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Aus der Rap-KulturIst Tilidin eine neue Lifestyle-Droge unter Jugendlichen?

Lesezeit 7 Minuten
Tilidin-Tabletten

Der Missbrauch mit dem Schmerzmittel Tilidin ist laut Suchtexperten besonders gefährlich für junge Erwachsene und Jugendliche.

Köln – Jüngst warnten Suchtexperten vor einer neuen Trenddroge, die bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen angesagt sein soll: Tilidin. Der Impuls dafür kommt aus der deutschen Rapszene, wo Tilidin in Videos und Liedern verherrlicht wird, wie etwa im gleichnamigen Song von Capital Bra. Immer mehr junge Leute würden auf den Zug mit aufspringen und das verschreibungspflichtige und stark abhängig machende Schmerzmittel einnehmen, um sich daran zu berauschen. Ist Tilidin ein großes Problem bei einer breiteren jungen Zielgruppe – oder doch lediglich ein Randphänomen?

Aktuelle Zahlen zum Tilidin-Konsum sind schwer zu ermitteln, da sich neue Drogentrends erst viele Jahre später in Suchthilfestatistiken zeigen. Dass es ein Thema ist, zeigt sich aber deutlich, wenn man die Verschreibungszahlen von Tilidin betrachtet, die seit 2018 auf einmal stark in die Höhe geschossen sind. „Bei den 15- bis 20-jährigen Jungen ist die Menge der verordneten Tilidin-Tabletten um das 40-fache angestiegen, bei Mädchen um das 20-fache“, sagt Gesundheitswissenschaftler und Arzneimittelexperte Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen.

Plötzlich massenhaft Verschreibungen von Tilidin an Jüngere

Und das seien höchst ungewöhnliche Zahlen, denn eigentlich würde das Schmerzmedikament nur bei starken Schmerzen, nach schweren Verletzungen oder Operationen verschrieben werden – und eher selten an Jugendliche. Zu sehen sei zudem, dass die Verschreibungskurve bei den etwas älteren Patienten, den über 20-Jährigen, auch stramm wieder fallen würde, hier werden für Tilidin wieder deutlich weniger Verordnungen dokumentiert.

Der Anstoß zum Tilidin-Hype könnte in der Rap- und Hip-Hop-Szene liegen. So thematisieren einige deutsche Rapper seit ein paar Jahren in ihren Songs das Medikament und verherrlichen dort ihren eigenen Konsum. Insbesondere der Song „Tilidin“ der Rapper Capital Bra und Samra wurde inzwischen auf YouTube 69 Millionen Mal angeklickt. „Das Tilidin hat offensichtlich durch den Rap-Song so viel Aufmerksamkeit erzeugt, dass viele Jugendliche versucht haben, dieses Mittel zu kriegen“, sagt Glaeske. „Die Steigerung der Tilidin-Verordnungen oder des Verkaufs auf der Straße ist auch durch sonst nichts anderes erklärbar als durch eine Drogen-Modeerscheinung, die durch Rap-Songs mit unterstützt wurde.“

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Tilidin wird in Rapsongs gefeiert – und die Fans chillen mit

Auch Ralf Wischnewski, Referent für Suchtprävention bei der Drogenhilfe Köln, sieht einen nicht zu unterschätzenden Einfluss der Rap-Kultur. „Texte und Musikvideos sind teils Werbeveranstaltungen für Drogenkonsum. Wenn gefeierte Stars in ihren Liedern Drogen verherrlichen, dann besteht natürlich die Gefahr, dass die Fans dieser Subkultur die auch konsumieren wollen.“ Um das Lebensgefühl ihrer Idole zu imitieren, gehöre es eben für einige auch dazu, das gleiche einzuwerfen. Neben Tilidin würden auch andere Medikamente in Rap-Songs besungen und deshalb immer wieder neu verbreitet werden, zum Beispiel Hustensaft-Drinks mit dem Wirkstoff Codein oder Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine.

Inzwischen gibt es auch negative Tilidin-Erfahrungsberichte – Capital Bra etwa gestand jüngst in einem Interview offen ein, wie sehr er unter seiner Tilidin-Sucht gelitten hat. Er warnte sogar davor. „Dennoch rappen sie dieselben Songs weiter und verdienen eine Menge Geld damit“, sagt Wischnewski, „ich glaube nicht, dass Tilidin nur durch dieses Interview ein negatives Image bekommen wird. Dazu bedarf es mehr“.

Junge Leute kaufen Tilidin-Rezepte im Darknet

Wie ihre Vorbilder nähmen die jungen Leute Tilidin zum „chillen“ und um Probleme auszublenden, sagt Wischnewski. Es wirke schmerzlindernd und angstlösend und habe manchmal auch euphorisierende Wirkung. „Aber es gehört zur Gruppe der Opioide und macht bei regelmäßigem Konsum sehr schnell körperlich abhängig.“ Der Entzug könne heftig sein. „Wir hatten hier in der Beratung Jugendliche, die psychisch und körperlich davon abhängig waren und durch Entzugs- und Suchtfachkliniken medizinisch und psychologisch unterstützt werden mussten.“


Jugendsuchtberatung

Beratung, Hilfe und Informationen zum Thema Sucht finden Jugendliche und junge Erwachsene bei der Jugendsuchtberatung „ansprechbar“ der Drogenhilfe Köln – gleich zwei Mal vor Ort in Köln, außerdem per Chat, e-Mail oder Telefon: 0221/91279710.


