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Das ewige DilemmaSind digitale Geräte im Familienalltag Fluch oder Segen?

Lesezeit 9 Minuten
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Die 16 Jahre alte Tochter von Jessika und Eric Freywald hat zwei Stunden W-Lan-Zeit am Tag. Selbstregulation sei nicht möglich.

Köln – Unsere Zweijährige hatte ihre Weihnachtswünsche diesmal klar formuliert: „Bubu und Pad.“ Schnuller und I-Pad. Sie wollte die zwei Dinge, auf die sie nur sehr eingeschränkt Zugriff erhält. Den Bubu gibt's zum Schlafen und das Pad höchstens mal für eine sehr überschaubare Zeit zum Peppa-Wutz-Bilder malen oder Tierarzt spielen. Die Sache mit dem Schnuller wird sich in einem Jahr erledigt haben, das haben wir bei ihren zwei großen Brüdern gelernt. Der Bubu landet irgendwann in einem schönen Feuer im Garten und ist von da an Geschichte.

Das Pad allerdings und seine Artverwandten, die werden uns wohl noch jahrelang die Nerven rauben. Das zeigt die Erfahrung vieler Eltern mit der heranwachsenden Generation. Aber muss das so sein? Warum überwiegt nicht der Segen moderner Technik und digitaler Medien? Warum tobt in so vielen Familien ein Machtkampf um Internet- und Handyzeiten, um Spielkonsolen- und Streamingdienste-Zugang? Jetzt, in Lockdown-Corona-Zeiten, natürlich umso mehr.

Den ganzen Tag online

Tillmann Pruefer

Tillmann Prüfer

Der Buchautor und Zeit-Journalist Tillmann Prüfer, Vater von vier Töchtern, bringt die aktuelle Zuspitzung des digitalen Generationenkonflikts in seinem neuen Buch „Jetzt mach doch mal das Ding aus!“ so auf den Punkt: „Man ist den ganzen Tag online. Denn wer nicht online ist, der ist gar nicht mehr. Die Lehrer werden nur noch online erreicht, die Freunde werden nur noch online erreicht. Nur die Eltern gibt es die ganze Zeit auch offline. Das macht die Offline-Sphäre endgültig zum uncoolsten Ort der Welt.“

Eine Horde Teenager, die genau das denkt: Warum kapieren diese Eltern nur nicht, wie von hinterm Mond ihre ständige Panik vor zu viel Handy- und Computerzeit ist? Diese digitalen Anfänger sind ja schon stolz, wenn sie die Apps bedienen können, mit denen sie uns Digital Natives regelmäßig den Internet-Saft abdrehen.

Streit zwischen Eltern und Kindern

Sie haben keine Ahnung von all den Tricks, mit deren Hilfe sich der Blackout umgehen lässt: Vom Gassigehen mit dem Hund bis zum nächsten freien W-Lan-Hotspot über das Löschen und neu Laden gesperrter Apps bis hin zum Weitertwittern über die Social-Media-Funktion des Kühlschranks (angeblich von einer 15-Jährigen aus den USA so praktiziert, hat Prüfer für sein Buch recherchiert).

Andersherum denken Eltern: Warum wollen diese Kinder nicht einsehen, dass ein Dauerabtauchen in digitale Welten nicht gut für sie ist? Dass es frische Luft braucht, Schweiß auf der Haut, echte Matsche und echte Sozialkontakte, um zu einer selbstbewussten, gesunden und glücklichen Persönlichkeit zu werden? Warum haben sie so wenig Verständnis für unsre Eltern-Angst, sie an diesen schillernden, in großen Teilen manipulierten und manipulierenden Kosmos hinter den Bildschirmen zu verlieren?

Zu Buch und Person

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Tillmann Prüfer ist Journalist und Buchautor. Er ist 47 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seinen vier Töchtern in Berlin.

In seinem Buch „Jetzt macht doch endlich mal das Ding aus!“ erzählt er über Segen und Fluch moderner Medien und verrät, wie man einen Urlaub ohne WLAN überlebt und was man tun kann, wenn die eigene Tochter einen bei Instagram blockiert.Kindler, 12 Euro.

Wir hören etwa in der Netflix-Dokumentation „The Social Dilemma“ von Insidern aus dem Silicon Valley, dass sie ihren Kindern keinerlei Zugriff auf Facebook, Youtube, Twitter und Co. gewähren. Weil selbst sie, die Entwickler, die Algorithmen kaum noch verstehen, die täglich unsere Psyche hacken und uns süchtig machen nach Likes, nach diesen Daumen-Hoch-Icons, die dafür sorgen, dass wir uns wahrgenommen, wichtig, gut fühlen.

Unsere Kinder sind kaum auf der Welt, und schon erscheint ihnen ein digitales Endgerät als eines der erstrebenswertesten Besitztümer auf Erden. Natürlich. Die Zweijährige sieht ihre Brüder danach lechzen. Und, viel schlimmer: Ihre Eltern ständig danach greifen. Es ist wie mit der Schokolade, wir sagen unseren Kindern: Lass die Finger davon, das ist nicht gut für dich! Und schaffen es selbst nicht, die angefangene Tafel zurück in den Schrank zu legen.

