Dating mit 60+„Wir haben Angst auf die Fresse zu kriegen und werden vorsichtiger“
- Kann man sich im Alter noch einmal verlieben? Oder ist es irgendwann zu spät für einen Neuanfang?
- Der Journalist Kai Lippens begab sich mit Ende 50 auf die Suche nach einer neuen Partnerin. Frauen traf er dabei viele, nur binden wollte sich keine. Darüber hat er ein Buch geschrieben.
- Wir haben mit dem Journalisten über seine Erlebnisse gesprochen und eine Psychologin gefragt, wie es mit einer neuen Liebe im Alter klappen kann.
- Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv und wurde zuerst im August 2020 veröffentlicht.
Köln – „Ich suche auf diesem Weg für mich einen Partner, wo es nochmal so richtig funkt und knistert.“„Mann: frische 60-fit-beweglich-vorzeigbar-geerdet-genussfähig-natürlich sucht (gerne für ewig) Frau: frech-lebendig-schlau-sinnlich-klar.“ „Mir fehlt das vertraute Du.“ Kontaktanzeigen wie diese gibt es zuhauf – online, in der gedruckten Zeitung, auf Dating-Portalen, in Apps. Sie alle suchen eine neue Liebe, fühlen sich vielleicht manchmal einsam, allein und wollen doch nur eines: lieben und geliebt werden. Manche wollen auch nur Spaß – in der Regel weisen sie das aber deutlich aus, um Ärger zu vermeiden. Bei einem kurzen Blick auf die Gesuche stellt sich die Frage: Wieso finden die denn alle keinen Partner? Wenn doch so viele suchen?
Wer sich im Wirrwarr des „Ich suche dich“ besonders gut auskennt, ist Kai Lippens. Er sucht nämlich selbst. Kai Lippens heißt in Wahrheit anders, aber nur wenige kennen seinen richtigen Namen. Unter diesem Pseudonym hat der Journalist – den Beruf übt er auch in Wirklichkeit aus – nämlich alles erzählt: Die lustige, mitunter oft frustrierende Wahrheit über die Partnersuche in der „zweiten Lebenshälfte“.
„Das Herz kriegt keine Falten“ heißt sein Buch, das aus einem Zeitungstext für die „taz“ entstanden ist. Auf 270 Seiten berichtet Lippens mit einem Augenzwinkern von seinen Erfahrungen. Damit die Damen, die in den vergangenen Jahren seinen Weg – oder sein Bett – gekreuzt haben, sich nicht vorgeführt fühlen, hat er Namen, Wohnorte und andere Details verändert. Doch diese detektivische Arbeit täuscht nicht über die Atmosphäre zwischen den Zeilen hinweg. Im Laufe des Buches – und auch im Gespräch mit dem Autoren – wird klar: So lustig es für einen Außenstehenden scheint, die Suche nach einer neuen Liebe ist so anstrengend wie ein Langstreckenlauf.
Lippens hat alles ausprobiert: Online-Portale, Wochenmarkt, Tinder
Trotz einiger längerer Beziehungen sitzt Kai Lippens mit 60 Jahren allein auf dem Sofa. Und er vermisst die Zweisamkeit. Also macht er sich auf die Suche nach einer Frau. Oder wie er so schön schreibt: „Ich weiß, was Sie jetzt vielleicht denken: Viel Glück, alter Mann.“ Und dieses Vorurteil bestätigt sich auch in seiner Suche in den darauffolgenden Jahren. Zahlreiche Flirts, Begegnungen, Affären, vielsagende Blicke und ungezählte Klicks später ist Kai Lippens – mittlerweile 63 Jahre alt – immer noch Single. Selbst Leonie, von deren Bekanntschaft er im letzten Kapitel des Buches unter der Überschrift „Happy Ends?“ berichtet, ist nicht mehr aktuell. „Es ist nur noch eine Freundschaft – ohne Plus“, fasst er im Gespräch zusammen. „Es ist nicht das beste Happy End.“
Mangelndes Durchhaltevermögen kann man ihm nicht vorwerfen. Lippens hat alles ausprobiert: Online-Portale, den Flirt auf dem Wochenmarkt und auch die Wisch- und Weg-Welt der Dating-App Tinder. Nichts half auf der Suche nach einer langfristigen Partnerin. Stattdessen schrieben ihm viele Leserinnen – es waren nur wenige Männer – auf seinen Zeitungsartikel von ihren Erfahrungen. Eine Erkenntnis für Lippens: „Frauen über 50 ergeht es offenbar bei der Partnersuche nicht besser als mir. Sie fühlen sich unverstanden und ignoriert. Diese Männer!“ heißt es im Buch.
