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Zehn MythenWie können Eltern ihr schreiendes Kind wirklich beruhigen?

Lesezeit 5 Minuten

Kuscheln hilft doch eigentlich immer, oder?

Arme unter den Bauch, Finger ans Kinn und schon ist das Baby ruhig. Im Netz kursiert seit Tagen das Video vom „Wundergriff“ des kalifornischen Arztes Robert Hamilton, der damit schon Hunderte seiner kleinen Patienten beruhigt haben will. Kritiker warnen: Um diesen Griff richtig auszuführen, muss man sehr geübt und vorsichtig sein. Eine Allzweckwaffe gegen Babygebrüll ist er nicht. Wie beruhige ich mein Kind richtig? Wir haben 10 Mythen rund um das Thema zusammengestellt.

Mythos 1: Wundergriffe können jedem Baby helfen

„Ein Zaubermittel um jedes Baby zu beruhigen, gibt es nicht“, sagt die Kölner Hebamme Linda Beuth. Sie kann sich vorstellen, dass der Griff bei einigen Säuglingen hilft, bei anderen sicher nicht. Kinderarzt Dr. Martin Beck aus Bonn-Meckenheim findet den amerikanischen Wundergriff sogar ziemlich unpraktisch: „Der Griff ist für den Halter nicht bequem. Und wie reagiert das Baby, wenn ich mit dieser Haltung aufhöre?“ Die bessere Strategie zum Beruhigen: selber ruhig bleiben und Nähe geben. Dazu braucht es keine speziellen Handgriffe.

Mythos 2: Der Schnuller ist die Rettung

Ja, ein Schnuller kann helfen, denn das Saugen setzt Endorphine frei. Aber nicht jedes Kind akzeptiert einen Schnuller und der Latex- oder Kautschukstöpsel hat auch Tücken. „Er bringt oft Unruhe rein. Das Baby verliert ihn, kann ihn sich noch nicht selber wieder in den Mund stecken. Das Schreien geht von vorne los“, sagt Hebamme Linda Beuth.

„Der Schnuller ist hilfreich, wenn die Mutter sonst zum lebenden Schnuller wird. Aber er sollte kein Selbstzweck sein“, rät Kinderarzt Beck. Viele Eltern stecken den Schnuller reflexartig in den Kindermund. Besser sei zu ergründen, warum das Kind wirklich schreie. Und ab zwei Jahren sollte der Stöpsel tatsächlich komplett raus, sonst drohen Schäden am Kiefer.

Mythos 3: Honig auf den Schnuller sorgt für Ruhe

So hat es manche heutige Oma früher gemacht: Der Schnuller wurde in Honig getaucht und schnell verwandelte sich das Brüllen in ein glucksendes Sauggeräusch. Doch Honig kann für Babys lebensgefährlich sein, weil durch ihn Spuren des Bakteriums Clostridium botulinum in den Darm kommen können, die sich dort vermehren und Gifte bilden können. Die Toxine bewirken eine Muskellähmung, die schlimmstenfalls mit einer lebensbedrohlichen Atemlähmung einhergehen kann. Auch wenn Säuglingsbotulismus in Deutschland sehr selten ist: Kinder unter einem Jahr sollten keinen Honig bekommen.

Mythos 4: Einfach schreien lassen, irgendwann beruhigt es sich schon

„Schreien stärkt die Lungen“, hieß es früher. Ein Irrglaube. Deswegen hat Kinderarzt Martin Beck sein Buch über Elternirrtümer auch genau so genannt. Schreien stärkt nicht die Lungen, es schwächt das kindliche Urvertrauen. Das Atemorgan eines Säuglings ist in der Regel schon gut entwickelt, da muss nichts gekräftigt werden durch lange Schreiphasen. Im Gegenteil: Babys müssen spüren, dass ihre Bedürfnisse schnell befriedigt werden. „Manchmal müssen Eltern hier vorgehen wie Sherlock Holmes und Verschiedenes ausprobieren. Wenn das Kind weder hungrig, noch müde noch nass ist, ist es meistens schlichtweg überreizt von Eindrücken.“

