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Allergisch gegen Lebensmittel„Ich aß Salat und habe fast keine Luft mehr gekriegt“

Lesezeit 7 Minuten
Stefan Kleiss Senf

Stefan Kleiss ist allergisch gegen Senf.

  1. Mit den drei Universitätskliniken Köln, Bonn, Düsseldorf und akademischen Lehrkrankenhäusern ist die Region ein Spitzenstandort der medizinischen Forschung.
  2. Wer hier wohnt, an Krebs erkrankt, an Hör- oder Gelenkschäden leidet, sich vor Demenz fürchtet oder allergisch auf bestimmte Arzneimittel reagiert, kann unmittelbar vom Know-how der Spezialisten profitieren.
  3. Wie sehr, das zeigt die Serie des Kölner Stadt-Anzeiger mit Experten-Interviews, vor allem aber durch die Erfahrungsberichte erfolgreich behandelter Menschen.

Die sieben wichtigsten Nahrungsmittelallergene in Europa sind Kuhmilch, Hasel- und Walnuss, Sojabohne, Hühnerei, Erdnuss, Fisch und Meeresfrüchte, sowie Weizen. Sie sind für fast 90 Prozent der Nahrungsmittelüberempfindlichkeiten verantwortlich. Im Interview spricht Allergologin Dr. Astrid Schareina über seriöse Tests und den Sinn einer Hyposensibilisierung. Zudem berichten zwei Nahrungsmittelallergiker, wie sie gelernt haben, bestmöglich mit ihrer Allergie umzugehen und zu leben.

Wie wird eine Nahrungsmittelallergie diagnostiziert?

Dr. Astrid Schareina: Zunächst ist wichtig zuzuhören, was der Mensch selber berichtet. Dann machen wir einen Test mit den infrage kommenden Allergenen und Nahrungsmitteln auf der Haut („Pricktest“). Liegt eine Allergie vor, sehe ich an der Kontaktstelle eine Quaddel. Hinzu kommt ein Bluttest. Denn eine echte Allergie wird in den allermeisten Fällen von bestimmten Proteinen in dem betreffenden Nahrungsmittel ausgelöst. Gegen diese Proteine bildet der Körper spezifische IgE-Antikörper, die sich im Blut bestimmen lassen.

Dr. Astrid Schareina

Dr. Astrid Schareine ist Expertin für Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Klingt wie eine klare Sache...

Bei den meisten, die glauben, sie wären allergisch gegen Nahrungsmittel, liegt aber keine Allergie vor, sondern eine andere Unverträglichkeit. Die meisten Nahrungsmittelallergien sind pollenassoziiert, also Kreuzallergien zu den Frühblühern Erle, Hasel, Birke oder Kräutern wie Beifuß. Nur bei Gräserpollen gibt es diese Kreuzallergien kaum.

Wie ist der Hinweis „kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ einzuordnen?

Der Aufdruck hat vor allem haftungsrechtliche Gründe, die Hersteller wollen sich juristisch absichern. Denn bei hitze- und säurestabilen Allergenen wie Erdnuss kann es auch bei ganz kleinen Mengen zu schweren allergischen Reaktionen kommen. Eine primäre, nicht z. B. durch Birkenpollen vermittelte Nussallergie birgt das hohe Risiko eines allergischen Schocks.

Was heißt das für Betroffene?

Sie müssen mit einem Allergieausweis und einem Notfallset ausgestattet sein: Antiallergikum, Cortison, Adrenalin-Injektor. Das gilt auch bei Fischallergie. Ich hatte in meiner Praxis einen Jungen. Wenn er nur ein Fischstäbchen in den Mund nahm, war direkt seine Lippe geschwollen. Es gibt als Kreuzallergie zu Hausstaubmilben auch eine Allergie auf Krabben und Meeresfrüchte, die schwere Reaktionen hervorrufen kann.

Kann sich eine Allergie auswachsen?

