Neue Freiheiten, weniger ZwängeWarum Ältere neue Beziehungen unbedingt wagen sollten
Die Ehe ist am Ende, die Kinder aus dem Haus. Manchmal ist auch einer vor dem anderen gestorben. Und dann bleibt man zurück, nicht mehr ganz so jung, nicht mehr berufstätig. Zeit ist im Überfluss vorhanden, nur niemand, der sie mit einem teilt. Aber im Alter noch mal eine neue Beziehung eingehen? Sich noch mal neu verlieben? Unbedingt, sagt Paartherapeut Stefan Woinoff aus München – und erklärt, was Ältere Jüngeren in Sachen Beziehung voraushaben.
Warum sollen sich ältere Singles noch mal auf eine Beziehung einlassen? Viele sind doch froh, dass sie nicht mehr diskutieren müssen, wie herum die Kaffeetassen in den Schrank einzuräumen sind...
Stefan Woinoff: Vielleicht möchte jemand nicht mehr, dass ihm zu Hause einer reinredet. Das heißt aber nicht, dass er nicht gern jemanden hätte, mit dem er mal eine Tasse Kaffee trinken oder ein Wochenende in einem schönen Hotel verbringen kann.
Ältere Menschen haben einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie brauchen die klassische Beziehungs-Schablone nicht mehr. Die „Rush Hour of Life“ ist rum, man muss keine Kinder mehr in die Welt setzen, keine Familie mehr gründen. Man ist viel freier in der Gestaltung dessen, was man selbst als bereichernde Beziehung empfindet.
Ich könnte mir vorstellen, dass gerade Frauen die Sorge haben, dass sie dann noch mal einen Mann versorgen müssen.
Woinoff: Das stimmt. Viele ältere Männer wollen aber auch nicht mehr mit einer Frau zusammenziehen. Sie haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass sie in ihrer Ehe ständig bevormundet wurden. Die suchen dann auch eher eine unkomplizierte Liaison.
Dafür braucht man doch aber keine Beziehung, oder?
Woinoff: Natürlich kann man auch mit einem Freund oder einer Freundin Kaffee trinken oder ins Theater gehen. Es ist für manche aber einfach schön zu wissen, dass jemand automatisch da ist. Dass man sich nicht erst groß verabreden muss, sondern zum Beispiel weiß, dass man am Wochenende den Partner trifft. Das ist das eine.
Das andere ist, dass man in dieser Generation manchmal als Single ausgeschlossen ist. Paare sind – natürlich je nachdem, wo man lebt – ein Stück weit gesellschaftsfähiger. Und natürlich hört auch das Bedürfnis nach Liebe nie auf.
Sollte, wer nicht mehr das ganze Programm möchte, das offen ansprechen, wenn er jemanden kennenlernt?
Woinoff: Ich bin dafür, dass man gleich formuliert, was man sich vorstellt: Möchte ich noch mal zusammenziehen und gemeinsam alt werden, oder suche ich nur jemanden, um gemeinsam ins Theater zu gehen? Möchte ich auch oder ausschließlich auf der körperlich-erotischen Ebene zusammenkommen? Es wird viel zu viel nicht gesagt, gerade wenn es um Liebe im Alter geht. Auch die Oma sollte meiner Meinung nach sagen können: „Ich hab morgen ein Date. Mal schauen, ob der auch gut küsst.“ Momentan dürfte das in Deutschland nicht so oft vorkommen.
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Warum ist das eigentlich so? Warum trauen sich vor allem ältere Frauen nicht zu sagen, dass sie noch geliebt werden möchten, dass sie vielleicht auch noch Sex haben wollen?
