Der Psychologe Björn Süfke berät seit 25 Jahren ausschließlich Männer. Ihr größtes Problem? Die Abwehr von Gefühlen.
Männerberater im Gespräch„Das einzig tolerierte Gefühl für Männer ist Ärger“
Herr Süfke, Sie beraten seit 25 Jahren ausschließlich Männer. Wie kam es dazu und was ist das häufigste Problem, das Männer mitbringen?
Björn Süfke: Seit dem Studium vor 30 Jahren beschäftige ich mich mit der Männerwelt. Direkt danach habe ich als Psychologe in einer Männerberatungsstelle angefangen, Bücher geschrieben und Vorträge gehalten. Meiner Erfahrung nach ist das größte Problem der Männer die Gefühlsabwehr. Aufgrund ihrer Sozialisation haben sie gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken.
Warum wehren Männer Gefühle ab?
Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Gefühlsabwehr der Kern des traditionellen Männlichkeitsbildes ist. Der Mann soll Ernährer, Beschützer und Fels in der Brandung sein. Trauer, Angst, Hilflosigkeit, Schuld und Scham passen nicht dazu. Das einzige tolerierte Gefühl ist Ärger, der sich körperlich in Form von Wut ausdrückt. Alle anderen Gefühle kriegen wir von klein auf abtrainiert. Zu meiner Kindheit hieß es noch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Diese Abspaltung der Gefühle geschieht aber auch viel subtiler, einfach dadurch, dass weinende Männer in der Gesellschaft und in den Medien kaum vorkommen. Man sieht als Junge oft keinen einzigen Vater, Onkel oder Erzieher, der Gefühle zum Ausdruck bringt. Zudem nehmen viele Erwachsene die Gefühle von Jungen weniger ernst als die von Mädchen und gehen nicht so stark auf sie ein. All das führt dazu, dass wir sukzessive lernen, Gefühle abzuwehren. Fragt man einen Mann, wie es ihm geht und die Antwort lautet „passt schon“, ist das nicht gelogen, sondern das, was der Mann tatsächlich wahrnimmt. Er hat keinen Zugang zu dem, was gerade in seinem Inneren passiert.
Wie unterscheiden sich die Gefühle von Männern und Frauen?
Frauen dürfen alles sein: nett, traurig, ängstlich, hilflos, schuldig, aber sie sollen brav im Kämmerchen bleiben und mit ihrem Ärger nicht nach außen treten. Bei Männern ist es genau andersherum. Ärger ist positiv konnotiert. Er motiviert Männer dazu, zu kämpfen, sich durchzusetzen und zu gewinnen.
Verspüren Männer wirklich ständig so viel Ärger?
Wenn ein Mann ärgerlich ist, kann es genauso gut sein, dass er eigentlich traurig oder ängstlich ist. Er weiß das nur meist nicht. Insofern verstecken sich hinter Ärger oft ganz andere Emotionen.
Ist das Männerbild in den vergangenen Jahren nicht sehr viel weicher geworden? Wird nicht mittlerweile von Männern erwartet, dass sie statt ärgerlich eher empathisch und sanft sind?
Es verändert sich etwas, aber sehr, sehr langsam. Seit etwa zehn, 15 Jahren sieht man hier eine Entwicklung, allerdings auch eher in akademischen Kreisen. Viele Männer erleben die Anforderung, beides sein zu müssen, traditionell männlich und emotional zugewandt. Diese Doppelanforderung ist belastend, aber die meisten Männer würden deshalb nicht in eine Beratungsstelle oder zur Therapie kommen. Da ist die Hürde weiterhin sehr hoch, da muss es ihnen schon richtig schlecht gehen.
Wie finden Sie Zugang zu den Männern, die es zu Ihnen in die Beratung schaffen?
Für die gemeinsame Arbeit sind Gefühle entscheidend. Die meisten Männer benötigen viel Unterstützung, um zu ihren Gefühlen durchzudringen. Da kann ich mich nicht klassisch zurücklehnen und warten, was sie von sich aus erzählen. Mit ihnen muss ich konfrontativer umgehen als mit Frauen, sie direkter ansprechen und auf Dinge stoßen. Wenn sich das, was sie erzählen, alles sehr rational anhört und keine Gefühle zum Vorschein kommen, unterbreche ich sie und spreche genau das an. Natürlich auf eine liebevolle Art, um keine weitere Abwehr zu provozieren. Im weiteren Gespräch benenne ich auch Gefühle, die sie selber nicht ausdrücken können. Wenn ich verständnisvoll bin, gelingt es den meisten nach und nach, ihre Gefühlsabwehr zu überwinden. Anschließend können wir zum eigentlichen Problem vordringen.