Eine schwere, primäre Allergie wie auf Erdnuss, Haselnuss oder Fisch wächst sich nicht aus. Bei solchen, die durch Heuschnupfen entstehen, besteht die Hoffnung. Denn die Symptome vieler Allergiker verlagern sich im Laufe des Lebens. Klassischerweise von Neurodermitis im Babyalter über Asthma beim Schulkind, Heuschnupfen beim jungen Erwachsenen, zu in – mittleren Jahren – immer öfter allergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel. Das ist dann unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich. Steht die Pollenallergie im Vordergrund, empfiehlt sich trotzdem eine Hyposensibilisierung. Denn die Symptome können bei Infekten, beim Sport, durch Alkohol oder auch Schmerzmittel schwerwiegend werden. Viele kleine Kinder sind phasenweise allergisch gegen Grundnahrungsmittel – etwa Milch, Hühnereiweiß, Weizen – aber diese Allergien verlieren sich fast immer bis zum Schulalter.

Wer muss glutenfrei essen?

Viele, die glauben, das sei nötig, haben keine richtige Glutenunverträglichkeit. Echte Fälle, geschätzt 0.9 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, sind klar abzugrenzen durch Blutuntersuchung und Magenspiegelung. Es gibt aber eine Weizenallergie im Kindesalter und eine seltene Sonderform von Weizenallergie, die bei bestimmter Kombi – Sport machen, Brot essen - zu oft schweren allergischen Reaktionen bis zum Schock führen kann.

Wie wird Lactoseintoleranz festgestellt?

Sie kann mit einem Atemtest ausgeschlossen werden. Man trinkt Milchzucker. Wenn dieser nicht durch Enzyme im Darm aufgespalten werden würde, würde er vergoren und man würde in der Ausatemluft vermehrt Wasserstoff-Ionen messen.

Viele reagieren mit Blähbauch, Schmerzen auf Fruchtzucker.

Das ist keine Allergie, sondern eine Fruchtzuckeraufnahmestörung (Fructosemalabsorption). Beschwerden hängen stark von der zugeführten Fruchtzucker-Menge ab. Auch diese Diagnose klärt ein Atemtest.

Das mulmige Gefühl nach dem Senf

Immer mehr Menschen glauben, dass sie bestimmte Lebensmittel nicht vertragen, weil sie „allergisch“ dagegen sind. Bei Stefan Kleiss (32) aus Köln-Nippes ist das erwiesen. Der gelernte Elektriker ist aufgewachsen in der Eifel mit frischer Luft und deftiger Küche. Aber schon als Kind hatte er Probleme mit Allergien: Heuschnupfen, Tierhaare. „Und Senf mochte ich nie“, erinnert sich Kleiss, der inzwischen Medizin-Technik studiert. Wann immer er früher Senf aß, blieb ein mulmiges Gefühl. Mittlerweile weiß er, dass der eigentlich sogar sehr gesunde Scharfmacher Senf ihm nicht nur nicht schmeckt, sondern auch überhaupt nicht bekommt. Er hat eine Senfallergie.

Mit Ende 20 bekam er seltsame Bläschen im Mund, immer stärkere Verdauungsprobleme. „Da habe ich angefangen, zu versuchen selbst herauszufinden, ob das möglicherweise an bestimmten Dingen im Essen liegt.“ Auf einer Dienstreise im Hotel dann die akute Krise. „Ich aß einen Salat, in dem Dressing war Senf und da hab ich fast keine Luft mehr gekriegt“, erinnert er sich. Zurück in Köln geht er direkt zu einer Fachärztin. Resultat: Der Hauttest auf Senf ist positiv, auch im Blut sind die entsprechenden Antikörper nachweisbar. Das Puzzle aus Erlebnissen und Laborwerten ergibt ein klares Bild: Senfallergie.