Woinoff: Ein Teil des Problems ist sicherlich der Optimierungswahn. Eine Frau muss jung, schön, geradezu perfekt aussehen - dann darf sie mit ihrem Partner Liebe machen. Das Kuriose ist, dass viele Frauen, die sich selbst nicht gefallen, tatsächlich weniger Lust auf Sex haben. Das würde keinem Mann einfallen. Dem muss die Frau gefallen, wie der selber aussieht, ist dem völlig egal. Der Körper, auf den beide schauen, ist immer noch der der Frau. Wir sollten lernen, mit den körperlichen Unvollkommenheiten, die ab einem gewissen Alter ja quasi unvermeidbar sind, entspannter umzugehen.
Hört sich gut an. Aber wie gelingt einem das?
Woinoff: Zunächst mal muss man in den Ring steigen. Das heißt: Rausgehen, dahin, wo Leute sind - und sei es erstmal im Internet. Für ältere Menschen kann das eine gute Option sein, jemanden kennenzulernen. Auf Partys gibt es einen einfachen Trick. Statt sich den ganzen Abend zu fragen, ob man begehrenswert ist, sollte man sich fragen: Wen begehre ich denn? Ein großes erotisches Moment ist, begehrt zu werden. Ein Lächeln kann viel anziehender sein als die schönste Fassade.
Gut, reden wir über Sex. Ist der anders im Alter?
Woinoff: Viele sagen, dass er besser ist. Dafür ist auch der Faktor Zeit entscheidend. Junge Paare mit Kindern sind häufig todmüde, wenn sie abends im Bett liegen. Solche Probleme haben ältere Menschen in der Regel nicht. Sie können morgens, mittags, abends Sex haben. Klingelt die Nachbarin, lässt man sie halt mal vor der Tür stehen. Da passiert ja nichts Schlimmes. Schreit dagegen ein Kind, ist es meistens günstig, wenn man da hingeht als Mutter oder Vater. Ältere müssen sich auch nichts mehr beweisen. Sie haben so Sex, wie sie das möchten.
Der eine oder andere hatte allerdings vielleicht schon eine ganze Weile keinen Sex mehr. Wie überwindet man seine Scheu?
Woinoff: Man braucht dafür Mut, keine Frage. Aber es ist einfacher, mit einem neuen Partner Sex zu haben, als in einer bestehenden Partnerschaft, in der seit zehn Jahren kein Sex mehr stattgefunden hat. In einer neuen Partnerschaft hat man die Chance, sich neu zu definieren. Man traut sich vielleicht auch, Fantasien auszuleben, die man mit dem eigenen Ehemann oder der Ehefrau nie hätte ausleben können. Auch wenn man es lieber langsamer angehen lassen möchte, sollten man das klar sagen.
Ältere Menschen haben manchmal Angst vor Veränderungen. Sich neu zu verlieben ist ja eine ganz gehörige Veränderung. Wie überwindet man die Angst vor einem solchen Kontrollverlust?
Woinoff: Indem man sich klarmacht, dass eigentlich nicht viel passieren kann. Auch da sind Ältere im Vorteil: Als jüngerer Mensch riskiert man vielleicht seine Ehe, seine Familie oder den Erfolg im Job, wenn man sich total verliebt. Was riskiert man denn im Alter? Gegen solche Ängste hilft auch, es langsam angehen zu lassen und sich nicht zu überfordern. Sich zu verlieben heißt nicht zwingend, die Kontrolle über das eigene Leben abzugeben.
Sie sagten vorhin, Ältere hätten den Vorteil, dass die Rush Hour vorbei ist. Wenn man sich spät noch mal verliebt, stellt sich dafür die Frage, wie man alt werden möchte. Spricht man das besser gleich an?
Woinoff: Unbedingt. Viele ältere Frauen haben schon mal jemanden gepflegt und wollen das vielleicht nicht noch mal machen. Dann sollten sie das sagen. Man kann zum Beispiel ausmachen: „Solange wir fit sind, machen wir schöne Sachen zusammen. Aber danach haben wir nicht zwingend die Verantwortung füreinander.“ Wenn beide damit einverstanden sind: Warum nicht? Man darf im Alter ruhig etwas nüchterner auf die letzte Phase des Lebens schauen. (dpa)