Soziologe erforscht Amateurpornos„Pannen beim Sex sind für uns besonders interessant”
- Der Soziologe Dr. Sven Lewandowski erforscht das Sexleben der Menschen durch die Analyse von Amateurpornos.
- Seine Studie an der Uni Bielefeld wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
- Wie seine Arbeit aussieht, warum sich Menschen beim Sex filmen und welche Erkenntnisse ihn bisher am meisten überrrascht haben, erzählt er im Interview.
Köln – Was passiert beim Sex? Wie interagieren Paare miteinander? Was ist, wenn eine Panne beim Sex passiert? Der Soziologe Sven Lewandowski und sein Team an der Universität Bielefeld möchten herausfinden, wie Menschen wirklich Sex haben – wie Sexualität in der Praxis funktioniert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Studie mit 390.000 Euro.
Damit Lewandowski herausfinden kann, wie sexuelle Interaktion funktioniert, spricht er mit Menschen über ihr Sexleben und bekommt von ihnen private Sexfilme für die Analyse zur Verfügung gestellt. Der Forscher und sein Team suchen noch weitere Teilnehmer.
Sie wollen herausfinden, wie Menschen Sex haben. Warum schauen Sie dazu Amateurpornos?
Sven Lewandowski: Sexualität ist Praxis, heißt sie ist körperliches Verhalten. Das können wir durch Befragung alleine nicht erforschen. Am Beispiel Autofahren lässt es sich verdeutlichen. Frage ich jemanden, wie er Auto fährt, wird er wahrscheinlich sagen gut. Das sagen alle. Wenn ich aber frage, wie er es genau macht, also Hände, Augen, Füße koordiniert, werden es die meisten Menschen nicht erklären können. Will ich herausfinden, wie es geht, muss ich Leute dabei beobachten – das ist für das Autofahren leicht machbar. Doch es funktioniert beim Sex nicht, man kann sich nicht ins Schlafzimmer der Menschen setzen und sie beobachten. Das heißt, man könnte es schon machen, es würde das Verhalten der Menschen aber wahrscheinlich empfindlich verändern. Deswegen ist unsere Idee gewesen, das Sexleben durch selbst gefilmte Videos zu erforschen.
Wie sieht ein Arbeitstag aus? Schauen Sie und Ihr Team den ganzen Tag Sexfilme?
Lewandowski: Diese Frage kommt immer. Das Schauen der Filme ist ein Teil der Arbeit. Wir schauen die Videos aber nicht so, wie einen Film, wir müssen zuerst vermeiden, dass wir uns in die Handlung hinein saugen lassen. Das funktioniert, weil wir nicht nur auf die sexuellen Praktiken achten, sondern auch darauf schauen, was im Hintergrund zu sehen ist oder wie die Aufnahme gestaltet ist. Viel mehr Zeit brauchen wir, um Interviews zu führen, sie Wort für Wort abzutippen und sie auszuwerten. Als Größenordnung: eine Abschrift eines Gesprächs hat oftmals mehr als 100 Seiten.
Sie bekommen die Pornos von den Studienteilnehmern. Woher wissen Sie, dass es keine professionellen Filme sind?
Lewandowski: Wir suchen Menschen, die bereit sind, uns Videos zur Verfügung zu stellen. Wir haben von vielen Teilnehmern Aufnahmen aus dem Privatarchiv bekommen, die sie nicht veröffentlicht haben. Wichtig ist für uns zu wissen, dass alle Beteiligten, die in einer Aufnahme zu sehen sind, davon wissen und damit einverstanden sind, dass wir ihre Videos analysieren. Dabei ist uns die Sicherheit der Daten unserer Teilnehmer sehr wichtig – wir anonymisieren alle Aussagen so, dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden können.
Weil wir mit den Menschen, die uns die Videos senden, auch sprechen, können wir sehen, dass sie es auf den Aufnahmen sind. Ob es professionelle Filme sind, kann man außerdem an der Kameraführung, Beleuchtung und den abgebildeten Räumen erkennen.
Und wer meldet sich bei Ihnen?
Lewandowski: Bisher haben uns hauptsächlich heterosexuelle Paare ihre Videos gesendet, was ein Zufallseffekt ist, dem versuchen wir entgegenzusteuern.
Warum stellen Ihnen die Teilnehmer ihre Sexfilme zur Verfügung?
Lewandowski: Es gibt ganz unterschiedliche Motive. Manche wollen der Forschung helfen, andere haben ein Interesse an Sexualforschung, weil sie finden, dass Sexualität noch zu sehr tabuisiert wird und wieder andere finden es interessant, mal mit einer anderen professionellen Person über Sexualität zu sprechen.
Was ist Ihnen bisher in Ihrer Forschung aufgefallen?
Lewandowski: Besonders spannend sind für uns Pannen, zum Beispiel, dass ein Telefon klingelt oder jemand kneift jemanden zu stark. Wie reagieren die Leute? Bei einem Video von einem One-Night-Stand sehen wir beispielsweise, dass bei Pannen Irritationen entstehen und Abläufe durcheinander geraten. Bei einem Paar, das schon zehn Jahre zusammen ist, können wir hingegen beobachten, dass kleine Irritationen sofort ausgeglichen werden, ohne, dass das Pärchen darüber sprechen müsste. An diesem Beispiel sehen wir, wie Körper aufeinander eingespielt sind und Sexualität quasi automatisch passiert.
