Kölner Steinmetz nach Hüft-OP„Erstmals seit 12 Jahren bin ich ohne Schmerzen“
- Mit den drei Universitätskliniken Köln, Bonn, Düsseldorf und akademischen Lehrkrankenhäusern ist die Region ein Spitzenstandort der medizinischen Forschung.
- Wer hier wohnt, an Krebs erkrankt, an Hör- oder Gelenkschäden leidet, sich vor Demenz fürchtet oder allergisch auf bestimmte Arzneimittel reagiert, kann unmittelbar vom Know-how der Spezialisten profitieren.
- Wie sehr, das zeigt die neue Serie des Kölner Stadt-Anzeiger mit Experten-Interviews, vor allem aber durch die Erfahrungsberichte erfolgreich behandelter Menschen.
- In der vierten Folge geht es um die Chancen und Risiken einer Hüft-Operation.
Alleine im Jahr 2018 bekamen 240 000 Menschen eine neue Hüfte. Professor Dieter C. Wirtz ist Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Uniklinik Bonn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er erklärt, warum manchmal sogar eine Zweit- und Dritt-Operation notwendig ist, wie lange eine neue Hüfte hält und was man nach einer Operation auf keinen Fall tun sollte.
2018 wurden in Deutschland 440 000 Menschen mit einem künstlichen Gelenk versorgt, davon 240 000 mit einer künstlichen Hüfte. Wie hoch ist das Operations-Risiko?
Prof. Dieter C. Wirtz: Es sind alles geplante Eingriffe, deshalb ist die Komplikationsrate insgesamt gering. Aber wenn es doch zu Komplikationen kommt, ist es für eine Klinik eine ganz andere Herausforderung als das erste Gelenk einzusetzen. Wenn die Prothese ausgetauscht werden muss, wird es schnell kompliziert. Eine Wechsel-OP sollte man vornehmlich in zertifizierten Kliniken der Stufe „EPZ max“ (Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung) machen lassen.
In der Uniklinik Bonn sehen Sie Problemfälle aus ganz Deutschland, 300 bis 400 pro Jahr. Warum werden Zweit- oder gar Dritt-OPs nötig?
Erstens, weil sich eine Prothese lockert, dann ist immer ein Knochendefekt vorhanden, entweder im Becken oder Oberschenkelknochen, und es gibt weniger Substanz, um eine neue Prothese wieder fest zu verankern. Der zweite, heiklere Grund ist, dass sich eine Prothese infiziert. Dann kommen Spezialisten aus anderen Fachgebieten mit ins Boot, Mikrobiologen, Pathologen, Radiologen, Infektionsspezialisten, um den Patienten sowohl chirurgisch als auch medikamentös optimal zu versorgen.
Wie lange hält eine neue Hüfte?
90 Prozent aller eingebauten Implantate bleiben auch nach 10 Jahren noch sehr gut funktionstüchtig. Danach steigt die Lockerungsrate, weil alle Implantate durch Abrieb verschleißen. Man hat versucht, diese Abriebrate zu senken, und es ist auch zu erwarten, dass sich die Langzeitdaten verbessern werden. In den letzten 10 Jahren sind, im Vergleich zu den 1980/90-iger Jahren, bei Konstruktion und Material enorme Fortschritte gemacht worden. Aber eine 100-prozentige Garantie, dass eine moderne Prothese lebenslang hält, gibt es nicht. Das hängt auch ab vom Verhalten des Patienten. Ein schlanker Büroangestellter, der ab und zu wandert, hat sicher länger etwas von seinem Hüftgelenk als ein 130 Kilo-schwerer Maurer.
Was darf ich denn mit einer neuen Hüfte absolut nicht machen?
Extreme Bewegungen (bestimmte Yoga-Positionen), ansonsten: Achtsam mit sich umgehen. Vermeiden sollte man Sport mit Spring- und Sprungbelastung (Volleyball) oder Gegnerkontakt (Fußball). Skifahren vielleicht nicht mehr auf der Buckelpiste. Wenn man fällt, bricht eher der Knochen als die Prothese. Wenn Sie beim Tennis auf Asche wegrutschen, kann es auch Probleme geben.
Es gibt Kritik, in Deutschland würden zu viele Hüftgelenke eingesetzt…
Da täuscht im internationalen Vergleich teilweise die Statistik. Bei uns fließen alle Formen von Gelenkersatz, auch nach Knochenbrüchen, in die Zählungen mit ein. Aber die grundsätzliche Frage lautet: wie viel Mobilität will sich eine Gesellschaft leisten, will man jeden unterstützen bei seinem Wunsch, länger laufen und schmerzfrei sein zu können bis über 90? In Deutschland sagen wir dazu ausdrücklich Ja.
Hüft-Patienten werden anscheinend aber auch immer jünger.
Die „mittelalte“ Patientengruppe von 60 bis 80 hat sich nach oben und nach unten ausgeweitet. Denn bei entsprechendem Verschleiß des Gelenkknorpels, oft bedingt durch Fehlstellungen am Hüftgelenk wie Hüpftdysplasie, oder bei Durchblutungsstörungen des Hüftkopfes, ist auch in jüngerem Alter längerfristige Schmerzfreiheit nur mit gelenkerhaltenden Maßnahmen zu gewährleisten. Je jünger der Patient bei der Erstversorgung ist, desto mehr muss er damit rechnen, dass ein Prothesenwechsel ein zweites oder sogar drittes Mal während seines Lebens nötig wird.
Warum diese Zwangsläufigkeit?