Mythos 5: Schnuller ist besser als Daumenlutschen

„Die Gefahr einer Kieferverformung ist bei häufigem Saugen immer gegeben, egal ob das Kind am Daumen oder Schnuller lutscht“, sagt Martin Beck. Aus ärztlicher Sicht hat er beim Daumenlutschen weniger Bedenken als beim Dauerschnullern. „Daumenlutschen findet nicht 24 Stunden am Tag statt, dazu schätzen die Kleinkinder die Möglichkeit zu sehr, beide Hände zu benutzen.“ Seiner Erfahrung nach bilden sich eventuelle Verformungen, die während der ersten Lebensjahre durch Daumenlutschen am Kiefer entstehen, in vielen Fällen von selbst wieder zurück.

Mythos 6: Fliegergriff und Herumtragen hilft immer

Natürlich brauchen Babys viel Körperkontakt, oft beruhigen sie sich so am besten. Doch kein Elternteil muss sein Kind den ganzen Tag herumtragen. Ein Baby darf auch Zeit auf der Krabbeldecke verbringen, dort spielen und vielleicht irgendwann sogar einnicken. „Beim Beruhigen geht es um Selbstregulation“, sagt Kinderarzt Martin Beck. Selber zur Ruhe zu kommen, das müssen Säuglinge erst einmal lernen. Erhält das Kind dauerhaft zu viel Entertainment, erfährt es nicht, dass es sich auch selbst beruhen kann.

Mythos 7: Schnalzen und Schaukeln sind die Lösung

Dauergeräusche und ständiges Wippen auf dem Pezziball müssen nicht sein, manchmal macht das die Babys sogar noch unruhiger. „Schon die Kleinsten haben feine Antennen, sie agieren wie ein Spiegel des Inneren ihrer Eltern, sie spüren alles, auch jedes Unruhegefühl“, sagt Hebamme Linda Beuth. Generell gilt: Wer beruhigen will muss selbst ruhig sein. „Hilfreich ist es Rituale einzuführen, etwa eine regelmäßige Babymassage oder das Aufziehen der Spieluhr, wenn das Kind gut darauf reagiert“, so Beuth. Feste Abläufe geben Halt und deswegen auch Ruhe.

Mythos 8: Beschäftigung macht ruhig

Über fast jeder Babyschale und Kinderwagen baumeln bunte Spielzeuge und Mobiles. Wenn die Kleinen schreien, hilft etwas zum Gucken und Spielen, oder? Weniger ist hier mehr, findet Kinderarzt Dr. Martin Beck. „Ein Baby muss nicht ständig bespaßt werden, es hat auch so genug zu lernen.“ Die eigenen Hände etwa oder das Gesicht von Mama und Papa sind in den ersten Monaten spannend genug. Das Kind muss nicht ständig mit einer lauten Rassel abgelenkt werden.

Mythos 9: Autofahren beruhigt das Baby

Viele Babys schlafen auf dem Rücksitz in der Babyschale schnell ein. Das sollte aber für Eltern keine Dauerlösung zum Beruhigen werden. Babys sollten immer nur so kurz wie möglich in der Babyschale liegen, da diese Position für ihren Rücken nicht optimal ist. Also lieber keine nächtlichen Extra-Touren über die Landstraße drehen.

Mythos 10: Pucken hilft jedem Kind

Beim Pucken wird das Baby eng eingewickelt in ein Molton-Tuch oder in eine Decke. Die Technik soll Kinder beruhigen und ein Mutterleibs-Gefühl suggerieren. Viele Babys lieben es, andere mögen es gar nicht, so eng eingepackt zu sein. Hier hilft nur Ausprobieren: Eltern merken schnell, ob ihr Kind ein Puck-Baby ist oder nicht. Hebamme Linda Beuth: „Säuglinge, die stark mit ihren Reflexen zu kämpfen haben (etwas dem Moro-Reflex, der aussieht wie ein unkontrolliertes Zucken), denen hilft das Pucken oft gut, bei anderen kann es auch zu Unruhe führen.“