„Wir haben Angst auf die Fresse zu kriegen und werden vorsichtiger“
Der Autor bestätigt dieses Bild auch im persönlichen Gespräch. „Wir suchen alle die eierlegende Wollmilchsau – egal in welchem Alter“, so Lippens am Telefon. Davon müssten wir uns versuchen freizumachen. Das Problem im zunehmenden Alter sei aber: „Wir haben eben auch oft diverse schlechte Erfahrungen gemacht und in der Erinnerung dominiert dann das Schlechte. Wir haben Angst auf die Fresse zu kriegen und werden vorsichtiger.“ Zudem seien viele in ihrem Leben bequem eingerichtet. „Viele können sich nicht mehr vorstellen mit jemand anderem zusammenzuziehen. Und wir erwarten auch nicht mehr viel – wir sind hoffnungsarm und leben mit angezogener Handbremse.“
Aber gibt es denn ab einem gewissen Alter gar keine Hoffnung mehr? Haben wir nur bis zu einer magischen Altersgrenze die Möglichkeit nochmal die große Liebe zu finden? Mit allem Drum und Dran? Bauchkribbeln, flirten, romantische Dates – und gutem Sex?
Nein, beruhigt Diplom-Psychologin Andrea Schaal aus Köln. Aber es sei mehr Arbeit, sagt die Paar-Therapeutin. „Wenn ich Angst habe, allein zu sein, wirke ich schnell bedürftig. Und wer will schon jemanden an sich binden, der bedürftig ist?“ Stattdessen ist ihr Rat: „Frisch, offen und ehrlich auf Partnersuche zu gehen – auf allen verfügbaren Ebenen.“ Das Online-Portal darf genauso gerne genutzt werden, wie der regelmäßige Besuch auf dem Wochenmarkt oder der offene Blick im Sportverein – gleiche Interessen verbinden sowieso. „Es ist Arbeit sich zu zeigen“, bestätigt Schaal. Wichtig sei aber, dass wir zufrieden mit uns selbst sind – auch ohne Partner. Diese Zufriedenheit würden wir vor uns her tragen wie ein Aushängeschild – oder eben auch nicht.
Ältere Frauen haben große Scham, sich auszuziehen – Lippens findet das „extrem traurig“
Doch das ist leichter gesagt als für viele getan. Kai Lippens hat zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass vor allem Frauen älteren Semesters große Scham haben, sich auszuziehen. „Unser Schönheitsideal ist ein großes Hemmnis“, sagt er. „Und das finde ich extrem traurig. Als Mann erwarte ich doch von einer Frau mit Anfang 60 keinen Körper wie den eines 18-jährigen Models.“ Jedoch können sich offenbar viele Frauen auch mit steigender Lebenserfahrung nicht davon frei machen, möglichst perfekt auszusehen. Kai Lippens hat von vielen Frauen gehört, deren Freundinnen entsetzt waren, als sie erzählten, dass sie sich „einfach so“ mit einem Mann getroffen hätten – und dann auch noch beide zu späterer Stunde nackt waren.
