Tiktok„Eltern sollten versuchen, die Nutzung so lange wie möglich hinauszuzögern“
Köln – Was soziale Medien angeht, ist das Verhältnis von Eltern und Kindern ein wenig so wie die Geschichte von Hase und Igel. Sobald die Eltern eine Plattform für sich entdecken (Facebook, Instagram), ziehen die Jugendlichen weiter und suchen sich etwas, wo sie wieder ungestört sind. Tiktok ist da derzeit ein Mittelding. Die App ist bei Jugendlichen extrem beliebt, Eltern haben zumindest davon gehört. Mehr aber auch meist nicht. Sie durchschauen nicht, was ihre Kinder bei Tiktok treiben und machen sich Sorgen, dass sie hier auf unangemessene Inhalte stoßen. Teilweise zu Recht, wie die jüngsten Recherchen des Online-Netzwerks „Funk“ von ARD und ZDF zeigen. Zwei Reporterinnen des Formats „STRG_F“ deckten auf, wie einfach es ist, über Tiktok an Drogen zu kommen. Auch ist immer wieder von sogenannten Challenges die Rede, bei denen sich Nutzerinnen und Nutzer verletzen oder sogar sterben. Mit dem Medienpädagogen Andreas Pauly beantworten wir die wichtigsten Fragen zu Tiktok.
Was ist Tiktok?
Tiktok ist der Nachfolger von „Musical.ly“ und die am häufigsten heruntergeladene App überhaupt, noch vor WhatsApp, Facebook und Instagram. Etwa eine Milliarde Nutzer gibt es weltweit, darunter hauptsächlich Jugendliche. Mehr als drei Viertel der 16- bis 18-Jährigen in Deutschland verwendet sie regelmäßig, bei Mädchen ist Tiktok noch beliebter als bei Jungen, wie aus der aktuellen Postbank Jugend-Digitalstudie hervorgeht.
Der Erfolg des chinesischen Entwicklers Bytedance ist so groß, dass Marc Zuckerberg versucht, das Erfolgsgeheimnis des chinesischen Konkurrenten zu kopieren: ein endloser Strom von bunten Kurzvideos, in denen zum Beispiel getanzt wird oder Tiere lustige Dinge tun. Die Plattform schlägt immer wieder neue Filmchen vor und versucht mittels eines Algorithmus, Vorlieben zu entdecken und Empfehlungen auszusprechen. Hat man zum Beispiel ein paar Mal Dackel-Videos angesehen, bekommt man anschließend Dackel-Content in allen Varianten. Jeder kann aber auch selbst Videos machen und hochladen. Wer diese sehen kann, hängt von den Profileinstellungen ab. Steht es auf öffentlich, sind die Videos für alle sichtbar, steht es auf privat, sehen nur Freunde die Filme. Die Clips können über WhatsApp, Instagram oder Facebook geteilt werden und sind meist mit verschiedenen Hashtags (Schlagwörtern) versehen.
Warum ist die App bei Jugendlichen so beliebt?
In erster Linie geht es bei Tiktok um Spaß und Zerstreuung. Die meisten schauen sich einfach gerne lustige Videos an. Tiktok macht einem das endlose Schauen sehr leicht: Die Inhalte werden sehr bedienerfreundlich präsentiert, man scrollt einfach herum und muss nichts bewusst aussuchen. Zudem bedient der Algorithmus die Vorlieben der Nutzer, die Videos treffen also so gut wie immer auf Interesse.
„Der Algorithmus postet nur Sachen, die mich ansprechen und mir Freude bereiten. Die wissen genau, wie ich bin, dieser 'For you-Modus' zieht sozusagen in eine Blase von bestimmten Inhalten. Das machen andere soziale Medien nicht so gut“, erklärt Andreas Pauly, Medienpädagoge und Fachreferent für Suchtprävention bei der Drogenhilfe Köln. Wer nicht nur schaut, sondern auch selbst etwas postet, bekommt wie in anderen sozialen Medien auch durch das Feedback der anderen Selbstbestätigung.
Wo liegt die Gefahr?
Durch den stetigen Strom an Videos werden die Nutzer dauerhaft ans Smartphone gebunden. Dabei mischen sich zeitweise Themen in den Feed, mit denen die Jugendlichen möglicherweise nicht umgehen können, zum Beispiel rechtsextreme, islamistische sowie Drogen und Selbstmord verherrlichende Videos. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind auch kriegsverherrlichende Inhalte darunter. „Jeder hat bestimmt schon einmal Videos zu Gesicht bekommen, die er eigentlich gar nicht sehen wollte. Wenn man darauf eingeht, kriegt man davon leider umso mehr“, sagt Pauly.
