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Schulphobie nach CoronaWarum Schule manchen Kindern gerade richtig Angst macht

Lesezeit 7 Minuten
Ein Junge steht ängstlich im Schulflur.

Nach der langen Corona-Zeit ist Schule für manche Kinder zu einem Ort geworden, der Ängste auslöst (Symbolbild).

Köln – Im Augenblick freuen sich die meisten Schüler, endlich wieder mit ihren Klassenkameraden zusammen lernen zu dürfen. Für manche Kinder aber ist die Rückkehr zur Schule eine schwierige Herausforderung. Sie haben Probleme, sich nach dem Hin- und Her der Corona-Zeit wieder in der Schulwelt zurechtzufinden. Und für einige ist Schule sogar zu einem Ort geworden, der echte Ängste auslöst.

„Ein Mädchen aus der vierten Klasse weint viel und klagt die ganze Zeit über Bauchschmerzen, sie ist ganz lethargisch und kann gar nicht mehr dem Unterricht folgen“, erzählt die Schulsozialarbeiterin einer Kölner Grundschule, die anonym bleiben möchte. „Sie sagte mir, sie möchte nicht in die Schule, sondern daheim bleiben bei ihren Eltern. Und sie hasse alle Fächer.“ Zuhause gehe es dem Kind gut. Medizinisch sei bereits alles abgeklärt worden, es handele sich also um psychosomatische Beschwerden. „Für sie sind die Schmerzen real“, erzählt die Sozialarbeiterin. „Und sie sagt klar, ihr würde es nur helfen, wenn Mama und Papa in der Schule bei ihr wären.“ Das Mädchen schaffe kaum einen ganzen Schultag, die Mutter habe sich sogar von ihrem Job beurlauben lassen, um für ihr Kind da zu sein.

In der Schule werden die Schmerzen schlimm

Und es gäbe noch weitere Fälle an ihrer Schule. „Ein Junge aus der dritten Klasse klagt regelmäßig über starke Kopfschmerzen, auch hier nur im Zusammenhang mit der Schule.“ Nach der zuletzt unsteten Zeit sei es für ihn besonders schwer, sich wieder an das frühe Aufstehen, das Lernen und Aufpassen zu gewöhnen, sage die Mutter. „Bei beiden Kindern fangen die Beschwerden bereits am Vortag abends an und werden richtig schlimm, wenn sie in der Schule sind“. Daheim sei dann alles wie weggeblasen.

„Löst Schule bei Kindern Symptome dieser Art aus, dann spricht man auch von Schulphobie oder Schulangst“, erklärt Karen Wooding vom Schulpsychologischen Dienst in Köln. „Schulphobie beschreibt eine Trennungsangst, also die Angst eines Kindes, die Eltern oder die Familie verlassen zu müssen.“ Unter den Begriff Schulangst fielen wiederum Ängste, die durch Schule verursacht würden, wie die Angst vor Leistungsversagen, Konflikten oder Mobbing in der Schule.

Seit Corona häufen sich die Fälle von Schulangst

„Wir haben den Eindruck, dass es seit Corona sowohl mehr Fälle von Schulangst als auch von Schulphobie gibt“, sagt Wooding. In welchem Ausmaß das zugenommen habe, könne sie nur mutmaßen, da es keine Zahlen gäbe, doch auch kinder- und jugendpsychiatrische Praxen berichteten von einem enormen Zulauf von Schülern mit Hilfsbedarf. Auch die Schulsozialarbeiterin bestätigt den Anstieg: „Ich hatte früher ab und zu den Fall, dass ein Kind ungern in die Schule kam“, sagt sie, „aber seit den Ferien häuft es sich, vor allem auch bei älteren Kindern.“ Das erzählten auch die anderen Schulsozialarbeiter aus ihrem Team, die an verschiedenen Kölner Grundschulen arbeiteten.

Warum die Corona-Zeit das Schulleben für Kinder noch schwerer mache, dafür gäbe es viele Gründe, sagt Wooding. Vor allem Schüler des jetzt zweiten und sechsten Schuljahres hätten im vergangenen Corona-Jahr erst gar nicht richtig in ihrer Schule ankommen und in eine Schulroutine reinwachsen können. „Statt fester Strukturen und klarer Abläufe, die sonst Sicherheit schaffen, gab es für diese Kinder schon am Anfang ihrer Schulkarriere ganz viel Unsicherheit, immer wieder mussten sie sich auf neue Situationen und Anforderungen einstellen.“

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„Jetzt will mein Kind gar nicht mehr zur Schule“

Gerade ängstlichere Kinder, denen die Trennung von den Eltern sowieso schwer falle und die nur schwer Kontakte knüpfen könnten, treffe es jetzt noch einmal härter. „Eltern von Zweitklässlern rufen bei uns an und sagen: ‚Wir hatten es doch eigentlich so gut geschafft, aber jetzt will mein Kind gar nicht mehr zur Schule gehen, wir fangen ganz von vorne an.“

Dass sie nicht mehr oder noch nicht an eine Klassengemeinschaft gewöhnt seien, merke man einigen Kindern deutlich an, erzählt die Sozialarbeiterin. „Manchen ist es viel zu laut und voll in der Klasse, sie wünschen sich sogar den Wechselunterricht zurück, als nur die halbe Klasse da war, weil sie sich da besser konzentrieren konnten.“

Auch die unmittelbaren Auswirkungen von Corona machten sich bemerkbar. „Ein Mädchen isst gar nichts mehr in der Schule, weil sie Angst hat, sich bei Klassenkameraden anzustecken“, berichtet die Schulsozialarbeiterin. Einige Kinder machten sich Sorgen um ihre Eltern, die in der Pandemie stark belastet seien, ihren Job verloren hätten oder sich mehr streiten würden. „Ich habe das Gefühl, die Kinder befürchten, dass etwas mit Mama und Papa sein könnte, wenn sie den ganzen Tag weg sind.“