Die Verlockung ist immer nur einen Klick entfernt

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Walter und Stephanie Gebert setzen bei der Erziehung nicht auf Totalüberwachung.

Zuhause bei Stephanie Gebert und Ralf Walter schaltet sich das Internet zwischen 22 Uhr am Abend und 7 Uhr morgens aus. Und beim gemeinsamen Abendessen mit Walters 14-jährigem Sohn Jonah werden alle Smartphones und Tablets aus der Küche verbannt. Die beiden Kölner Journalisten wollen nicht nur Regeln für den Teenager aufstellen, sondern Vorbilder sein. Sie blicken von Berufswegen ständig auf einen Bildschirm, sind dauererreichbar und dauerinformiert. Jonah liebt Youtube, Tiktok, seine Playstation. Und so lange die Schule vor allem digital stattfindet, mit dem Laptop zu Hause am Schreibtisch, sei die Verlockung immer „nur einen Klick entfernt“, sagt sein Vater.

Jonahs Internetzeit auf dem Handy ist auf eine Stunde am Tag begrenzt. Und doch: Mit seinen Freunden verabredet er sich oft digital. Gemeinsam allein an der Playstation zocken, so läuft das heutzutage. Gebert irritiert es noch immer manchmal, dass ein „ich bin mit XY verabredet“ von Jonah nicht bedeutet, dass XY ganz real aus Fleisch und Blut vorbei kommt. Dass bei einer solchen Verabredung nur ihre Spielfiguren gemeinsam eine Runde durch eine virtuelle Welt drehen, während Jonah und XY jeder für sich im eigenen Zimmer sitzen.

Geberts setzen nicht auf Totalüberwachung

Stephanie Gebert und Ralf Walter haben Jonahs Spiel-Zeiten im Blick und diskutieren regelmäßig über Online-Zeiten am Handy, praktizieren aber keine Totalüberwachung. „Viel läuft über Vertrauen“, sagt Walter. „Beim Handy hatte ich am Anfang vor, mir das öfter mal geben zu lassen und zu gucken, was er da macht. Aber das kann man nicht durchhalten. Zumal das Jonahs Privatsphäre ist.“ Er sei deshalb zu dem Schluss gekommen: „Man kann die Probleme nur immer wieder ansprechen. Jonah muss den Umgang mit den digitalen Medien lernen, wir können ihn nicht ewig vor der bösen Welt da draußen beschützen.“

Gelassen sein, aber nicht sorglos. Aufmerksam, aber nicht restriktiv. Sich kümmern, und doch Freiheiten lassen. Das gilt für die Kindererziehung im Allgemeinen – und für die Medienerziehung ganz besonders. Feste Regeln helfen, umso besser, wenn sie gemeinsam mit den Kindern ausgestaltet werden. Technische Finessen helfen auch, so können Internetzeiten festgelegt und bestimmte Inhalte gesperrt werden.

Medien sollten in den Familien eine alltäglichere Rolle spielen

„Wir bringen unseren Kindern bei, dass sie nicht mit Fremden mitgehen und vorm Dunkelwerden zu Hause sein sollen“, sagt Till Steinmaier von der Deutschen Technikberatung. „Wir lassen sie nicht auf dem Spielplatz allein und sollten das auch im Internet nicht tun.“ Erziehung müsse aus der analogen in die digitale Welt übersetzt werden. Klingt so einfach. Und scheint doch so schwer.

„Es wäre schön, wenn Medien in den Familien eine alltäglichere Rolle spielen und nicht immer so überhöht werden würden“, sagt Kristin Langer, Mediencoach bei der Initiative „Schau Hin! Was Dein Kind mit Medien macht“. Der ständige Zoff in vielen Familien sei unnötig. „Diese Medien sind da und spielen eine Rolle im Alltag, wir müssen lernen, damit selbstbestimmt und angemessen umzugehen.“

Dauerstreit um das Handy

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Jessika Freywald mit Baby Edda.

Jessika und Eric Freywald haben fünf Töchter im Alter zwischen 16 Jahren und fünf Monaten. Mit ihrer Ältesten liegen sie im Dauerstreit wegen des Handys. „Sie ist mit dem Gerät verwachsen“, sagt ihre Mutter, „sie hat es entweder in der Hand oder in der Hosentasche“. Eine Selbstregulation sei nicht möglich. Also gibt es zwei Stunden WLAN-Zeit sowie eine Prepaidkarte mit zehn Euro Guthaben pro Monat. Ein Film am Abend ist zusätzlich erlaubt. „Lieber das als 37 Millionen Beauty-Instagram-Posts“, sagt Eric Freywald.

