Durch Corona-Pandemie52 Prozent mehr Kinder und Jugendliche sind spielsüchtig
Berlin – WhatsApp, Instagram oder Snapchat können süchtig machen. Laut einer aktuellen Studie sind bereits 2,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen hierzulande abhängig von Social Media. Auf alle 12- bis 17-Jährige hochgerechnet entspricht das etwa 100.000 Betroffenen. Klar ist auch: Die Suchtprobleme haben in der Pandemie zugenommen. Im Bezug auf das krankhafte PC-Spielverhalten hat sich die Zahl um 52 Prozent von rund 144.000 im Jahr 2019 auf 219.000 in diesem Jahr erhöht, bei der Nutzung von Social-Media-Plattformen von 171.000 auf 246.000.
Laut der Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) im Auftrag der Krankenkasse DAK liegt bei mehr als vier Prozent der 10- bis 17-Jährigen ein pathologisches Nutzungsverhalten vor. Der Anstieg der Mediensucht ist vor allem auf die wachsende Zahl pathologischer Nutzer unter den Jungen zurückzuführen“, sagte Studienleiter Rainer Thomasius vom DZSKJ. Er warnte vor den Folgen durch die Vernachlässigung von Aktivitäten, Familie, Freunden und einen verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus.
Kontrollverlust und keine Hobbys mehr
„Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge.“ Eine krankhafte oder pathologische Nutzung sehen die Experten, wenn bei Betroffenen ein Kontrollverlust, eine „Priorisierung gegenüber anderen Aktivitäten“ und eine Fortsetzung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen zu beobachten ist. „Das Verhalten besteht in der Regel über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten.
Hieraus resultieren gravierende Beeinträchtigungen in persönlichen, sozialen und schulisch-beruflichen Lebensbereichen.“ Pathologische Spieler und Social-Media-Nutzer zocken oder chatten der Studie zufolge vier oder mehr Stunden am Tag.
Vier Stunden und mehr in der Tiktok-Welt
Grundlage der Untersuchung ist eine wiederholte Befragung von Eltern und Kindern durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Die erste fand im Herbst 2019 vor der Pandemie statt, die zweite zur Zeit der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020, eine weitere im November 2020, bevor die Schulen erneut geschlossen wurden und die vierte schließlich im Mai und Juni dieses Jahres, als Schulen nach monatelangen Schließungen und Wechselunterricht langsam wieder zu einem gewissen Normalbetrieb zurückkehrten.
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Die Kinder und Jugendlichen wurden zur Dauer und zu ihren Motiven für die Nutzung von Spielen und Social-Media-Plattformen befragt und auch zu möglichen negativen Auswirkungen, die sie bei sich selbst feststellen, etwa bei der Erledigung von Aufgaben, bei den Schulnoten, im Verhältnis zu Freunden oder Familienmitgliedern.
Darunter leiden spielsüchtige Kids
Wer von sozialen Medien abhängig ist, dessen Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist um den Faktor 4,6 höher als bei Nicht-Süchtigen. Jeder dritte Jugendliche mit einer Social Media Disorder berichtet über Symptome einer Depression.
Jeder dritte Befragte nutzt soziale Medien, um nicht an unangenehme Dinge denken zu müssen. Bei den Mädchen trifft dies sogar auf vier von zehn Befragten zu.
Knapp ein Viertel der Befragten bekommt wegen der Nutzung sozialer Medien manchmal, häufig oder sogar sehr häufig zu wenig Schlaf.
22 Prozent streiten manchmal, häufig oder sehr häufig mit den Eltern über die Nutzung sozialer Medien – öfter betroffen sind die 12- bis 13-Jährigen (32 Prozent).
14 Prozent können die Nutzung nicht stoppen, obwohl andere ihnen sagten, dass sie dies dringend tun müssen.
13 Prozent sind unglücklich, wenn sie keine sozialen Medien nutzen können.
Acht Prozent der Befragten sind mit allen Freunden ausschließlich über soziale Medien in Kontakt.
Fünf Prozent der Befragten haben regelmäßig kein Interesse mehr an Hobbys oder anderen Beschäftigungen, weil sie lieber Social Media nutzen.
Schon in den ersten Befragungen, die bereits veröffentlicht wurden, war deutlich geworden, dass Kinder und Jugendliche während Corona viel mehr Zeit am Handy, am Computer oder an der Spielkonsole verbrachten: Vorher waren es an Wochentagen knapp zwei Stunden auf Instagram, Snapchat, TikTok oder anderen Plattformen. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 erhöhte sich das auf mehr als drei Stunden täglich. Im November, als Schulen dann zwar größtenteils offen waren, das Freizeitangebot aber weiterhin stark eingeschränkt war, sank die Nutzung wieder leicht, lag aber immer noch deutlich über dem Niveau von 2019. Das blieb auch in diesem Mai und Juni so.
Je länger online desto höher das Suchtrisiko
Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich bei Spielen: Vor Corona waren die befragten Kinder und Jugendlichen an Wochentagen durchschnittlich eine Stunde und 23 Minuten lang mit Computer- oder Online-Spielen beschäftigt, im April 2020 erhöhte sich die Nutzung stark auf zwei Stunden und zwölf Minuten am Tag. Danach gab es wieder einen leichten Rückgang. Die Nutzungszeiten bei Spielen und Social Media unter der Woche und auch am Wochenende lägen immer noch „deutlich über dem Vorkrisenniveau“, sagte Thomasius. Das große Problem, dabei: Je häufiger und je länger die Kinder und Jugendlichen online sind, desto höher ist das Suchtrisiko.
Lockdowns haben riskante Mediennutzung verstärkt
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, ist pessimistisch. „Gerade für Kinder und Jugendliche mit bereits davor riskanter Mediennutzung waren die Lockdowns ein erheblicher gesundheitlicher Gefährdungsfaktor, der den Übergang in eine pathologische Mediennutzung quasi katalysiert hat.“ Es sei zu befürchten, dass sich diese Fehlentwicklung auch nach Ende der Pandemie nicht vollständig rückabwickeln lasse. (dpa)