Seither geht Kleiss nicht ohne sein Notfallset und den Allergieausweis aus dem Haus. Denn Senf steckt auch in eingelegten Gurken und pikanten Soßen, wo man nicht direkt an Senf denkt. „Wenn ich im Supermarkt bin, muss ich wirklich alles lesen“, sagt Kleiss. „Im Restaurant bestelle ich Salat nur noch mit Essig und Öl und mische das Dressing selbst.“ Wegen der Gefahr von Kreuzallergien empfiehlt ihm die Allergologin auch den Verzicht auf Soja – und besser auch auf Mango. Macht die Allergie-Diagnose sein Leben nicht kompliziert? „Ich bin erleichtert, weil es mir besser geht“, sagt Kleiss. Zuhause fiele es ihm leicht zu verzichten. „Ich koche gerne selber und Senf mag ich sowieso nicht.“ Bei Einladungen oder im Restaurant stößt der Kölner dagegen an Grenzen.

Hähnchenschenkel vom Imbisswagen als erster Indikator

Einen entspannten Umgang mit ihren Einschränkungen hat sich Nicole Rieger (45) aus Erftstadt angewöhnt. Sie leidet aber an einem Vogel-Ei-Syndrom, einer kaum bekannten Allergie. Seit acht Jahren hält die Helferin in der Mensa des Gymnasiums Erftstadt Papageien in ihrer Wohnung. Vor vier, fünf Jahren fingen ihre rätselhaften Probleme beim Essen an. „Ich habe mir einen Hähnchenschenkel am Imbisswagen geholt und hatte eine halbe Stunde später Magenkrämpfe, ich kam nicht mehr runter von der Toilette“, erzählt die Rheinländerin. „Bei meinen Eltern gab es Huhn, dasselbe Spiel. Wenn ich Eier aß, bekam ich ein Brennen im Mund und Durchfall.“ Sie googelte nach den Symptomen – und wandte sich schließlich an Astrid Schareina, eine auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten spezialisierte Kölner Allergologin. Durch Pricktest und Blutuntersuchung wurde das Vogel-Ei-Syndrom bei Nicole Rieger klar bestätigt.

Nicole Rieger

Nicole Rieger leidet an einem Vogel-Ei-Syndrom.

Inzwischen hat Nicole Rieger ihren Speiseplan entrümpelt, Geflügel und Ei komplett gestrichen. Denn die einzige Hilfe bei diesem Befund ist der Verzicht. Keine Rühreier, kein weich gekochtes Ei. Für die gesellige Genießerin ein echter Verlust an Lebensqualität. „Das ist nicht schön, wenn man zusammen frühstücken geht“, bedauert sie. Selbst Baiser, pures Eiweiß, verträgt sie nicht. Backwaren dagegen glücklicherweise schon, weil Brot und Kekse lange bei hohen Temperaturen gegart werden. Wobei sich jeder Irrtum bei der Essensauswahl rächt. „Mein Mann kaufte Würstchen. Ich habe sofort gemerkt, dass das Geflügelwürstchen sind. Nach einer halben Stunde fingen bei mir die Probleme an.“ Oder Frühstück im Hotel. „Ich habe extra gefragt, ob in der Wurst Geflügel ist. Antwort: Nein.“ Rasch war klar, das stimmte nicht. Rieger bekam die Quittung: Bauchschmerzen, Magenkrämpfe, Durchfall.

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Sicherheitshalber suchte die Vogelhalterin auch einen Lungenfacharzt auf, um auszuschließen, dass die Anwesenheit ihrer Edel-Papageien doch auch auf die Lunge schlägt. Der Spezialist machte einen erneuten Pricktest. Dabei entdeckte er eine zusätzliche Kuhmilchallergie. Die macht der Köchin nun weitaus mehr zu schaffen. Sahne, Joghurt, die Milch im Müsli und sogar im Kaffee soll sie weglassen oder ersetzen. „Ich habe es mit Sojamilch probiert, aber das schmeckt überhaupt nicht“, ist sie hier noch ganz am Anfang der Erkundung, was wie noch geht.