Leistungsmäßig abgehängte Kinder mit Versagensangst

Andere Kinder verweigerten die Schule oder litten unter psychosomatische Beschwerden, weil sie befürchteten, Leistungen nicht erfüllen zu können, so Karen Wooding. „Betroffen sind vor allem jene Kinder, die beim Distanzlernen Schwierigkeiten hatten und leistungsmäßig abgehängt worden sind, das zeigt sich über alle Altersgruppen hinweg.“

Die Gründe für eine Schulangst können also vielfältig sein und sind nicht immer leicht zu ergründen. Auch was die Symptome betrifft, ist es aus Elternsicht manchmal gar nicht so leicht zu erkennen, ob ein Kind einfach keine Lust auf Unterricht hat oder eine ernstzunehmende Angst dahintersteckt. „Viele Kinder wollen mal nicht in die Schule, weil sie sich etwa mit ihrer Freundin gestritten haben“, sagt die Schulsozialarbeiterin, „aber wenn es dauerhaft anhält, müssen Eltern handeln, bevor die Kinder gar nicht mehr rauskommen.“

Verweigerung und Fehlstunden, bis das Kind gar nicht mehr geht

Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn jüngere Kinder zum Beispiel schon abends vor dem Schultag weinten, wenn es immer wieder Verabschiedungsdramen am Schultor gebe oder sie wiederholt über Bauch- und Kopfweh klagten, rät Wooding. „Auch wenn ein Kind insgesamt unglücklicher wirkt, sich sozial stärker zurückzieht und sich durch die Woche schleppt, aber am Wochenende aufblüht, dann sind das Indikatoren, bei denen Eltern hingucken müssen.“ Manchmal zeige es sich auch als Vermeidungsverhalten, dass Schüler im Unterricht nicht mitmachten, sich unter den Tisch setzten oder aggressiv seien. Bei Jugendlichen komme es im Zweifelsfall zu immer mehr Fehlstunden, bis sie irgendwann gar nicht mehr zur Schule gingen.

Wenn Eltern sich Sorgen machten, sollten sie in einem ruhigen Moment das Gespräch mit ihrem Kind suchen, erklärt Wooding. „Sie könnten sagen, was ihnen am Kind auffällt und nachfragen, was los ist. Dann sollten sie gut zuhören, am besten ohne zu dramatisieren.“ Zunächst müsse ergründet werden, was dem Kind solche Probleme mache. Anschließend könnte man gemeinsam überlegen, was sich an der Situation ändern lasse, damit es dem Kind leichter falle, wieder zu gehen. „Wenn es anhaltende körperliche Beschwerden gebe, sollten Eltern das auch ärztlich überprüfen lassen.“

Schulen begleiten betroffene Kinder meist individuell

Wichtig sei es zudem, Rücksprache zu halten mit der Schule und den Klassen- bzw. Beratungslehrern. „Die Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter unterstützen hier in der Regel“, sagt Wooding. Viele Schulen hätten Konzepte, um betroffene Kinder individuell zu begleiten. „Wenn es nötig ist, nehmen wir ein Kind auch morgens am Tor in Empfang, begleiten den Abschied und trinken dann vielleicht erstmal einen Tee mit ihm oder ihr, bevor es in die Klasse geht“, berichtet dazu die Schulsozialarbeiterin. Auch im Fall der Viertklässlerin mit den Bauchschmerzen arbeite das Team der Schulsozialarbeiter eng mit der Familie zusammen, um die Situation für das Mädchen zu verbessern. Sie bekomme nun unter anderem auch Unterstützung von einem Kinderpsychologen.

Schulpsychologischer Dienst

Das Team vom Schulpsychologischen Dienst berät Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte bei allen psychologischen Fragen und Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Schule auftreten können.

Telefon: 0221-221-29001 und 221-29002

Mail: schulpsychologie@stadt-koeln.de

Wenn Sie NICHT in Köln wohnen, wenden Sie sich bei Fragen bitte an den Schulpsychologischen Dienst in Ihrer Stadt oder Ihrem Kreis.

Rat holen können sich Eltern auch jederzeit beim Schulpsychologischen Dienst. „Wir sind in solchen Fällen für Eltern und Kinder da, schauen genau hin und beziehen, falls gewünscht, alle Beteiligten in den Prozess mit ein“, erläutert Karen Wooding. Viele Jugendliche öffneten sich gerade gegenüber einem Dritten eher als zuhause, wo die Situation schon festgefahren sei.

Je länger das Kind nicht geht, desto größer wird die Angst

In den Gesprächen müsse sie Eltern oft klar machen, dass es nicht helfe, ihr Kind so lange wie möglich zuhause zu lassen. „Angst führt zu Vermeidung. Wenn ein Kind sich in der Schule unwohl fühlt, möchte es sie also vermeiden. Aber mit jedem Tag, den es nicht geht, wird dieses Vermeidungsverhalten gestärkt. So wird die Angst aber nicht überwunden.“ Sei ein Kind erstmal richtig lange zuhause gewesen, werde es jeden Tag schwieriger. „Die Botschaft der Eltern sollte deshalb sein: ‚Du musst in die Schule gehen, mit allen Hilfen, die du brauchst!‘“ Insbesondere für jüngere Schüler sei es ein wichtiger Entwicklungsschritt, alleine zur Schule zu gehen. „Den Schritt kann das Kind nur selbst gehen, es ist aber der einzige Weg, damit die Angst kleiner wird.“