Was wir in der Analyse der Videos gesehen haben, ist ein Zusammenspiel medialer und sexueller Praktiken – das Handy wird beispielsweise zum Sexspielzeug. Die Smartphone-Kamera wird in der Hand gehalten und beobachtet, was beim Sex passiert – eine Selbstspiegelung sozusagen. Eine überraschende Erkenntnis ist, dass die Motive, warum sich Menschen beim Sex filmen, sich stark davon unterscheiden, was sie letzendlich mit dem Video machen.
Und wer filmt sich beim Sex und warum?
Lewandowski: Wir haben Teilnehmer von Mitte 20 bis Anfang 70. Wir dachten zuerst, dass wir eher Großstädter sehen werden, das stimmt aber nicht, wir haben auch Interviews mit Menschen aus ganz kleinen Dörfern geführt.
Ich sage immer, wenn die Menschen ihr Essen fotografieren und online teilen, warum sollten sie nicht auch ihr Sexleben filmen? Manche Leute filmen sich, weil sie sich unattraktiv finden. Ihnen fällt dann auf, dass sie sich auf den Aufnahmen schön finden und kommen dadurch auf die Idee, die Videos online zu stellen. Ein anderer Teilnehmer, Anfang 70, hat sich beispielsweise schon in den 1960er Jahren mit seiner Super-8-Kamera beim Sex gefilmt, für ihn gehört es zur sexuellen Lebenswelt dazu.
Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Lewandowski: Wir haben Filme, wo er immer filmt, aber sie den Kontakt mit uns geführt hat. Da sehen wir, dass er zwar die Aufnahme macht, die Frau aber bestimmt, was gefilmt, was gelöscht und was an uns weitergegeben wird. Oftmals haben wir den Eindruck, dass eher Männer die Kamera bedienen. Das kann mit einem traditionellen Rollenbild zusammenhängen. Wir haben aber auch Paare, die sich beim Filmen abwechseln.
Gibt es typische Merkmale der Amateurpornografie?
Lewandowski: In unserem Bereich, also den selbst gedrehten Sexfilmen, können wir die Videos danach typisieren, was Menschen machen oder wo sie es machen, ob sie ihren Alltag filmen, den Sex eher dokumentieren oder sich aufnehmen, um es sich bei einer Masturbation anzuschauen.
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Sind Pornos von Männern für Männer gemacht?
Lewandowski: Für die Mainstream-Pornografie trifft das sicherlich zu. Männer sind eher das Pornopublikum. Das kann mehrere Gründe haben. Für Männer ist es eher geschlechtsrollenkonform, Sexfilme zu schauen. Ich kann mich an eine Jugendsexualitätsstudie erinnern, in der ein Jugendlicher sagte: „Na klar schaue ich Pornos, ich bin ja ein normaler Junge!“ Während für Frauen Pornos noch stigmatisierter sind. Es gibt gegenüber Frauen immer noch die Erwartung, dass sie sowas nicht tun.
Wir haben 2020 – denken Sie, dass viele Menschen Ihren Beruf für anrüchig halten?
Lewandowski: Wer Sexualforschung betreibt, ist immer mit einem sexuellen Motivverdacht konfrontiert. Die meisten Leute fragen sich, warum man sich dafür interessiert. Die gleiche Frage würde man einem Physiker nicht stellen. Die Vorurteile gehen in zwei Richtungen: Zum einen, dass Menschen sich fragen, ob es einen persönlichen Grund hat, dass ich mich mit Sexualität beschäftigte und zum anderen die Frage nach Verschwendung von Steuergeldern. Allerdings ist seriöse Forschung nie umsonst.
Warum interessieren Sie sich für das Thema Sex und forschen dazu?
Lewandowski: Ich bin zur Sexualsoziologie gekommen, weil ich ein Promotionsthema gesucht habe und man immer einen Bereich sucht, der noch nicht so sehr erforscht ist. Da Sexualität Interaktion ist, ist sie ein Thema für die Soziologie. Sexualität ist viel zu lange angrenzenden Wissenschaften überlassen worden. Sexualität findet aber unter gesellschaftlichen Bedingungen statt. Sexuelles Verhalten zu erklären, ohne auf die Gesellschaft, in der es stattfindet, zu reflektieren, ist Unsinn.
Ihr Forschungsprojekt ist für drei Jahre angesetzt. Was ist das Ziel?
Lewandowski: Wir haben sehr viele Ziele. Wir möchten das Feld der Menschen, die sich beim Sex filmen, möglichst breit erforschen. Wir möchten neue Methoden für die Sexualforschung entwickeln. Langfristig möchte ich eine Theorie der sexuellen Interaktion entwickeln, die auf dem Wissen aus der sexuellen Praxis resultiert.
Herr Lewandowski, vielen Dank für das Gespräch.