Psychologe rätSo verhindern Familien Streit an den Weihnachtstagen
Köln – Oje, Weihnachten naht! Vielen macht das Fest der Liebe schon Wochen vorher Bauchschmerzen. Denn an den Feiertagen steht die Familie im Mittelpunkt. Die Verwandtschaft reist an, man sieht sie alle wieder. Was eigentlich Anlass zur Freude sein könnte, wird häufig zum Spießrutenlaufen. Denn Auseinandersetzungen und Streit rund ums Fest sind bei vielen Familien vorprogrammiert. Das besinnliche Zusammensein wird zum emotionalen Schlachtfeld.
Die Ansprüche an die Feiertage sind viel zu hoch
Aber warum fliegen eigentlich gerade an Weihnachten häufig die Fetzen? „Das hängt damit zusammen, dass die Erwartungen ans Weihnachtsfest hoch sind, es soll perfekt sein“, sagt Prof. Dr. Siegfried Preiser von der Psychologischen Hochschule Berlin. „Sobald etwas nicht klappt, ist das schnell eine kleine Katastrophe.“ Besonders in Deutschland werde Weihnachten zudem als das Fest der Familie hochgehalten. „Es gibt den Anspruch, dass an Weihnachten intensive und harmonische Tage mit der Familie verbracht werden“, sagt Preiser. Gerade wenn Eltern vorher nicht so viel Zeit für ihre Kinder hatten, möchten sie vieles nachholen – möglicherweise auch aus schlechtem Gewissen. Der Druck ist hoch.
Nicht jeder kann auf Knopfdruck entspannen
Auch die plötzliche Ruhe an den Feiertagen kann zu Verstimmungen führen. Denn Entspannung auf Knopfdruck, das können nur die wenigsten. „Der abrupte Wechsel von der hektischen Vorweihnachtszeit hin zu einer ruhigen Phase fällt manchen sehr schwer“, erklärt Prof. Preiser. Wenn der eine schon völlig relaxt auf dem Sofa hängt, der andere aber nicht runter kommt und weiter geschäftig herumwuselt, sind Spannungen vorprogrammiert.
Um schon lockerer in die Feiertage zu starten, empfiehlt Psychologe Preiser, sich bereits in der Adventszeit kleine Entspannungsoasen zu schaffen und sich aus der Hektik des Alltags bewusst auszuklinken. „Es geht quasi darum, Entspannung einzuüben“. Möglich wäre zum Beispiel, sich regelmäßig hinzusetzen, eine Kerze anzuzünden und einen Tee zu trinken. Oder sich jeden Tag für eine kurze Meditation Zeit zu nehmen. Es gibt auch Adventskalender mit kurzen Texten, denen man sich jeweils ein paar Minuten widmen kann.
Man muss nicht immer aufeinander hocken
Gerade wenn man sich übers Jahr selten sieht, gilt es natürlich, die Feiertage ausnutzen. „Das heißt aber nicht, dass man alles zusammen machen muss“, sagt Psychologe Preiser, „die Familienmitglieder sollten auch mal für sich sein können und individuelle Pläne haben.“ Das verhindere auch, dass sie die ganze Zeit aufeinander hocken. Räumlich eng beieinander könnten schon unterschiedliche Vorstellungen von Ordnung oder Pünktlichkeit zu kleineren Explosionen führen. „Überhaupt ist es gut, nicht immer zuhause zu bleiben, sondern auch draußen etwas gemeinsam zu erleben, vom Spaziergang bis zum Weihnachtskonzert.“
Nicht stur an feste Abläufe und Rituale klammern
„In vielen Familien gibt es lieb gewordene Traditionen und Rituale, auf die selbst erwachsene Kinder beim Besuch ihrer Eltern nicht verzichten wollen. Das fördert Sicherheit, Geborgenheit und Vertrauen. Aber Familien sollten sich keinesfalls stur an feste Abläufe klammern, nicht jedes Weihnachten muss genau gleich ritualisiert ablaufen“, rät Preiser. Gerade wenn Kinder in die Pubertät kommen oder schon erwachsen sind, veränderten sich die Wünsche. Eltern sollten das tolerieren. „Möglich wäre zum Beispiel, vorher darüber zu sprechen, was sich jeder für die Feiertage wünscht.“
Was tun, wenn ein Streit beim Fest eskaliert?
Nicht immer entzündet sich der Streit erst beim Fest, in vielen Familien gibt es lange schwelende Konflikte und alte Zwists. Wäre die Weihnachtszeit, wenn alle an einem Ort versammelt sind, keine gute Gelegenheit, um endlich mal etwas anzusprechen? Grundsätzlich gebe es dafür keine festen Tipps, sagt Prof. Preiser. „Aber das passt natürlich nicht zum Harmonieanspruch von Weihnachten.“ Die Tage vor Silvester wären dafür möglicherweise besser geeignet. Anzukündigen, dass der Wunsch besteht, etwas in Ruhe zu klären, seien aber sinnvoll. Am besten man verabrede sich gleich für einen festen Termin.
Das Familienfest aus Angst vor Konflikten gleich ganz zu meiden, das könne höchstens eine Notlösung sein, wenn man es wirklich nicht aushält. Die Konflikte würden dadurch aber nur verschärft. Wenn man eine längere Zeit mit der Verwandtschaft nicht durchstehe, könne man zum Beispiel nur an einem Tag hingehen oder sich auf neutralem Grund, etwa im Restaurant treffen.
Was tun, wenn der Streit in vollem Gange ist?
Wenn es am Tisch dann doch zum Geschrei kommt und der Plätzchenteller durch die Gegend fliegt, solle man Ruhe bewahren. Auch einfach mal das Zimmer zu verlassen, könne die Situation entschärfen, sagt Psychologe Preiser. „Besser als einfach nur raus zu rennen und die Tür zuzuknallen, wäre es aber, klar zu sagen ‚Ich ertrage das gerade nicht mehr, ich muss jetzt erst einmal rausgehen!‘“ So halte man sich den Rückweg und die Möglichkeit eines Gesprächs offen. „Wichtig ist generell, dass man angriffsarme Ich-Aussagen formuliert. Also eher sagt ‚das überfordert mich!‘ oder ‚ich wünsche mir‘, anstatt mit den anderen ins Strafgericht zu gehen und sie direkt anzuklagen.“
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Wenn Trennung oder Tod das Fest trüben
Dass die Stimmung an Weihnachten getrübt ist, hängt manchmal auch von äußeren Umständen ab. Wenn ein naher Familienangehöriger gestorben ist oder sich ein Paar kurz vor dem Fest getrennt hat. Wie geht man damit an den Feiertagen um? „Das gehört dazu. Man darf das auch im Rahmen der Feier ansprechen“, erläutert Prof. Preiser. Es helfe, die Trauer zuzulassen und sich bewusst an den fehlenden Menschen zu erinnern, eine Kerze anzuzünden oder andere Rituale zu begehen. Wenn kleine Kinder unter der Trennung ihrer Eltern leiden würden, dürften sie das auch am Fest zeigen.
Buchtipp zur Entspannung in der Adventszeit:
Georg Magirius: Dies soll euch ein Zeichen sein. Einstimmung auf Weihnachten, Herder, 2014