Weil es materialseitig unvermeidlich ist. Die aneinander reibenden Gelenkteile geben Partikel ins Umfeld ab und diese Teilchen gehen genau an die Grenzflächen, den Spalt zwischen Metall und Knochen. Je länger dieser Prozess stattfindet, desto größer wird die sich dort bildende Bindegewebsschicht. Diese Gewebewucherungen zwischen Prothese und Knochen führen dann letztendlich zur Lockerung der Prothese. Es gibt kein Implantat, das ewig hält.
Wie kommt es an einem bereits eingesetzten Gelenk zu Infektionen?
Eine Infektion ist Gott sei Dank selten, aber sie ist auch die schwerwiegendste Komplikation beim Gelenkersatz. Wir unterscheiden zwei Formen. Zum einen die Akutinfektionen, direkt anschließend an eine OP, weil es während des Eingriffs zu einer Keimbesiedlung kommen kann. Das ist kein Hinweis auf Krankenhauskeime oder fehlende Hygiene. Egal, in welchem Reinraum sie sich befinden, jeder Patient bringt seine Keime mit, die tiefer in der Haut sitzen und überleben, trotz antibiotischer Vorbereitung und steriler Umgebung. Zum anderen gibt es die Spätinfektionen, viele Jahre später. Wenn ein Keim bei einer Lungenentzündung, Blasenentzündung, Halsentzündung, Parodontose o.ä. über die Blutbahn an das Implantat im Knochen wandert. Viele dieser Bakterien haben eine hohe Affinität zu Kunststoff- und Metalloberflächen. Wir empfehlen Patienten nach Gelenkersatz deshalb, dass sie, wenn sie eine Zahnbehandlung bekommen, vorher eine Antibiotikaprophylaxe machen, und bei einem Infekt wie einem eitriger Bronchitis gilt: erstens auskurieren, zweitens antibiotisch behandeln.
Wenn es Schwierigkeiten mit einem speziellen Implantat-Modell gibt, sickert das oft erst spät durch. Kann man das verhindern?
Jeder Arzt muss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte melden, wenn ein Implantat früher versagt als es eigentlich zu erwarten ist. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie führte 2012 das sog. Endoprothesenregister Deutschland ein, in dem alle Daten von Hüft- und Knieprothesen gesammelt werden; allerdings ist die Teilnahme bisher freiwillig. Die Erfassungsrate liegt bei 70 Prozent. Gesundheitsminister Jens Spahn hat davon ausgehend jetzt ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Ab 2020/21 ist jeder verpflichtet, die Daten an das Deutsche Implantat-Register zu liefern, und dann ist die Nachverfolgung lückenlos gewährleistet.
Das Gespräch führte Sieglinde Neumann
Patienten berichten: Rainer Keller
Rainer Keller (53), ehemaliger Steinmetz aus Köln-Wesseling, ist seit 2006 arbeitsunfähig. Dabei wirkt er wie ein Kerl, der immer noch Steine herumwuchten kann. Der Schein trügt. Der Mann mit den starken Händen hat eine lange orthopädische Leidensgeschichte hinter sich.
„Erstmals seit 12 Jahren bin ich ohne Schmerzen“, erzählt Rainer Keller beim Kontrolltermin in der Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Bonn. Um die Jahrtausendwende – Keller war Mitte 30 – fing die Quälerei mit dem Rücken an. „Ein unglaublicher Schmerz, er zog runter bis ins rechte Beine“, erinnert er sich. Monatelang Cortison-Spritzen, keine Besserung. In der Reha dann eine ganz andere Diagnose. „Ich hätte nichts am Rücken, sondern an der Hüfte“, erklärte man dem Rheinländer.Im Krankenhaus Engelskirchen wurde eine Oberflächenprothese eingesetzt. 2003 dasselbe Spiel auf der rechten Seite. „Danach ging es drei Jahre gut“, sagt Keller. Dann schwelte in der linken Hüfte eine Entzündung – ab diesem Zeitpunkt lief in Kellers Leben nichts mehr rund.
Die linke Hüftkopf-Kappe wurde ausgebaut: Sie war vereitert, voller Keime. Fünf Monate saß Keller ohne linke Hüfte, vollgepumpt mit Medikamenten, zuhause im Rollstuhl. Das linke Bein in eine Schiene geschnallt quälte er sich 500 Meter pro Tag zu gehen, damit sich die Sehnen und Bänder nicht zurückziehen. „Schmerzen, Antibiotika ohne Ende“, schildert er diese schreckliche Zeit. 2006 bekam er eine komplett neue Hüfte, kehrte zurück an den Arbeitsplatz. Ein letzter Versuch. „Es ging nicht mehr, vor lauter Schmerzen.“ Er ging in Rente. Doch sein Zustand verschlechterte sich weiter. Niemand traute sich an den Eingriff. Rückblickend zeigt sich das Drama im Röntgenbild: Der 2006 eingesetzte Abstützring war verrutscht. Um die Stelle wucherte wildes Bindegewebe. Der Beckenknochen war großflächig zerstört.
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Im Juni 2018 bauten die Spezialisten der Uniklinik Bonn die gelockerte Pfanne aus. Entfernten sämtliche Ablagerungen, schickten Proben aus Gewebe und Knochen an die Mikrobiologie, erhielten die für Keller erste gute Nachricht seit gefühlt ewig: die Lockerung sei diesmal nicht bakteriell bedingt, „nur“ Materialverschleiß.
In einer zweiten OP Anfang August wurde ein nach Maß gefertigter Teilersatz des Beckenknochens eingesetzt. Allein dieses Implantat kostet zwischen 10 000 und 15 000 Euro. Es hält die neue Hüfte, die nun endlich funktioniert. „Komplikationsloser Verlauf und Einheilung“, heißt es im ärztlichen Protokoll. Schmerzmittel? „Ich nehme nichts mehr“, strahlt Keller.