Informationen und Hilfe zu Tiktok
Die Initiative „Schau hin“ klärt in einem digitalen Elternabend darüber auf, was Eltern und Kinder über Tiktok wissen sollten. Das Video können Sie hier anschauen: www.schau-hin.info/mediathek
Auch bei Klicksafe finden sich viele Informationen rund um Tiktok: www.klicksafe.de/tiktok
Wie man Tiktok sicher und familienfreundlich nutzt und die eigenen Daten geschützt werden, erfahren Sie auch auf dem Blog www.ins-netz-gehen.de.
Die Reportage des Online-Magazins Funk zum Thema Drogenkonsum auf Tiktok können Sie bei YouTube anschauen.
Beratung für Eltern und Jugendliche zum Thema Drogen und Mediennutzung: www.ansprechbar-koeln.de0221/91279710 (Mo-Fr 9 bis 16 Uhr)
Informationsveranstaltungen zu den Themen Drogen und Medien für Fachkräfte und Eltern finden Sie hier: www.sucht-bildung.de
Drogenhilfe Köln gGmbHFachstelle für SuchtpräventionHans-Böckler-Str. 550354 Hürth02233/ 9944427www.drogenhilfe-koeln.de
Bedenklich an Tiktok ist ebenfalls, dass sich viele Nutzerinnen in ihren Videos sehr freizügig präsentieren. Immer wieder steht der Dienst deshalb in der Kritik, Pädosexuelle anzulocken. Mittlerweile wurden zwar bestimmte Hashtags gesperrt, die diese für die Suche nach Inhalten genutzt haben. Auch die Direktnachrichten-Funktion für Jugendliche unter 16 Jahren wurde eingeschränkt. Doch erfahrungsgemäß entwickeln sich schnell alternative Hashtags, mit denen Pädosexuelle nach Inhalten suchen. Es gibt bei Tiktok zwar sogenannte Inhalte-Moderatoren, die so viele Videos wie möglich sichten und bei Bedarf offline nehmen, aber alles können sie nicht kontrollieren. „Bei der Fülle an Videos, die täglich online gestellt werden, ist es wahrscheinlich nicht machbar, alles vorher zu sichten. Die andere Frage ist, ob Tiktok das überhaupt will“, gibt Pauly zu bedenken.
Wie hält es Tiktok mit dem Jugendschutz?
Tiktok schreibt in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ein Mindestalter von 13 Jahren vor. Für Jugendliche unter 18 Jahren wird eine Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten vorausgesetzt. Beides wird jedoch nicht explizit geprüft, und es ist relativ einfach, ein falsches Geburtsdatum einzustellen. Gibt man sein Alter jedoch wahrheitsgemäß an, werden grundsätzlich alle Profile für unter 16-Jährige standardmäßig auf privat gestellt, so dass nur befreundete Nutzer die Inhalte sehen können. Nach einigen Beschwerden hat Tiktok im Juni dieses Jahres außerdem angekündigt, künftig alle Arten von Werbung deutlich zu kennzeichnen.
Wird Drogenkonsum auf Tiktok verherrlicht?
Das Format „STRG_F“ des Online-Magazins Funk von ARD und ZDF deckte vor kurzem in einem Beitrag auf, wie offen Drogenkonsum auf Tiktok zelebriert wird. Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer posten Videos, in denen sie ganz offensichtlich high sind. Es geht dabei oft um harte Drogen wie MDMA und sogar Heroin. Was treibt diese Menschen dazu an, sich öffentlich im Drogenrausch zu zeigen? „Sie wollen etwas tun, das sie zu etwas Besonderem macht. Es geht darum, neue Erfahrungen zu machen und der Erste in der Gruppe zu sein, der so etwas tut. Auch die Rückmeldungen der anderen User sind vermutlich spannend“, glaubt Pauly. Dass Drogenkonsum so offen zur Schau gestellt wird, ist für ihn neu. Früher habe man mit Blick auf mögliche Arbeitgeber immer davor gewarnt, sich so offen im Netz zu zeigen.
Um gefunden zu werden, verwenden die Nutzer bestimmte Hashtags wie #tanteemma (Hinweis auf MDMA) oder #drff. Letzterer bedeutet „druff“, also drauf. Auf das u hat man irgendwann verzichtet, weil der Hashtag #druff von Tiktok gesperrt wurde, um die Verbreitung von Drogenvideos nicht zu unterstützen. Gleichzeitig ist es den Recherchen der Funk-Reporterinnen zufolge relativ einfach, über Tiktok Kontakt zu Dealern aufzunehmen und Drogen zu bestellen.
Was steckt hinter den Tiktok-Challenges?
