„Dealer sind heute bei Instagram“Wie Eltern mit Kindern über Drogen sprechen sollten
Köln –
In „Bis einer stirbt“ erzählt die Investigativ-Journalistin Isabell Beer die Geschichte von Leyla und Josh. Zwei Jugendliche, die sich im echten Leben nie getroffen haben, aber in einer Whatsapp-Gruppe gemeinsam Drogen konsumiert haben. Josh stirbt an einer Überdosis, Leyla nimmt bis heute Heroin. Nach einer dreijährigen Recherche gibt die Autorin detaillierte Einblicke in eine Drogenszene, die sich längst von der Straße in Soziale Netzwerke verlegt hat. Beer plädiert für eine neue Drogenpolitik, Drug-Checkin-Stellen und gibt Tipps, wie Eltern mit ihren Kindern über Drogen sprechen sollten.
Frau Beer, welche Einblicke in das Leben der beiden drogenabhängigen Jugendlichen Josh und Leyla haben Sie besonders schockiert?
Isabell Beer: Josh musste sein Zimmer gar nicht verlassen, um mitten in der Drogenszene zu sein. Mir war nicht klar, dass das möglich ist. Er hat über längere Zeit lebensgefährlich konsumiert. Als ich seine Geschichte recherchiert habe, war er bereits verstorben. Ich konnte ihn also nie persönlich sprechen. Die Gespräche mit Leyla haben mir die Augen geöffnet, wie wir mit drogenabhängigen Menschen in unserer Gesellschaft umgehen. Sie werden extrem stigmatisiert und kriminalisiert. Menschen trauen sich nicht den Notarzt zu rufen, wenn es ihnen nach dem Drogenkonsum schlecht geht. Sie haben Angst, dass die Polizei direkt mitkommt. Im schlimmsten Fall sterben sie deshalb.
Wie und wo hat Josh sich die Drogen besorgt?
In so genannten Legal-High-Shops, die online frei zugänglich sind. Dort kann man teilweise mit Paypal bezahlen. Oft gibt es sogar kostenlose Proben von hochgefährlichen neuen Substanzen, die nicht verboten sind, weil sie niemand auf dem Schirm hat. Diese Drogen sind nicht teuer. Das ist ein großer Unterschied zu „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, wo sich Christiane F. irgendwann prostituiert, um an Geld zu kommen. Josh wurden auch gezielt Drogen über Soziale Netzwerke angeboten. Dealer sind bei Telegram und Instagram unterwegs. Man kann sich über Messenger-Dienste, die jeder von uns nutzt, Drogen nach Hause bestellen.
Josh hat sich in Facebook- und Whatsapp-Gruppen mit anderen Konsumentinnen und Konsumenten ausgetauscht.
In diesen Gruppen wird offen besprochen, wie Drogen wirken, welche Menge man nehmen muss und wann es gefährlich wird. Das gemeinschaftliche Konsumieren spielt auch offline oft eine wichtige Rolle. Das macht es für Abhängige so schwer aufzuhören. Menschen, die eine Therapie beginnen, müssen ihr ganzes Umfeld ändern, weil sie sonst zu schnell rückfällig werden. So ging es auch Josh nach seinen Krankenhausaufenthalten.
Leyla hat den Wunsch geäußert, dass Ihr Buch Drogenkonsum nicht verherrlicht. Finden Sie, das ist Ihnen gelungen?
Das können Jugendliche wohl besser beurteilen als ich. Ich habe von vielen Menschen gehört, dass beispielsweise „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sie eher neugierig auf Drogen gemacht hat. Der Abschreckungseffekt, den man sich von Filmen und Serien erhofft, tritt nicht ein. Experten und Expertinnen finden es sinnvoller, mit „Safer Use“-Regeln umfassend aufzuklären. Das sind Hinweise zum verantwortungsvollen Drogenkonsum, die ich mit ins Buch geschrieben habe. Zum Beispiel, dass man sich vor dem Konsum fragt, warum man das machen will, sich über die Wirkung der einzelnen Droge informiert und dass man nie alleine etwas nehmen soll.
Sollte man diese Hinweise wirklich Jugendlichen geben?
Ich war auch erst unsicher, bin aber mittlerweile von einer offeneren Kommunikation überzeugt. Bei der Drogenprävention an Schulen geht oft noch die Polizei in die Klassen und spricht gezielt Jugendliche an, die keine Drogen nehmen. Sie sollen psychisch gefestigt werden. Das geht an der Realität vorbei, da ein Großteil der Jugendlichen früher oder später illegale Drogen ausprobieren werden. Das zeigen auch Statistiken. Deshalb sollten auch Eltern offen mit ihren Kindern sprechen.