Mit der Zeit hat Lippens aber auch noch eine Beobachtung gemacht: Der 60. Geburtstag ist eine magische Grenze. Als er seine 50er verließ, wurden ihm auf Onlineportale schlagartig im Schnitt fünf Jahre ältere Frauen angezeigt. „Viele Leute suchen gar nicht erst ab 60“, so Lippens. „Sie haben Angst vor einem Pflegefall“, ist er überzeugt. „Nach dem Motto: Da hast du noch drei Jahre Spaß an ihm und dann ist es vorbei.“
Ältere Frauen wollen keine Partner mehr, den sie betüddeln müssen
Andrea Schaal kann dieses Klischee bestätigen. „Mit 60 denken viele ans Rentenalter, das ist ein vorurteilsbehaftetes Bild“, so die Paar-Therapeutin. „Mit Alten will niemand etwas zu tun haben, so das Bild. Stattdessen erhoffen sich Suchende gute Gesundheit und Vitalität vom Partner. Und das verbinden viele nicht mit Menschen ab 60.“ Doch Andrea Schaal kennt noch mehr Probleme, die sich hinter dieser späten Partnersuche verbergen. „Stellen wir doch einmal die Frage: Was macht jemand mit 60 Jahren in der Partnersuche? Entweder ist er verwitwet, geschieden oder hat sonstige ,Altlasten’“, fasst sie zusammen. Zudem haben Menschen in einem gewissen Alter eben auch viel erlebt. „Viele Männer wurden Zuhause umsorgt, mussten Zuhause nichts machen. Die Frau hat sich um alles gekümmert: putzen, kochen, waschen. Und die Männer dieser Generation erwarten oftmals das gleiche, wenn sie eine neue Frau haben.“
Und die Frauen? „Frauen dieser Generation – der Versorgerinnen – hatten so eine Situation ihr Leben lang und sind jetzt oft heilfroh, dass sie niemanden mehr betüddeln müssen“, sagt Schaal. Wenn dann eine ältere Frau nochmal einen Partner sucht, wolle sie eher vermeiden, genauso einen Mann, der ständig umsorgt werden will, wieder zu finden – sie genieße stattdessen ihre Freiheit. „Und bei so unterschiedlichen Wahrnehmungen ist es schwierig, wieder eine Partnerschaft aufzubauen“, so die Psychologin.
Freunde bieten Rückhalt und Geborgenheit, aber keine Sexualität
Ziemlich deprimierende Aussichten. Die jungen Single-Leser mögen denken: Hoffentlich finde ich noch rechtzeitig einen Partner, der mir dann bis zum Lebensende bleibt. Die jungen vergebenen Leser bangen, dass ihre Beziehung nicht bis zur magischen Altersgrenze zerbricht. Die älteren Vergebenen: Gott sei Dank bin ich unter der Haube und jetzt wollen wir uns auch nicht mehr trennen. Und die älteren Single-Leser denken: Oh je, ich lass es vielleicht doch bleiben mit der Partnersuche.
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Für Andrea Schaal steht aber fest: Es lohnt sich immer, nach einem Partner fürs Leben Ausschau zu halten. „Überprüfen Sie aber ihre eigene Motivation“, rät die Psychologin. „Will ich um jeden Preis eine Partnerschaft? Kann ich nicht alleine sein?“ Wenn die Antwort darauf „Ja“ heißt, stecken oft festgefahrene Glaubenssätze dahinter wie „Ich bin wertlos“, „Ich bin hilflos“. Die gute Nachricht: „Daran kann man arbeiten“, verspricht die Paar-Therapeutin – Möglichkeiten bietet zum Beispiel eine Therapie. Und: Die Arbeit lohnt. „Es ist enorm wichtig, auch im Alter einen Partner zu haben“, so Andrea Schaal. „Es ist in uns angelegt, nicht alleine zu sein. Wir wollen emotional und körperlich anderen Menschen nah sein.“. Auch hört das Verlangen nach Sexualität nicht mit der magischen 60 auf. „Wir lieben es angefasst zu werden und wollen angefasst werden. Das stärkt übrigens auch das Immunsystem und macht uns glücklich.“ Ein großer Freundeskreis biete zwar Rückhalt und für viele auch Geborgenheit, aber eben keine Sexualität.
Und all die Arbeit, all der Frust, das anfängliche Schamgefühl, die Neugier, die Blind-Dates und die Flirts – sie lohnen. Es tut auch uns selbst gut, zu lernen: Ich komme gut mit mir selbst zurecht – aber es ist eben noch toller das Leben mit jemandem zu teilen. „Und selbstbewusst zu sagen: Ich will bereichert werden“, so Andrea Schaal.
Wenn wir aufeinander aufpassen, uns und unseren Partner achten, geht es uns besser, so die Wissenschaft. Wir gehen eher zum Arzt, wenn wir jemandem wichtig sind. Wir achten eher auf unsere Ernährung. Das sind die oberflächlichen, aber positiven Fakten. Und schlussendlich sind wir einfach glücklicher, wenn wir mit einem Partner zusammen sind. Und dafür lohnt sich die Suche, egal in welchem Alter. Oder wie es Kai Lippens formuliert: „Vielleicht sind wir alle tatsächlich mit 50 oder Anfang 60 viel zu jung für die Liebe.“