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Gesucht und gefunden„Ich vermisste meine Oma, doch ich hatte Angst, sie könnte mir die Tür vor der Nase zuschlagen“

Lesezeit 4 Minuten
Katharina Sellin mit ihrer Großmutter Magdalena

Katharina Sellin mit ihrer Großmutter Magdalena Sprengnöder im November 2024

Katharina Sellin war 12 Jahre alt, als ihr Vater sich mit seiner Mutter zerstritt. Jahrelang hatten Großmutter und Enkelin keinen Kontakt – bis Sellins Freundin auf eigene Faust nach der geliebten Oma suchte.

„Meine Oma und ich hatten von klein auf ein inniges Verhältnis, denn sie war immer für mich da. Schon als Baby habe ich bei ihr übernachtet. Früher nannte ich sie liebevoll ‚Mimi-Oma‘, weil sie eine Katze namens Mimi hatte.

Meine Kindheit war nicht immer leicht. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich ein Jahr alt war. Mit elf Jahren zog ich zu meinem Vater, in das Haus, das direkt neben dem meiner Großeltern stand. Wenn mein Vater arbeitete oder wenn ich abends alleine im Bett lag und irgendwelche Geräusche mir Angst machten, war meine Oma da. Ihre Telefonnummer hatte auf unserem Telefon die Schnelltaste 1: Rief ich sie an, kam sie sofort rüber. Jedes Mal.

Meine Oma ging ihrem Alltag mit mir an ihrer Seite nach. Sie nahm mich mit zu ihren Sportkursen, wir fuhren gemeinsam mit dem Fahrrad zum nächsten Bauern und kauften dort Käse, sie kochte mir mittags die leckersten Gerichte und backte mit mir. Abends las sie mit Geschichten und Gedichte vor, morgens nach dem Aufstehen machten wir gemeinsam Frühsport. Ich war überall dabei und nie eine Last. Es war wundervoll.

Die Angst, sie könnte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, war zu groß

Als ich 12 Jahre alt war, zerstritt sich mein Vater mit seiner Mutter, die Verbindung zerbrach. Mein Vater zog mit mir weg, von Stürzelberg nach Rommerskirchen.

Damals fühlte ich mich sehr verloren. Ein wichtiger Teil meines Lebens fehlte. Trotzdem traute ich mich nicht, zu fragen: Kann ich Oma besuchen? Denn ich wusste, wie verhärtet die Fronten sind und wollte keinen Streit provozieren. Die Jahre vergingen, ich vermisste meine Oma, doch ich fuhr nie bei ihr vorbei. Die Angst, sie könnte mir die Tür vor der Nase zuschlagen, war zu groß.

Katharina Sellin mit ihrer Großmutter Magdalena

Ein Bild aus glücklichen Kindertagen: Katharina als Kleinkind mit ihrer Großmutter Magdalena Sprengnöder, aufgenommen 1995

Kurz vor meinem 26. Geburtstag erzählte ich meiner damals besten Freundin in einem Café von ihr und wie sehr ich sie vermisste. Ein paar Tage später rief mich meine Freundin an. ‚Kannst du kurz herunterkommen?‘ Nach unserem Gespräch im Café hatte sie im Internet nach meiner Oma gesucht, ihre Adresse gefunden und ist kurzerhand zu ihr gefahren. Meine Oma sagte zu meiner Freundin: ‚Ich gebe Ihnen jetzt meine Nummer und wenn Kathi den Kontakt wirklich möchte, kann sie mich jederzeit anrufen.‘

Als meine Freundin mir das erzählte, war ich vollkommen überfordert. Es war eine totale Achterbahn der Gefühle, eine Mischung aus Angst, aus ‚wie kannst du nur‘ und ‚was mache ich jetzt?‘.

Am nächsten Tag traute ich mich und rief an. Sie ging sofort ran. Ihre Stimme fühlte sich wie nach Hause kommen an, ich nahm sie wie aus Kinderohren wahr. Als hätte ich sie erst gestern zuletzt gehört. Mein Herz raste, meine Stimme zitterte als ich sagte: ‚Hallo, Oma.‘

Sie schlug sofort einen Tag und eine Uhrzeit für einen Spaziergang vor. Als sie mit dem Fahrrad am Treffpunkt ankam, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer. Mein erster Gedanke war: Wie gut sieht sie bitte aus? Glatte Haut, wunderschöne Haare, fit wie sonst was. Dann kamen ganz viele Emotionen hoch, ich nahm sie fest in den Arm und verdrückte ein paar Tränen.

„Manchmal muss der Mut größer sein als die Angst“

Nach unserem ersten Treffen im Park sahen wir uns wieder regelmäßig. Wenige Monate später wurde ich schwanger und meine Oma freute sich riesig zu sehen, wie der Bauch wuchs. Mittlerweile hat sie zwei Urenkelkinder, die sie sehr liebt. Jedes Jahr schenke ich ihr zu Weihnachten einen Fotokalender von uns allen, jedes Jahr freut sie sich wahnsinnig darüber.

Meine Oma redete nie offen über die Zeit nach dem Umzug. Nur manchmal merkte sie an, wie sehr sie mich vermisst hatte. Ich war so präsent in ihrem Leben gewesen und als wir wegzogen, war ihr Haus plötzlich leer.

Mein Vater weiß, dass ich wieder Kontakt zu seiner Mutter habe. Für ihn ist es okay. Mir ist Familie sehr wichtig und wenn Familienmitglieder untereinander nicht mehr klarkommen, hat das nichts mit mir zu tun.

Meine Oma, diese unglaubliche Frau, ist heute 87 Jahre alt. Ich bin so froh, sie wieder in meinem Leben zu haben und hoffe, noch viele schöne Jahre, Tage, Momente mit ihr zu erleben. Ohne meine Freundin wären wir heute nicht im Kontakt. Manchmal muss der Mut größer sein als die Angst. In unserem Fall wurde der Mut belohnt.“