Auch die Tiktok-Challenges sind bereits mehrfach in die Kritik geraten. Eine Challenge ist ein Wettkampf, bei dem die User versuchen, sich gegenseitig mit einem Video zu einem bestimmten Thema zu überbieten. Die Challenges können harmlos, mitunter aber auch gefährlich sein. Für sehr viel Ärger auch in Köln sorgte im Frühjahr eine Challenge, bei der es darum ging, Schultoiletten absichtlich mit Klopapier zu verstopfen. „Für die Jugendlichen sind das Mutproben, wie es sie immer schon gegeben hat. Nur eben mit viel größerer Reichweite und mit Inhalten, auf die man alleine vielleicht gar nicht gekommen wäre“, sagt Pauly.
Harmlos ist zum Beispiel die #CelebLookAlike-Challenge, bei der man fragt, welcher berühmten Person man ähnlich sieht und dann Bilder dieser Person nachstellt. Gefährlich sind Challenges wie die #SaltChallenge, bei der möglichst viel Salz geschluckt werden muss oder die #Mouth Taping-Challenge, bei der man sich vor dem Schlafen den Mund mit Klebeband zuklebt. Besonders dramatisch ist die #Blackout-Challenge, bei der es darum geht, so lange die Luftzufuhr zu unterbinden, bis man ohnmächtig wird. Bei diesem Versuch sind bereits einige Jugendliche gestorben.
Was sollten Eltern beachten, wenn ihr Kind Tiktok nutzt?
„Eltern sollten versuchen, die Nutzung so lange wie möglich hinauszuzögern“, sagt Medienpädagoge Andreas Pauly ganz klar. Kinder sollten nicht schon in der Grundschule Tiktok konsumieren, sondern frühestens ab 13 Jahren, so wie es auch die Altersfreigabe vorsieht. Grundsätzlich gilt: begleiten, aber nicht verteufeln. Eltern sollten sich informieren und ihren Kindern am Anfang über die Schultern schauen, damit sie ein Gefühl dafür kriegen, was das Kind dort macht. „Schauen Sie hin und wieder rein, was Ihr Kind sich anschaut und vor allem auch, was es postet. Im Zweifel müssen Eltern für ihre Kinder und die von ihnen verbreiteten Inhalte haften“, sagt Pauly. Und weiter: „Bleiben Sie mit Ihren Kindern wenn möglich in Kontakt und geben Sie ihnen immer das Gefühl, dass Sie mit Ihnen reden können. Wenn ihr Kind unangenehme Inhalte sieht oder wenn es ein komisches Gefühl hat, zeigen Sie ihm, dass Sie für es da sind und ihm helfen.“
Können Eltern die Nutzung der App kontrollieren?
Als allererstes sollte sichergestellt werden, dass das Konto auf privat steht, damit nicht jeder die geposteten Inhalte sehen kann. Außerdem können bestimmte Funktionen im sogenannten „begleiteten Modus“ eingeschränkt werden. Hier lassen sich Suchfunktionen beschränken und so entscheiden, nach welchen Inhalten, Nutzer, Hashtags oder Sounds gesucht werden darf. In den Einstellungen des Modus lässt sich außerdem festlegen, wer die Videos der Jugendlichen kommentieren darf und ob gelikte Video für andere Nutzer sichtbar sind. Außerdem lässt sich die Nutzungszeit pro Tag festlegen und die Kontaktaufnahme über Nachrichten einschränken. Angeschaute Inhalte und verfasste Nachrichten und Kommentare können Eltern über die Einstellung jedoch nicht einsehen.
Um den begleiteten Modus zu nutzen, muss die App sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern installiert sein. Anschließend muss ein QR-Code auf dem Smartphone der Heranwachsenden gescannt werden, der unter den Profileinstellungen zu finden ist. Die Kontrollfunktion wird am besten vor der Aktivierung mit dem Kind abgesprochen. „Hier ersetzen die beste Technik und Filter aber nicht das Gespräch mit den eigenen Kindern und die regelmäßige Kontrolle der Inhalte“, so Pauly.
Weitere Informationen zum Begleiteten Modus finden Sie hier: www.schau-hin.info
Tiktok-Account löschen
Wem die Risiken zu groß sind oder wer Tiktok einfach nicht mehr nutzen möchte, kann den eigenen Account löschen. Hierzu reicht es nicht, die App vom Smartphone zu entfernen. Im eigenen Profil kann man in den Einstellungen die Option „Meinen Account löschen“ auswählen. Dieser ist danach vorerst für 30 Tage deaktiviert und wird danach erst dauerhaft gelöscht. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung gibt es online bei Saferinternet.at