Studie zeigtWie sich das Sexleben der Deutschen in der Corona-Krise verändert hat
- Die Corona-Krise hat die Beziehungen von Menschen stark beeinflusst – Kontaktsperren und die Angst vor einer Ansteckung erschwerten Nähe und Initimität.
- Die Soziologin Barbara Rothmüller hat mehr als 8.000 Deutsche und Österreicher zu ihrem Sex- und Beziehungsleben während des Lockdowns befragt.
- Einige Menschen intensivierten ihre Beziehungen, bei anderen verstärkten sich Konflikte. Jeder Zehnte hat psychische Gewalt erlebt.
Köln/Wien – Wochenlang haben Menschen in Deutschland sehr viel Zeit zu Hause verbracht, Geschäfte, Bars und Restaurants waren zu. Dates, Verabredungen zum Sex oder Treffen mit Freunden waren durch die Kontaktsperren nicht erlaubt. Die Soziologin Barbara Rothmüller von der Sigmund Freud Universität in Wien hat untersucht, wie sich der Lockdown auf soziale Beziehungen und das Sexleben der Menschen in Deutschland und Österreich ausgewirkt hat.
Sie befragte im April online mehr als 8.000 Menschen. Im Durchschnitt waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen 35 Jahre alt, fast 70 Prozent sind weiblich und fast 60 Prozent der Befragten befinden sich in einer festen Partnerschaft. Im Interview erzählt die Soziologin, welche Antworten sie überrascht haben und wie sich die Krise auf die Libido der Befragten ausgewirkt hat.
Wochenlange Kontaktsperren, viel Zeit zu Hause, Angst vor einem neuen Virus – wie hat sich das auf Partnerschaften ausgewirkt?
Barbara Rothmüller: Viele Leute waren sehr verunsichert und hatten große Ansteckungsängste – was nicht weiter verwunderlich ist. Manche Paare, die nicht zusammenleben, haben vorübergehend aufgehört sich zu treffen. Andere Pärchen, die zusammen leben, haben ihren Partner oder ihre Partnerin nicht mehr geküsst, weil sie eine so große Angst hatten, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Vielen Menschen war auch gar nicht bewusst, was erlaubt ist und was nicht. Ob sich Paare, die nicht zusammen wohnen, treffen dürfen, oder wie es mit dem Sex ist. Sie hatten auch Bestrafungsängste.
25 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie während der Pandemie weniger Lust auf Sex mit einem Partner hatten. Wie hat sich die Corona-Krise noch auf das Sexualleben ausgewirkt?
Rothmüller: Wir wissen aus der Forschung, dass Stresszeiten, große Veränderungen und Angst zu weniger Lust auf Sex führen können. Manche Menschen in Partnerschaften hat dies belastet, etwa wenn der Partner oder die Partnerin gerne mehr Sex gehabt hätte. Etwas mehr als 20 Prozent der Befragten haben nämlich angeben, dass sich ihr Verlangen nach Sex in der Zeit des Lockdowns verstärkt hat. Das sind oft Menschen, die versuchen, sich mit Sex abzulenken und Lust auf neue Erfahrungen haben, auch in Stresssituationen. Rund neun Prozent haben neue sexuelle Praktiken ausprobiert.
Das waren wahrscheinlich keine Eltern, oder?
Rothmüller: Menschen mit Kindern hatten oft gar keine Zeit für Intimität. Sie haben angegeben, dass es für sie so stressig war, dass sie keinen Raum für Sexualität und Intimität gefunden haben. Dementsprechend waren Eltern unzufrieden mit ihrem Sexleben während der Kontaktsperren. Schließlich haben auch Mütter und Väter Lust und ein Verlangen nach körperlicher Nähe. Doch es war für sie schwierig, es zu realisieren.
Wie haben Singles die Zeit erlebt?
Rothmüller: Für Personen, die nicht in einer verbindlichen Partnerschaft während der Pandemie waren, war es teilweise sehr schlimm. Am Anfang wusste ja auch niemand, wie lange die Corona-Maßnahmen dauern. Für Singles, die auf Partnersuche waren, bedeutete es nicht zu wissen, wie sie einen Partner oder eine Partnerin kennen lernen können – denn Dating unter Pandemie-Bedingungen ist extrem schwierig geworden.
Haben viele Singles komplett auf Sex mit anderen Personen verzichtet?
Rothmüller: Es gab große Selbstbeschränkungen. Man muss es als große Leistung sehen, dass so viele Menschen ihr Sexualleben drastisch umgestellt haben und so zur Krankheitsprävention beigetragen haben. Besonders Menschen mit unverbindlichen sexuellen Kontakten haben ihre partnerschaftliche Sexualität oft nicht gelebt oder sehr stark reduziert.
Das heißt, es gab eine starke Diskrepanz zwischen sexueller Lust und dem Ausleben des Bedürfnisses?
Rothmüller: Ja, das zeigt sich auch darin, dass jeder siebte Befragte mit hoher Lust auf Sex seit Beginn der Pandemie Einladungen zu Sex abgesagt hat.
Konnte der Austausch von sexuellen Nachrichten oder Bildern körperliche Kontakte ersetzen? Und wie vorsichtig waren Menschen beim Austausch der intimen Fotos?
Rothmüller: Sexuell neugierige Menschen haben auch digital vermittelte sexuelle Praktiken ausprobiert, teilweise auch in Fernbeziehungen über Texte, Telefonate, Fotos oder sexuelle Videos, versucht ihre Sexualität digital zu leben. Rund ein Drittel der Befragten hat Sexting, Telefonsex, sexuelle Fotos oder Videos in der Pandemie genutzt.