Wie sähe so ein Gespräch aus?
Es geht nicht darum, den eigenen Kindern zu erklären, wie man einen Joint baut. Aber auch nicht darum zu sagen: Du darfst auf keinen Fall Drogen nehmen und wenn doch, bestrafe ich dich. Dann wird das Kind auf keinen Fall erzählen, wenn es eben doch Drogen ausprobiert. Eltern sollten eher Vertrauen aufbauen, indem sie sagen: Wenn du es doch ausprobierst, möchte ich es wissen.
Vertrauen ist die eine Seite, aber welche Regeln sollten Eltern aufstellen?
Ich würde sagen: Ich möchte nicht, dass du Drogen konsumiert, weil sich dein Gehirn noch in der Entwicklung befindet. Du kannst jetzt einen großen Schaden anrichten. Wenn du Drogen ausprobieren möchtest, dann warte damit, bis du älter bist und dein Gehirn voll entwickelt ist. Eine ehrliche Aufklärung ermächtigt Jugendliche, eine bewusste Entscheidung zu treffen.
Dazu müssten sich aber auch die Eltern erst einmal informieren, oder?
Ja, viele wissen zum Beispiel nicht, dass auch die legale Droge Alkohol Psychosen auslösen kann. In Deutschland sterben zudem jedes Jahr etwa 74.000 Menschen an Alkohol, bei illegalen Drogen waren es im letzten Jahr 1581 Tote. Dennoch nehmen es einige Eltern recht locker, wenn ihr Kind mit einem Vollrausch nach Hause kommt. Ein Vollrausch ist auch eine Überdosis. Auch darüber sollte man mit seinem Kind offen sprechen und sagen: Wenn du Alkohol trinkst, dann trink zwischendurch auch etwas Alkoholfreies.
In Bezug auf illegale Drogen plädieren Sie für Drug-Checking-Stellen. Wie funktionieren solche Stellen?
Wer auf dem Schwarzmarkt kauft, weiß nie, was wirklich enthalten ist. Deshalb können Konsumentinnen und Konsumenten bei diesen Stellen ihre Drogen analysieren lassen. Eine geringe Menge reicht aus, um den Stoff auf Beimischungen und Streckmittel testen zu lassen. Nach der Analyse kann der Konsument die richtige Dosis besser abschätzen – oder sich dagegen entscheiden. In manchen Ecstasy-Pillen ist beispielsweise PMA enthalten, ein sehr gefährlicher Stoff. Das sieht man der Pille aber nicht an. Da die meisten Menschen ihre Drogen auf Partys kaufen, wäre es sinnvoll, mobile Drug-Checking-Stellen an Party-Locations zu haben. Es ist fahrlässig, dass es so etwas in Deutschland nicht gibt.
Was kritisieren Sie noch an der deutschen Drogenpolitik?
Ich finde, Portugal könnte ein Vorbild sein. Dort hat man 2001 alle Konsumentinnen und Konsumenten entkriminalisiert. Mit einer geringen Menge erwischt zu werden, ist dort nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat mehr. Das hat nicht dazu geführt, dass mehr Menschen Drogen nehmen, sondern dazu, dass weniger Menschen sterben. Weil sie bessere Hilfsangebote bekommen und nicht in die Illegalität abrutschen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie erleben Sie die aktuelle Diskussion über eine Cannabis-Legalisierung?
Wir diskutieren öffentlich sehr emotional und mit wenig Faktenwissen. Viele Eltern, die in ihrer Jugend selbst gekifft haben, finden Cannabis-Konsum verhältnismäßig harmlos. Der Stoff, der heute auf dem illegalen Markt im Umlauf ist, ist aber häufig mit synthetischen Cannabinoiden versetzt. Sie werden im Labor hergestellt und können anders als natürliches Cannabis tödlich sein. Im Europäischen Drogenbericht 2021 wird deutlich davor gewarnt. Eine Legalisierung und ein kontrollierter Anbau könnte diese Gefahr eindämmen.
Online empfiehlt die Autorin weitere Safer-Use-Regeln und listet Hilfsangebote für Jugendliche, Eltern und Lehrerinnern und Lehrer auf.