Zweckbeziehung„Ich ertrage meinen Mann nicht mehr, kann mich aber nicht trennen“
- Freunde und Bekannte glauben, es ist alles in Ordnung in ihrer Beziehung. Doch das stimmt nicht.
- Anonym erzählt eine 40-jährige Mutter zum ersten Mal, wie unglücklich sie in ihrer Ehe ist – und warum sich trotzdem nicht trennen kann.
- Ob so eine Zweckbeziehung ohne Liebe funktionieren kann, erklärt eine Familientherapeutin im Anschluss.
Köln – Ich bin 40 Jahre alt und seit sechs Jahren mit M. verheiratet. Mit ihm war alles vom ersten Moment an aufregend, in die gute wie in die schlechte Richtung. Nach einem Jahr machte er mir einen Heiratsantrag und ich sagte ja, obwohl mir alle davon abrieten. Komischerweise konnten meine Freunde damals schon sehen, was für ein Mensch er wirklich ist. Ich leider nicht.
Ich gab meine Wohnung auf und zog zu ihm. Natürlich wurde unsere Beziehung mit der Zeit ruhiger, aber wir hatten immer noch viel Spaß zusammen und gingen oft aus. In diesen Ausgeh-Nächten hatten wir zum ersten Mal diese heftigen Streits, die ich jetzt nur zu gut kenne. Aber damals dachte ich noch, dass seien eben Ausraster, die man nachts manchmal hat. Und wir vertrugen uns ja auch immer wieder.
Je näher der Geburtstermin rückte, desto distanzierter wurde er
Nach etwa zweieinhalb Jahren waren wir soweit, dass wir gerne ein Kind haben und eine richtige Familie sein wollten. Es klappte sofort und wir freuten uns sehr. Im Laufe der Schwangerschaft veränderte sich dann unsere Beziehung. Er kam nicht damit klar, dass ich immer müde war. Es gefiel ihm auch nicht, dass wir nicht mehr so wie früher ausgehen konnten. Er wird sich schon noch daran gewöhnen, es ist ja auch für ihn eine Umstellung, dachte ich mir. Aber er gewöhnte sich nicht. Im Gegenteil. Je näher der Geburtstermin rückte, desto distanzierter wurde er. Vielleicht hat er einfach Angst, dachte ich. Hatte ich ja auch.
Er freute sich zwar über seinen Sohn, aber so richtig geheuer war ihm das alles nicht und er blieb auf Distanz. Außerdem hatte er die abstruse Vorstellung, dass der Kleine nach seinem Willen funktionieren müsse. Er war zum Beispiel der festen Überzeugung, dass man es einem Kind direkt beibringen könne, durchzuschlafen. „Ich werde nachts jedenfalls nicht aufstehen!“, war für ihn klar. So ist es bis heute. Ich mache alles alleine. Wenn ich möchte, dass er etwas übernimmt, muss ich es ganz deutlich einfordern. Von allein kommt er nicht drauf, da guckt er lieber Fußball, anstatt den Kleinen ins Bett zu bringen.
Wir streiten uns mittlerweile mindestens einmal im Monat existenziell
Das ist aber nicht das größte Problem. Wir streiten uns mittlerweile mindestens einmal im Monat, oft aus nichtigem Anlass. Ich rede nicht von ein bisschen anzicken, sondern von existentiellen Streits. Die laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Er knallt mir eine sehr persönliche Beleidigung vor die Füße und geht dann einfach weg. Ich habe keine Chance, etwas dazu zu sagen. Selbst wenn er mich anhört, kommt bei ihm nicht an, was ich vermitteln will. Er sitzt dann nur da und sagt: „Ich sehe das Problem nicht.“ Also gibt es das Problem nicht und somit auch keinen Redebedarf. Es gibt immer nur sein Problem, seine Sichtweise. Immer.
Am Anfang bin ich ihm noch hinterher gelaufen, oft genug weinend. In meinen Augen war nichts Schlimmes passiert und ich wollte mich schnell wieder vertragen. Aber er wollte nicht reden, stieß mich weg. „Du bist wie ein Hund, den man treten kann und der trotzdem immer angekrochen kommt. Ich will aber eine Katze“, sagte er einmal zu mir. Jeder weitere Streit rammt mir einen neuen kleinen Nagel ins Herz und raubt mir immer mehr Kraft. Warum muss das so sein? Es ist doch eigentlich alles in Ordnung zwischen uns. Oder? Ich merke, dass ich immer mehr abstumpfe. Mittlerweile bin ich einfach nur froh, wenn unser Leben halbwegs funktioniert. Versuche bereits, mich so zu verhalten, dass es nicht wieder zu einer Eskalation kommt. Und hasse mich selbst dafür. Ich, die Frau, die alle immer für ihre Stärke und Durchsetzungskraft bewundern. Die so erfolgreich ist im Job und ein ganzes Team führte. Diese Frau lässt sich plötzlich von einem Egomanen herumkommandieren und erniedrigen. Ich bin doch diese Frau nicht, oder? Mit niemandem kann ich darüber reden, weil jeder mir sagen würde: „Du musst dich trennen. Warum tust du dir das an? Das hast du gar nicht nötig.“ Aber ich trenne mich nicht und halte die Fassade so gut wie möglich aufrecht.