Es ist also Übungssache, seine Gefühle differenziert wahrzunehmen?
Absolut, das können Sie trainieren. Ich gebe meinen Klienten dazu auch Hausaufgaben. Sie sollen sich zum Beispiel eine halbe Stunde täglich an ihren Lieblingsort setzen, wo keine Ablenkung ist. Dann sollen sie in sich hinein horchen und beobachten, was kommt. Für manche Männer sind diese 30 Minuten die reine Tortur. Einigen gebe ich auch auf, sich ganz bewusst bei Netflix einen emotionalen Film herauszusuchen, nichts aus der Kategorie Thriller, Science Fiction oder Spionage, wie es Männer sonst gern wählen. Sie sollen einen Film wählen, der sie berührt, denn das gibt ihnen Informationen darüber, was in ihnen vorgeht. Ich selbst kann allein aufgrund der fünf Zeilen, mit denen ein Film beschrieben wird, sagen, ob ich weinen werde oder nicht. Ich weiß mittlerweile recht genau, was mich am stärksten berührt. Bei einem Vater-Sohn-Thema werde ich sofort heulen, bei einem Kriegsdrama eher nicht.
Warum ist es so wichtig, alle Gefühle wahrzunehmen und zu akzeptieren?
Gefühle sind Informationsquellen, das ist ihr evolutionärer Sinn. Angst zeigt an, wenn Gefahr droht. Ärger sagt Ihnen, dass Ihre Grenze überschritten wurde. Trauer und Freude bedeuten, dass Ihnen etwas wichtig ist. Sich schuldig zu fühlen ist meist die Folge davon, dass Sie etwas moralisch Verwerfliches getan haben. Hilflosigkeit macht klar, dass Sie alleine nicht weiterkommen. All diese Gefühle liefern lebenswichtige Informationen. Wenn Sie diese Informationen nicht hören können, sind sie aufgeschmissen und müssen sich an Vorgaben von anderen orientieren, an irgendwelchen Gebrauchsanweisungen, Ratgebern und Vorgaben, die Ihre Eltern oder Ihr Partner machen.
Wie geht man mit diesen Informationen am besten um? Und welche Rolle spielt der Verstand für das Handeln?
Man sollte seine Gefühle ernst nehmen, aber beim Handeln auch seinen Intellekt einschalten. Die Gefühle liefern gewissermaßen die Information, was Sache ist. Der Verstand hilft bei der Auswahl einer angemessenen Umgangsweise mit dem jeweiligen Gefühl. Fakt ist: Die Gefühle sind immer da, auch wenn ich mich nicht damit beschäftige. Es ist wichtig, die Information dahinter zu verstehen, um nicht in unbewusste Handlungen zu fallen, die nicht immer die besten sind.
Männer kommen offenbar ihr ganzes Leben damit durch, den Zugang zu ihren Emotionen auf einem Minimum zu halten. Bis sie in einer Beziehung mit einer Frau sind. Hier gibt es oft Streit um Gefühle.
In vielen Lebensbereichen sind Männer tatsächlich nicht so stark auf ihre Gefühle als Informationsquellen angewiesen. Bei der Arbeit wissen sie genau, was zu tun ist. Wenn sie mit ihrem Kumpel Sport machen oder über sachliche Themen reden, brauchen sie auch keine Informationen aus dem Inneren. Anders sieht es in der Partnerschaft aus. Frauen fordern meist eine gewisse Emotionalität ein und auf diese Weise werden dann viele Männer damit konfrontiert, dass sie gar nicht genau wissen, wie es ihnen geht.
Wie kann es Paaren gelingen, besser zu kommunizieren?
Mit mehr Verständnis füreinander. Männer verstehen nicht, wie Frauen sozialisiert sind und was das Sprechen für sie bedeutet. Frauen kann es helfen, wenn sie begreifen, wie Männer beim Heranwachsen gezwungen werden, ihre Emotionen abzuwehren. Und wie schwer es ist, als erwachsener Mensch Kontakt zu seinen Gefühlen aufzunehmen, auch wenn einen jemand danach fragt. Man kann da nicht einfach einen Schalter umlegen. Wer das verstanden hat, nimmt es nicht mehr so persönlich, wenn der Mann manchmal bei emotionalen Äußerungen ausweicht – und fühlt sich weniger gekränkt.
Zum Weiterlesen: Björn Süfke: Männerseelen. Ein psychologischer Reiseführer, Goldmann-Verlag, 288 Seiten, 12 Euro