Für die elf Jahre alten Zwillinge und die fünfjährige Tochter gilt bislang: Eine Stunde Fernsehen am Abend über die Mediathek und Handy-Spiele bei langen Autofahrten sind erlaubt. Die Feuerwehrleute aus Porz erleben die digitalen Medien als „Fluch und Segen zugleich“.

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Die elf Jahre alten Zwillinge dürfen pro Tag eine Stunde am Bildschirm verbringen. Meist gucken sie fern.

Jessika Freywald hat in ihrer Jugend am Radio gesessen und verbissen die Aufnahmetaste des Kassettendecks gedrückt, um an ihre Lieblingsmusik zu kommen. Sie sagt: „Heute gibt es unglaubliche Möglichkeiten, Informationen und Unterhaltung stehen grenzenlos zur Verfügung. Dieses große Universum ist aber auch eine Verlockung, die ein absoluter Zeitfresser und im sozialen Bereich schwierig ist.“

Was also tun? „Wir versuchen alles, um unsere Älteste in der analogen Welt nicht total zu verlieren“, sagt Eric Freywald. „Alle Urlaube gehen ins Grüne. Fahrrad fahren, Schwimmen gehen, Ballsportarten, Spaziergänge mit dem Hund – wir bieten viel an. Aber die Kids müssen schon auch wollen.“Der „Schau Hin!“-Familienratgeber gibt als Orientierungswerte für Kinder bis fünf Jahren eine halbe Stunde Bildschirmzeit am Tag und eine Stunde für Sechs- bis Neunjährige an. Bei älteren Kindern ab zehn Jahren raten die Medienpädagogen zu einem wöchentlichen Medienbudget von zehn Minuten pro Lebensjahr am Tag oder einer Stunde pro Lebensjahr in der Woche.

Das Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis JFF hat zwischen 2017 und Ende 2020 14 Familien mit Kindern zwischen einem und vier Jahren sechs Mal zur Mediennutzung der Kinder befragt. „Bei den meisten Familien ist ein Problem-Bewusstsein da“, resümiert Medienpädagogin Susanne Eggert. „Aber die Umsetzung ist für viele im harten Familien-Alltag oft schwierig.“ Die Medienzeit der Kleinsten liege sehr oft deutlich über 30 Minuten. Bei vielen Eltern zeige sich Resignation. Sie lebten mit dem schlechten Gewissen.

Kinder vor der Glotze oder am Handy nerven nicht

Na klar, die Verlockung ist groß. Nicht nur für Kinder, die sich gern von bunten Bildern und nutzlosen Informationen berieseln lassen. Sondern auch für Eltern, die jede Minute Durchatmen im wilden Kinder-Trubel des Alltags herbeisehnen. Digitale Medien sind ein prima Babysitter. Kinder vor der Glotze oder am Handy nerven nicht.

Aber sie bewegen sich auch nicht. Atmen keine frische Luft. Riechen, schmecken, tasten nicht. Erleben sich nicht kreativ und selbstwirksam. Eine Dauermedien-Nutzung hinterlasse Spuren, sagt „Schau Hin!“-Expertin Kristin Langer: „Müde Augen, schlechte Körperhaltung, Konzentrationsschwächen.“ Dazu komme, dass seelisch verarbeitet und verdaut werden müsse, was Kinder und Jugendliche über die Medien aufnähmen. „Dabei sind Eltern wichtig fürs Zuhören und Drüberreden – natürlich offline.“ Ausschalten allein reiche eben nicht. „Entscheidend ist, dass medienfreie Zeiten im Familienverbund wichtig genommen und geschätzt werden und nicht als Strafe herhalten müssen“, sagt Langer.

Wenn gemeinsam gespielt, geredet, gelacht und gelebt wird, kann auch die analoge Welt unterhaltsam, bunt und glitzernd sein. Der Vierfach-Vater Tillmann Prüfer formuliert das so: „Handy aus heißt ja nicht automatisch, dass ich meinem Kind Zeit schenke.“ Eine Diskussion über „die bösen Geräte“ hält er deshalb für verfehlt. „Das Smartphone kann nichts dafür, wenn ich mich zu wenig für mein Kind interessiere.“ Und: „Man darf sich als Eltern durchaus zutrauen, ansprechender und überzeugender zu sein als eine X-Box.“

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Eigener Weg in die Zukunft

In der Vorweihnachtszeit hat er mit seinen Töchtern Lebkuchenhäuser gebacken. Es war ein schöner Familienabend. Sie waren gemeinsam kreativ und haben viel Zuckerguss geschleckt. „Eine Stunde später hatte eine meiner Töchter ein perfekt geschnittenes Video davon mit Jingle Bells und allem drum und dran bei Instagram hochgeladen“, erzählt Prüfer. Klingt da Resignation durch? Nein. Eher Verwunderung. Aber die gehört wohl dazu, wenn eine Generation die nächste so gut es geht an die Hand nimmt und dann doch nur zusehen kann, wie diese selbstbewusst auf eigenen Wegen in die Zukunft stiefelt.