneutrale Vornamen beliebter werden. Er trägt aber auch soziale Informationen weiter, über die Herkunft etwa oder die „Schicht“, wenn man diesen Begriff noch verwenden möchte. Denken Sie an das Statement „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“, das ein Lehrer 2009 im Rahmen einer Umfrage getätigt hat.

Und was verrät uns der Nachname?

Zuerst entscheiden wir intuitiv zwischen herkömmlichen, mehr oder weniger „deutschen“ Namen und Namen fremder Herkunft. Über die individuelle Person gibt der Nachname kaum Auskunft, da er über eine lange Zeit durch den Familienvater weitergegeben wurde. Finden wir einen norddeutschen Namen in Mitteldeutschland, erhalten wir Informationen über die Geschichte dieser Namenslinie, eine konkrete Einschätzung der Person ist aber nicht möglich.

Beim „Deutschen Familienatlas“ kann man etwas über den eigenen Namen lernen

Manche Namen können auch als Einblick in unsere Geschichte betrachtet werden. „Schmidt“ wird vom Schmied abgeleitet, „Wagner“ vom Wagenbauer. Was verraten uns Familiennamen über unsere Gesellschaft?

Unter den zehn häufigsten Namen haben wir vor allem Namen wie Müller, Schmidt und Meier, die in der Tat von den historischen Berufen herkommen. Aber auch historische Wanderbewegungen lassen sich darin ablesen. Hier empfehle ich jedem, der sich für die Geschichte des eigenen Nachnamens interessiert, den „Deutschen Familiennamenatlas“. Online wird man im Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschland (DFD) fündig, unter der Adresse www.namenforschung.net.

Was versteckt sich denn hinter Ihrem Namen, Frau Aehnlich?

Das ist eine gute Frage, auf die ich noch keine genaue Antwort habe. Entweder es gab es tatsächlich jemanden, der jemand anderem oder etwas „aehnlich“ war, ohne zu wissen, worin genau diese Ähnlichkeit bestand. Es könnte aber auch „aenle“ drinstecken, was „Großvater“ bedeutet, oder „enelîch“, das mittelhochdeutsche Wort für die „Vorfahren“. Was das dann genau bedeuten soll, weiß ich leider auch nicht, schließlich stammen wir ja alle von unseren Vorfahren ab. Sie sehen, die richtige Lösung fehlt mir noch, was für eine Namensforscherin natürlich ziemlich gemein ist. (lacht)

Aus deutscher Sicht erscheinen die Namensgebungen in anderen Nationen oft besonders. Die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten heißt nicht Selenskyj, sondern Selenska, und ein dänischer Herr Gunhildsøn hatte möglicherweise eine Gunhild als Mutter. Erscheint Ihnen im Vergleich die deutsche Namenstradition nicht ein wenig langweilig?

Nein, auf keinen Fall. Diese sogenannten Patronyme werden in den Ländern selbst stark kritisiert. Sei es im Skandinavischen die Endung „‑son“ oder „‑sen“ bei den Männern und „‑dóttir“ bei den Frauen, oder die slawischen Ableitungen auf „‑a“ und „‑aja“ – das spiegelt in der Regel die Beziehung zum Mann wider, zum Vater oder Ehemann. Bei den Frauen heißt es „Tochter von“ oder „Frau von“. So gesehen können wir mit unseren traditionell deutschen Namen schon sehr glücklich sein.

Beim „Meshing“ gehen kulturhistorische Informationen verloren“

Das neue Namensrecht soll auch nationalen Minderheiten mehr Freiraum geben, ihre Namenstraditionen auszuüben.

Ein wichtiger Schritt. Beim Sorbischen oder Friesischen handelt es sich zum Beispiel um Minderheitensprachen, die auszusterben drohen. Auch bei der Benennung und Beschilderung von Ortsnamen wird hier viel getan, was ich begrüße. Denn im Alltag spielen diese Sprachen eine untergeordnete Rolle. Im Bereich der Namen aber lässt sich der Status als kulturell bedeutsame Minderheit aufrechterhalten und die Identität stärken.

Ein Vorschlag der Grünen hat es nicht ins Namensrecht geschafft: das sogenannte Meshing, also die Möglichkeit, dass sich Frau Meier und Herr Schmidt zum Beispiel den Ehenamen Schmeier geben. Ist das eine verpasste Chance für mehr Vielfalt?

Dazu habe ich noch keine feste Meinung. Einerseits begrüße ich es natürlich, wenn Menschen frei über ihren Namen und ihre Identität entscheiden. Andererseits würden all die kulturhistorischen Informationen verloren gehen, wenn aus Müller und Meier plötzlich „Meiler“ oder „Schnecker“ aus Schneider und Becker würde. Nicht als Wissenschaftlerin, sondern als Privatperson würde ich sagen, das wäre gewöhnungsbedürftig. Vor allem aber kann ich mir nicht vorstellen, dass das viele Menschen tun würden.

Frei über seinen Namen zu entscheiden ist ein Akt der Selbstermächtigung. Denkt man an den biblischen Adam, der die Tiere des Paradieses benennt (1. Mose 2,19), stellt sich die grundsätzlichere Frage: Welche Kraft hat die Vergabe eines Namens?

Es ist ein Akt der Aneignung. Auch Christoph Kolumbus benannte nach seiner Entdeckung Amerikas alles, was er sah. Das hatte zwar schon Namen, von denen er nichts wusste, aber indem er die Tiere, Flüsse und Wälder benannte, nahm er sie in Besitz und sie wurden seins – oder zumindest spanisch. In der Zeit des Kolonialismus ist das andauernd geschehen, und wir sollten uns bei diesem Thema nicht nur auf wirtschaftliche Ausbeutung oder Raubkunst konzentrieren. Wir dürfen nicht vergessen: Namen haben Macht.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.