Erschreckt hat mich, wie wenige dabei auf digitale Sicherheit achten. Aber auch, wenn Menschen Cybersex mit Personen machen, die sie kennen, besprechen sie oft gar nicht, wie Bilder weiterverwendet werden sollen. Es wird einfach davon ausgegangen, dass ihr Partner oder ihre Partnerin oder eine Person, die sie kennen, gut mit den intimen Aufnahmen umgehen wird. Aus meiner Arbeit als Sexualpädagogin weiß ich, dass Nacktbilder immer wieder dazu genutzt werden, den Partner oder die Partnerin zu erpressen, wenn eine Beziehung auseinander geht. Teilweise werden intime Bilder im Netz veröffentlicht. Es ist empfehlenswert, dafür zu sorgen, dass man nicht so leicht wiedererkennbar ist. Dazu kann man zum Beispiel Aufnahmen ohne Gesicht machen, sich stark schminken, Tattoos oder Narben verdecken und den Hintergrund neutral halten. Wird ein Bild dann ungewollt veröffentlicht, ist man als Person zumindest nicht identifizierbar.
Insgesamt wäre ich skeptisch, ob es ein Ersatz für persönliche Begegnungen und Körperkontakt ist. Eher eine Ergänzung des sexuellen Repertoires. Die Menschen machen es, weil sie neugierig sind. Für viele ist es lustvoll und aufregend, Neues auszuprobieren, sich selbst sexy in einer Kamera zu sehen und mit der Distanz zu spielen.
Der Körperkontakt hat also gefehlt?
Rothmüller: Körperkontakt haben viele Menschen in der Pandemie sehr vermisst. Gerade Singles und Alleinlebende waren auch verzweifelt, weil sie körperliche Nähe und Berührungen vermisst und sich oft stark isoliert gefühlt haben. Den Verlust von sozialen Kontakten haben vor allem jüngere Menschen zwischen 20 und 40 massiv gespürt und darunter gelitten, bei älteren Befragten waren die sozialen Beziehungen oft stabiler.
Die physischen Kontaktsperren haben viele Menschen also auch als soziale Beschränkung erlebt?
Rothmüller: Ja, total. De facto war es eine soziale Distanzierung. Das betrifft Freunde, Kollegen, aber auch Ex-Partner und Partnerinnen. Ob physisch oder digital – der Kontakt in der Pandemie hat oft abgenommen. Vor allem Männer haben den Kontakt häufig schleifen lassen. Frauen haben Freundschaften oft intensiviert und versucht den Kontakt trotz der Sperren aufrecht zu erhalten.
Generell kann man sagen, dass sich für viele Menschen nahe, soziale Beziehungen distanziert haben. Einige haben gespürt, dass sich viele auf ihre partnerschaftlichen und romantischen Beziehungen zurückziehen und sie selbst übrig bleiben. Aber ein Teil hat seine sozialen Beziehungen auch vertieft in der Zeit, beziehungsweise war froh, einmal nicht so vielen sozialen Erwartungen entsprechen zu müssen. Nicht für alle war der Lockdown also so belastend.
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„Ihr Partner oder ihre Partnerin sei der/die beste für die Isolation“ – dieser Aussage haben einige in Ihrer Umfrage zugestimmt.
Rothmüller: Das ist sehr interessant, wenn man die Medien verfolgt hat, hat man den Eindruck bekommen, dass Mord und Totschlag in den Haushalten herrschen. Dass es häusliche Gewalt und viele Konflikte gibt, weil die Menschen viel Zeit in ihren Wohnungen verbracht haben oder mit der Kindererziehung überfordert waren. Das war teilweise auch so!
Doch für viele Menschen war es einfach eine Zeit, in der sie ihre Beziehungen zu ihren Kindern und Partnern intensiviert haben. Ein Viertel der Befragten hat sogar angegeben, dass sich ihre Konflikte im Gegensatz zu vor der Pandemie verringert haben. Das finde ich sehr beachtlich, weil es in der öffentlichen Wahrnehmung anders dargestellt wird. Die Maßnahmen zur Einschränkung des Coronavirus haben bei manchen Leuten für weniger Alltags-, beruflichen und Freizeitstress gesorgt. Aber bei rund einem Viertel der Befragten kam es im Lockdown zu einem Anstieg der Konflikte, vor allem, wenn es in der Wohnung keine Rückzugsmöglichkeit gab.
Heißt: Wer vor der Corona-Krise nicht viel gestritten hat, hat es auch während der Kontaktsperren nicht?
Rothmüller: Das habe ich in meiner Studie nicht abgefragt. Was ich aber sehen kann, ist, dass sich bei einigen Menschen die Konflikte verstärkt haben. Das können auch Paare sein, die vorher kaum gestritten haben und bei denen sich im Lockdown plötzlich Konflikte aufgetan haben. Doch auch in Beziehungen, bei denen es schon lange gekriselt hat, kann es zu mehr Auseinandersetzungen gekommen sein.
Rund zehn Prozent geben in der Umfrage an, dass sie in intimen Beziehungen psychische Gewalt erlebt haben. Das kann Kontrolle sein, Erniedrigung, lächerlich machen von Gefühlen, Isolation oder Anschweigen. Diese Formen von psychischer Gewalt können auf Dauer extrem schädigen. Dass jeder Zehnte innerhalb der letzten zwei Wochen vor der Befragung psychische Gewalt erlebt hat, ist meiner Meinung nach viel. Einsamkeit und psychische Gewalt können Menschen in der Krise geschädigt haben – wie stark, wird erst in den nächsten Monaten klar, wenn Menschen merken, welchen Belastungen sie ausgesetzt waren.
Haben Befragte auch physische Gewalt geschildert?
Rothmüller: Das war nur ein geringer Teil – das waren unter einem Prozent der Befragten.
Frau Rothmüller, vielen Dank für das Gespräch.