Können wir uns nicht doch wieder zusammenreißen?
Nach einem ganz besonders heftigen und gemeinen Streit wäre ich einmal beinahe ausgezogen. Ich hatte sogar eine Wohnung gefunden, doch kurz vor dem Umzug packte mich plötzlich die Angst: Will ich das wirklich? Soll unser Sohn mit getrennten Eltern aufwachsen? Können wir uns nicht doch wieder zusammenreißen? Habe ich genug Geld und Kraft, um alleine ein Kind aufzuziehen? Zwischen unseren Streits gibt es ja auch immer wieder Zeiten, in denen wir uns gut verstehen, sogar liebevoll miteinander umgehen, wo ich mich plötzlich wieder daran erinnern kann, warum ich ihn geheiratet habe. Ich hoffe dann, dass diese Phasen anhalten und vielleicht doch alles gut wird. Dass wir als richtige Familie zusammen leben.
Die Paartherapie haben wir nach wenigen Sitzungen wieder beendet
Vor etwa zwei Jahren haben wir eine Paartherapie angefangen. Nach wenigen Sitzungen war dieser an sich gute Ansatz dann aber auch schon wieder beendet. Weil er wieder nur sich sehen konnte und das Gefühl hatte, die Therapeutin sei auf meiner Seite. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich darüber lachen.
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Das Leben zuhause ist anstrengend. Nicht nur, weil ich mich ganz alleine um unser Kind kümmere. Auch nicht, weil ich nicht den fürsorglichen und liebevollen Mann zuhause habe, der sich auf seine Familie freut, wenn er von der Arbeit kommt, damit habe ich mich längst abgefunden. Aber es ist anstrengend, ständig austarieren zu müssen, wie seine Stimmung gerade ist, damit er nicht wieder wegen einer Kleinigkeit explodiert. Ich brauche keinen Mann, der alles tut, was ich will. Aber ich möchte respektiert werden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich schon selbst nicht mehr weiß, wie das geht. Lohnt es sich, in diese Beziehung zu investieren? Manchmal versuche ich, pragmatisch zu denken. Früher wurden Ehen auch nicht aus Liebe geschlossen, sondern um sich gegenseitig abzusichern. Wenn er mich schon nicht emotional unterstützt, so doch zumindest finanziell. Ich will das nicht alles ganz alleine stemmen müssen!
Ich bin ungeplant schwanger geworden – und nun?
Eine Zeitlang haben wir uns wieder so gut verstanden, dass wir uns auch körperlich wieder näher gekommen sind. Und es ist etwas Unglaubliches passiert: Ich bin ungeplant schwanger geworden. Am Anfang war ich einfach nur schockiert. Und der Vater? Er freut sich. Das ist das Verrückte daran. Ich freue mich im Grunde auch, aber ich bin furchtbar verstört. Wie soll das alles funktionieren? Wie soll ich zwei kleine Kinder managen? Tagsüber glaube ich, dass ich das schon alles irgendwie schaffen werde. Aber nachts kann ich oft nicht schlafen, weil die Gedanken in mir rasen. Ich werde noch mehr von ihm abhängig sein, noch unflexibler, noch unfreier. Aber was soll ich tun, es ist jetzt so wie es ist. Ich liebe unseren Sohn und freue mich auf das Baby. Ich hoffe einfach nur, dass alles gut geht."
Das rät die Familientherapeutin:
Anke Lingnau-Carduck ist Systemische Familientherapeutin und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e. V.. Aus ihrer Erfahrung weiß sie, dass Betroffene in so einer Situation sich oft besser Fremden anvertrauen können als ihren Freunden – die Scham ist einfach zu groß. „In meiner systemischen Beratungspraxis habe ich oft erlebt, dass ich in solchen Fällen als Therapeutin die Erste war, der solche Dinge erzählt wurden. In den Dialog zu gehen zu beschämenden Themen, in einen respektvollen zwischenmenschlichen Kontakt, hilft sehr auf dem Weg zur Rückerlangung der Würde und damit der Selbstwirksamkeit.“
Wie kann eine Zweckbeziehung funktionieren?
