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Unfallchirurg im Interview„Rücken-Operationen haben zu recht einen schlechten Ruf“

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Ob im Nacken oder der Lendenwirbelsäule – viele Menschen haben Rückenprobleme. Was man für den Rücken tun kann und wann eine OP sinnvoll ist (Symbolbild).

Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer 1 in Deutschland. Vier von fünf Bundesbürgern haben Probleme. Jeder zweite Erwachsene hat Umfragen zufolge sogar chronisch Last mit dem Kreuz. Professor Peer Eysel ist Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universitätsklinik Köln. Er erklärt im Interview, was dem Rücken gut tut, warum Rücken-Operationen zu Recht einen schlechten Ruf haben und wann ein Eingriff sinvoll ist. Im Falle des 39-jährigen Kenjo war eine Operation unausweichlich – wie es ihm ergangen ist und wie gut es ihm nur wenige Tage nach der Bahndlung geht, schildert der junge Mann gegenüber dieser Zeitung.

Muskel- und Skeletterkrankungen sind die häufigste Ursache für Fehlzeiten im Job. Gibt es auch immer noch so viele Rücken-Operationen?

Peer Eysel: Wir beobachten erfreulicherweise, dass Eingriffe am Rücken rückläufig sind, besonders dort, wo die Ursache Verschleiß ist, also etwa bei Bandscheiben-OPs. Ein wichtiger Grund für diese Trendwende ist, dass diese Operationen heute kritischer bewertet werden. Wir haben Patienten, die operiert werden, mit denen, die dies bei denselben Befunden nicht wurden, in vielen Studien verglichen und unsere Schlüsse daraus gezogen: Rücken-Operationen haben zu recht einen so schlechten Ruf, weil zum Teil viel zu früh operiert wurde und auch noch wird.

Wie ließe sich die Schieflage ändern?

Ein Weg ist die Zertifizierung von Zentren mit Mindestmengen und verpflichtenden Qualifikationen. Wer dieses Zertifikat will, ist dann auch verpflichtet, seine Daten in das Register der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft einzugeben, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse enorm verbessern würde.

Würden dort auch minimal-invasive Maßnahmen mit berücksichtigt, Mikrochirurgie, Spritzen?

Ja, das gilt für alles. Es ist wichtig, uns gerade bei der Behandlung des Rückens vom ärztlichen Bauchgefühl für oder gegen eine OP zu verabschieden.

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Peer Eysel ist Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Universitätsklinik Köln.

Wann bin ich reif für eine Operation am Rücken oder den Bandscheiben?

Bei Tumoren, Wirbelkörperbrüchen, Entzündungen, Skoliosen (krankhaften Verdrehungen der Wirbelsäule) gibt es klare Kriterien zu operieren. Das sind zum Beispiel Lähmungen oder fortschreitende Entzündungen. Im Bereich der Verschleißerkrankungen – Bandscheibenabnutzung, Bandscheibenvorfall – spielen viele subjektive Faktoren eine Rolle. Es gibt einen Rückenschmerz. Dann sehe ich auf einem bildgebenden Verfahren einen Schaden, damit ändert sich etwas von der Psyche her. Dabei sind die einzigen klaren Indikationen für eine Rücken-OP neurologische Ausfallerscheinungen, und die sind relativ selten. Der Verschleiß an sich, dass die Wirbelsäule im Laufe des Lebens sichtbaren Veränderungen unterworfen ist, ist normal. Aber die Kultur im Umgang mit Operationen gerade am Rücken hat sich gewandelt. Auch die Patienten selber sind kritischer, das empfinde ich als positiv.

Bandscheibenvorfälle werden heute oft minimal-invasiv behoben. Klingt nach einem harmlosen Eingriff…

Minimal-invasiv bedeutet nur, dass die umgebende Muskulatur weniger geschädigt wird und der Patient schneller wieder mobil ist. Man sollte sich nicht vorschnell dazu verleiten lassen. Der Effekt auf die Biomechanik, das System Bandscheiben und Wirbelsäule, ist der gleiche, ob durch einen großen oder kleinen Schnitt, mit denselben Risiken für Infektionen und Instabilität.

