Mutiger SchrittFrau meldet sich aus Achtsamkeit krank – und wird dafür gelobt
„Hey Kollegen, ich bleibe heute und morgen zuhause, um mich auf meine psychische Gesundheit zu konzentrieren. Hoffentlich bin ich nächste Woche in aller Frische zurück und wieder zu 100% leistungsfähig“, schreibt Web-Entwicklerin Madalyn Parker in einer Rundmail an ihren Chef und den Rest der Arbeitskollegen eines US- Software-Unternehmens. Sie meldet sich also krank – nicht, weil sie die Grippe hat, sondern weil sie einer mentalen Erkrankung vorbeugen will.
Ein ungewöhnlicher und mutiger Schritt von der Amerikanerin, von ihrem Chef – und in sozialen Netzwerken – bekommt sie für ihre Offenheit viel Applaus. Wäre eine solche Krankmeldung auch in Deutschland denkbar? Was sagt ein Achtsamkeitstrainer dazu und darf man sich in Deutschland überhaupt wegen „mentaler Probleme“ selbst krank melden?
Chef: „Du bist ein Vorbild für uns alle“
Die Antwort ihres Vorgesetzten auf ihre Krankmeldung war nicht das übliche „Okay“, sondern eine ausführliche Mail, die Madalyn auf Twitter postete: „Hey Madalyn, ich wollte dir nur einmal persönlich dafür danken, dass du solche E-Mails verschickst. Ich nehme sie zum Anlass, mich selbst daran zu erinnern, wie wichtig es ist, sich hin und wieder für seine psychische Gesundheit Auszeiten – und auch Krankheitstage – zu nehmen. Ich kann kaum glauben, dass diese Praxis nicht überall Standard ist. Du bist ein Vorbild für uns alle.“
Auf Twitter erfährt Madalyn, die sich selbst in ihrem Profil als „Mental-Health-Befürworterin“ beschreibt, viel Zustimmung und Anerkennung anderer Nutzer. Dabei wird deutlich: Viele wünschen sich einen ebenso offenen Chef. Dieser äußert sich auf dem Blog des Unternehmens: „Wir leben im Jahr 2017. Wir arbeiten in einer Wissensgesellschaft. Unsere Berufe verlangen von uns, dass wir ständig geistige Höchstleistungen bringen. Wenn ein Athlet verletzt ist, dann sitzt er auf der Bank und erholt sich. Lasst uns endlich begreifen, dass das Gehirn ähnlich funktioniert.“ Außerdem sei er überrascht gewesen, dass seine Antwort so hohe Wellen schlage. Schließlich sei es die Aufgabe eines Chefs, sein Team zu unterstützen und zu motivieren – auch im Sinne der Firma. Dass das nicht alle Führungskräfte so sehen, sei für ihn unverständlich.
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Achtsamkeits-Trainer fordert mehr Auszeiten im Alltag
Sich hin und wieder einen oder zwei Tage Auszeit zu gönnen, findet Achtsamkeitstrainer Günter Hudasch zu wenig. Vielmehr sollten Arbeitnehmer ein Gefühl dafür entwickeln, den eigenen Zustand zu bemerken und regelmäßig Pausen einzulegen. „Das können beispielsweise Atemtechniken sein, die einen den eigenen Körper spüren lassen“, erklärt der Vorsitzende des Verbandes der MBSR- und MBCT-Lehrer.
„Stress bewirkt meist, dass wir uns nicht mehr wirklich spüren. Viel besser wäre es, auf Stress mit einer Pause zu reagieren und uns aus der Situation herausnehmen und das Problem auch mal einen Tag liegen lassen.“ Hudasch sieht außerdem Führungskräfte in der Verantwortung, einen Blick für die Verfassung der Arbeitnehmer zu entwickeln. „Chefs sollten dabei ein Vorbild sein, sich gut um ihre eigene Gesundheit zu kümmern.“
Anwältin: Wer sich krank meldet, muss auch arbeitsunfähig sein
Hätte sich Madalyn wegen einer Grippe oder eines Magen-Darm-Infektes krank gemeldet, würden wir nicht weiter über die Geschichte reden. Doch das tat sie nicht. Die Frau aus Michigan erzählte offen und ehrlich, dass es ihr psychisch gerade nicht gut gehe, und sie deshalb zwei Tage zu Hause bleibe. Wäre eine solche Krankmeldung in Deutschland arbeitsrechtlich möglich?