Nicht ohne Grund sind diese Mittel eigentlich verschreibungspflichtig. Tilidin-Tropfen fallen inzwischen sogar unter das Betäubungsmittelgesetz. Selbst Tilidin-Tabletten bekommen Jugendliche nicht einfach so. „Ich kann mir kaum einen Arzt vorstellen, der einem 15-Jährigen so etwas verschreibt“, sagt Gerd Glaeske. „Wir haben in einigen Fällen feststellen können, dass diese Mittel zum großen Teil auch über echte Rezepte kommen, die man mit Arztunterschrift über das Darknet bestellen kann.“ Diese würden dann auf normalem Wege in Apotheken eingelöst.

Viele besorgten sich die Medikamente auch auf dem Schwarzmarkt im Internet, wo sie sogar über Instagram angeboten werden. „Auch Straßendealer haben inzwischen häufig Tilidin im Angebot und verkaufen das zusammen mit Gras – in einer Art Koppelgeschäft.“

Es ist schwer, Schmerzmittel-Konsum zu bemerken

Dass sich ihre Kinder regelmäßig Schmerztabletten einwerfen, das hätten Eltern wiederum meistens gar nicht auf dem Schirm, sagt Suchtpräventionsexperte Jürgen Meisenbach von der Drogenhilfe Köln. Auch sei es schwierig, einen Schmerzmittel-Konsum beim Kind überhaupt zu bemerken, weil es erstmal keine äußeren Anzeichen wie gerötete Augen oder vergrößerte Pupillen gebe. Dauerhaft könne es aber schon Hinweise geben, zum Beispiel Nebenwirkungen wie Magenschmerzen und Durchfall. „Meine Überzeugung ist, dass Eltern, die aufmerksam und mit ihrem Kind in Kontakt sind, eine Abhängigkeit mittel- oder langfristig bemerken, weil sich die Jugendlichen in ihrem Verhalten verändern.“ Bei einem Verdacht sollten Eltern ruhig nachhaken, ihre Sorge zeigen und fragen, was los ist. „Eltern kennen ihr Kind ja am besten. Sie sollten ihrer Wahrnehmung vertrauen.“

Und sie sollten sich auch an die eigene Nase fassen. Die Bereitschaft bei Erwachsenen, schnell Medikamente wie zum Beispiel Ibuprofen zu konsumieren, sei nämlich hoch. „Es ist natürlich nicht gerade das beste Vorbildverhalten für Kinder, wenn man bei jeder Unpässlichkeit sofort ein Mittelchen einwirft“, sagt Meisenbach. In manchen Familien sei das Gang und Gäbe, bestätigt auch Prof. Glaeske.

Cannabis immer noch ein viel größeres Problem

Ob man Schmerzmittel-Konsum im Allgemeinen und Tilidin im Speziellen nun als alarmierenden Drogen-Hype unter jungen Leuten betrachten kann, das ist dennoch fraglich. „Bei uns in den Beratungsstellen ist der Tilidin-Konsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bisher noch unterrepräsentiert“, sagt Ralf Wischnewski. Auch in weiteren Großstädten in Nordrhein-Westfalen sei das nicht anders. „Uns ist das Phänomen auf jeden Fall bekannt und es gibt einzelne Jugendliche, die sich wegen einer Tilidin-Problematik an uns wenden, es ist aber unserer Erfahrung nach kein Massenphänomen oder gar Trend.“

Man müsse das jedoch auch vorsichtig betrachten, ergänzt Wischnewski, da nicht jeder, der ein Problem mit Drogen habe, sich auch an eine Hilfeeinrichtung wenden würde. „Und wir bekommen mit, dass viele Jugendliche schon von Tilidin gehört haben und auch darüber gesprochen wird.“ Es bleibe also zu befürchten, dass der Schmerzmittel-Konsum dennoch zunehme. Auch Jürgen Meisenbach hat das beobachtet: „Bei Veranstaltungen in Schulen habe ich festgestellt, dass die Bereitschaft bei heutigen Teenagern, Medikamente zu nehmen, insgesamt eine größere geworden ist.“

In den Kölner Beratungsstellen seien andere Suchtmittel aber auf jeden Fall deutlich mehr im Gespräch. „Letzten Endes sind es die Klassiker, die sich bei uns in den Beratungsstellen immer noch als größtes Problem für Jugendliche zeigen“, sagt Ralf Wischnewski, „und zwar Cannabis, Alkohol und Partydrogen wie Ectasy, Amphetamin und Kokain. Außerdem hat auch zuletzt die Mediensucht bei Jugendlichen enorm zugenommen.“

Hoffnung auf mehr Kontrolle durch Behörden

Was Tilidin betrifft, so bleibt zu hoffen, dass dieses Phänomen vielleicht ein Strohfeuer bleibt. „Ich bin ziemlich sicher, dass es ein momentaner Hype ist, der wieder vergehen kann“, sagt Gerd Glaeske. Dennoch befürchte er, dass es nicht mehr ganz verschwindet. „Wenn Dealer einmal Tilidin anbieten, dann wird es auf der Straße oder auf Schulhöfen vielleicht auch dauerhaft stärker beachtet werden.“ Deshalb habe er bei der Bundes-Opium-Stelle angefragt, ob man auch Tilidin-Tabletten unter strengere Aufsicht stellen könnte. Er hoffe außerdem, dass die Überwachungsbehörden die Musiker für ihre Tilidin-Botschaften zur Rechenschaft ziehen. „Für rezeptpflichtige Mittel darf in der Öffentlichkeit nicht geworben werden. Und da gehört für mich auch dazu, wenn diese Mittel in Songs dargestellt werden.“