Wie sinnvoll und sicher sind Bandscheiben-Implantate?

Bei der Halswirbelsäule werden Bandscheiben immer komplett entfernt und ersetzt, indem man die beiden umgebenden Wirbel versteift. Die künstliche Bandscheibe hielt man jahrelang für vorteilhafter, weil sie beweglich ist. Aber gute Studien zeigen mittlerweile, dass es im Langzeiteffekt keine Unterschiede gibt, dafür insgesamt mehr Probleme mit Verrutschen, Verkanten und, zeitverzögert, darüber oder darunter liegenden Wirbelkörpern. Im Bereich der Lendenwirbelsäule sind die Bandscheiben-Ersatzlösungen überhaupt kein Thema mehr. Ich hatte selber ein Patent darauf, bei einem Vorfall den austretenden gallertartigen Kern komplett abzusaugen und durch einen neuen Füllstoff zu ersetzen. Das hat sich leider auch nicht bewährt. Eine defekte Bandscheibe lässt sich nicht reparieren.

Was tun bei Skoliose?

Häufig wird diese konservativ, also mit Krankengymnastik behandelt. Eine Operation ist bei dieser meistens S-förmigen Verformung der Wirbelsäule nur bei höhergradigen Verkrümmungen vor Ende des Wachstums notwendig. Bei Erwachsenen gilt in aller Regel – in Ruhe lassen. Das zeigen eindrucksvoll die Erfahrungen bei Patienten mit Parkinson, wo sich eine Skoliose teilweise innerhalb von nur einem Jahr entwickelt. Die Komplikationsrate der Eingriffe reicht an die 90 Prozent – Schmerzmittel mit Krankengymnastik sind die bessere Alternative.

Gesund im Rheinland

Illustration: KStA/Tobias Hahn

Mit den drei Universitätskliniken Köln, Bonn, Düsseldorf und akademischen Lehrkrankenhäusern ist die Region ein Spitzenstandort der medizinischen Forschung. Wer hier wohnt, an Krebs erkrankt, an Hör- oder Gelenkschäden leidet, sich vor Demenz fürchtet oder allergisch auf bestimmte Arzneimittel reagiert, kann unmittelbar vom Know-how der Spezialisten profitieren. Wie sehr, das zeigt die neue Serie des Kölner Stadt-Anzeiger mit Experten-Interviews, vor allem aber durch die Erfahrungsberichte erfolgreich behandelter Menschen.

Was tut denn dem Rücken gut?

Auch dem schwerer strapazierten, an vielen Stellen abgenutzten Rücken tut es gut, wenn wir ihn viel bewegen, möglichst viel laufen – wenn nötig mit dem Rollator, und parallel dazu entspannen, ruhig auf dem Rücken liegen, Autogenes Training, Wärme tut ebenfalls gut. Denn es ist die verspannte Muskulatur, die auch am Rücken die Schmerzen bereitet.

Welche Rolle spielt bei Rückenschmerzen das Schmerzgedächtnis?

Wenn Schmerzen über einen langen Zeitraum bestehen, können sich diese quasi ins Gedächtnis einprägen. Dies trifft auch auf langjährige Rückenschmerzen zu. Eine Therapie, die die Ursache nimmt, hat dann häufig nicht den gewünschten Erfolg, da der Schmerz weiterhin im Gedächtnis bleibt.

Wie gut sind Spritzen in den Rücken?

Sie sind sinnvoll bei akuten Beschwerden, wirken aber nur kurz. Die schmerzfreie Zeit kann man nutzen für die Aktivierung der Muskulatur. Vor besonderen Ereignissen, Urlaub, Familienfesten, finde ich eine Spritze aber legitim – trotz einer Infektionsgefahr. Nach den Spritzen in die Wirbelsäule können sich gefährliche Abszesse bilden.

Was ist für Sie beim Rücken aktuell das spannendste Forschungsfeld?

Es gibt Untersuchungen zum „Smartphone-Nacken“ bei Kindern und Jugendlichen. Durch das ständige Herunterschauen auf das Handy baut sich der muskuläre Stützapparat der Halswirbelsäule ab. Da rollt ein neues Problem auf uns zu.

Das Gespräch führte Sieglinde Neumann