Eine Zweckbeziehung ist meist ein Kompromiss, der die Sehnsucht nach einer erfüllenden Partnerschaft auf einen Parkplatz stellt und die rationalen guten Gründe für ein Aufrechterhalten der Beziehung fokussiert. Es kann sein, dass beide einen ähnlichen Zweck erkennen, z. B. den Kindern ein gemeinsames Leben mit beiden Elternteilen zu ermöglichen. Dieser Zweck ist häufig der kleinste und zunächst einmal letzte gemeinsame Nenner in dem Lebensabschnitt „wir sind Familie“. Allerdings braucht auch die Zweckbeziehung für ihr Gelingen eine direkte und offene Kommunikation, die getragen ist von einem respektvollen Umgang miteinander. Dafür ist es wichtig, den Zweck des anderen zu kennen und nachzuvollziehen. Hierbei kann sowohl für jeden Einzelnen oder auch für das Paar ein systemischer Beratungsprozess zu der Frage „Wie kann ich in eine Haltung kommen, die mir die Zweckbeziehung ermöglicht und gleichzeitig meine Bedürfnisse und Sehnsüchte achten?“ hilfreich sein.
Sollte man der Kinder wegen zusammen bleiben oder anders gefragt: Was brauchen die Kinder?
Eltern, die „nur“ wegen der Kinder zusammen bleiben, zeigen damit zunächst einmal ihre große Bereitschaft, viel investieren zu wollen für das Wohl ihrer Kinder. Häufig bleiben sie in dieser Lebenssituation lange aus Angst und Hilflosigkeit. Die aufkommenden Zweifel sind mit Blick auf die Kinder angemessen: Kinder brauchen für ein gesundes Wachsen einen verlässlichen Kontakt zu beiden Elternteilen in emotionaler Nähe. Sie müssen geschützt werden vor eskalierenden Konflikten der Eltern, die auch kleinste Kinder schnell emotional erfassen und die sie leicht in eigene Ängste und Loyalitätskonflikte bringen. Erleben Kinder dauerhaft eine erniedrigende und beschämende Kommunikation zwischen den Eltern, so werden auch sie Schaden nehmen in ihrer Entwicklung. Es gibt viele wunderbare und ermutigende Beispiele von Trennungskindern, die eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen aufbauen konnten und in Liebe begleitet werden auch von dem Elternteil, bei dem sie nicht dauerhaft leben. Eltern, die „nur“ wegen der Kinder zusammen bleiben, zeigen ihr Potenzial, vieles zu tun und auszuhalten zum Wohle der Kinder. Sie können diese Bereitschaft leicht und sinnvoll nutzen für die Gestaltung einer gelingende Eltern-Kind-Beziehung auch nach der Trennung.
Wann ist der Punkt erreicht, an dem man gehen sollte?
Bevor jemand wirklich geht, gibt es meist eine Vielzahl an Versuchen zu gehen. Oft beginnt es sehr persönlich, in der eigenen Vorstellungswelt. Menschen brauchen unterschiedlich lange, bis sie sich wagen, die Fantasien der Trennung auch mit jemandem zu sprechen. Die Reaktionen und Antworten der Anderen sind hilfreich für die Entscheidungsfindung. So entsteht mit der Zeit ein realistischeres Bild von dem, was nach dem Weggang passieren könnte, wer unterstützen wird. Die Zukunft wird ein wenig vorhersehbarer und damit sicherer. Der Furcht vor einem großen Fehler, vor einem Scheitern kann so begegnet werden.
Wie schafft man es, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien?
Liebe und Hoffnung sind die stärksten Schutzfaktoren für unsere Resilienz und unsere Gestaltungsfreiheit. Ein verheiratetes Paar mit Kindern ist nicht nur eine Bindung eingegangen, sondern hat sich, meist unbewusst, auch materiell, emotional, sozial, biologisch, psychologisch und biographisch miteinander verbunden. Für das Ziel der Unabhängigkeit brauchen wir ein Bewusstsein über die Möglichkeiten und Grenzen unserer eigenen Bindungsbeschaffenheit. Manchmal scheint dieses Ziel unerreichbar fern, was angesichts der beschriebenen Komplexität nicht mehr erstaunt. Aber mit jedem Schritt der Bewusstwerdung und Veränderung komme ich diesem Ziel ein Stück näher. Es braucht Zeit, Zuversicht, Achtsamkeit und das Feedback von vertrauten Menschen oder einem professionellen Berater, die Fortschritte bemerken auf diesem Weg. Und diese Fortschritte sind es wert, gefeiert zu werden!