Dr. Natalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Köln erklärt dazu: „In Deutschland gilt: Um mich krank zu melden, muss ich arbeitsunfähig krank sein. Erst dann darf man zu Hause bleiben. Der Arzt stellt unter Beurteilung der tatsächlich bestehenden Krankheit und dem Arbeitsplatz fest, ob man arbeitsunfähig krank ist. Daraus wird der Schluss gezogen, ob man mit dieser Krankheit an diesem Arbeitsplatz nicht arbeiten kann. Zumindest aber muss man krank sein.“ Im Fall von Madalyn Parker habe sich die Web-Entwicklerin abgemeldet, um sich um ihre geistige Gesundheit zu kümmern – „rein prophylaktisch, krank war sie offenbar nicht“, stellt Oberthür fest.
Wer arbeitsfähig ist und fehlt, riskiert die Kündigung
Dass man sich – je nach Unternehmen – nicht am ersten Krankheitstag mit einer Krankschreibung beim Arbeitgeber melden müsse, gebe dem Arbeitnehmer nicht die Freiheit zu entscheiden, ob man arbeiten gehe oder nicht. Diese Regelung betreffe lediglich den Nachweis der Krankheit, stellt die Fachanwältin klar. Das Gesetz sieht vor, dass die Krankheit erst am vierten Tag nachgewiesen werden müsse, was im Umkehrschluss nicht bedeute, dass man drei Tage zu Hause bleiben könne, weil man gerne möchte. Auch dann müsse man arbeitsunfähig krank sein. Als Prophylaxe für die geistige Gesundheit zwei Tage nicht zur Arbeit zu kommen, sei keine Krankheit, warnt die Kölner Rechtsanwältin. Wer ohne arbeitsunfähig krank zu sein dem Job fern bleibe, riskiere eine Abmahnung und langfristig die Kündigung.
Das ändere nichts daran, dass ein Unternehmen aus Gründen des Gesundheitsschutzes verpflichtet sei, geeignete Maßnahmen auch zum Erhalt der geistigen Gesundheit der Arbeitnehmer zu ergreifen. Dies kann, muss aber nicht, die Gewährung zusätzlicher Freizeittage beinhalten. Ein Anspruch der Arbeitnehmer hierauf besteht jedoch nicht – zur Erholung kann der jährliche Erholungsurlaub dienen, nicht aber eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit.
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Achtsamkeit im Büro: Mit einfachen Übungen Stress abbauen
Die Aufgaben stapeln sich, eine E-Mail-Nachricht jagt die nächste, und während man eine Sache erledigt, ist man geistig schon bei der nächsten: Viele sind im Job permanent im Stress. Das kann zu Überforderung führen und im schlimmsten Fall irgendwann zum Burnout, warnt Achtsamkeitstrainer Günter Hudasch aus Berlin. „Denn das Angebot an Anregungen war noch nie so überwältigend und unbegrenzt wie heute.“
Ein Teil vom Stress ist hausgemacht, weil das Gehirn wie auf Autopilot läuft. „Man kann lernen, seine Aufmerksamkeit bewusst ganz bestimmten Dingen zuzuwenden“, sagt Hudasch. Das klärt den Blick und hilft einem, Probleme differenzierter zu betrachten. Das Abschalten nach der Arbeit kann so ebenfalls leichterfallen, denn es beruhigt und lässt einen klar seine momentane körperliche Belastung erkennen, schildert der Vorsitzende des Verbandes der MBSR- und MBCT-Lehrer.
Wer sich regelmäßig einige Minuten Zeit für sich nimmt, kann schon viel erreichen. Hudasch erklärt dafür drei Übungen, die sich einfach in den Alltag integrieren lassen.
Bewusst essen
Wie schmeckt, riecht und sieht eigentlich das Mittagessen aus? Viele Berufstätige wissen es nicht genau, weil sie ihr Mobilgerät neben den Teller liegen haben und dort hineinschauen oder mit Kollegen über den Job sprechen. Das ist ganz natürlich, wie Hudasch erklärt: „Der Geist sucht ständig Anregungen. Man muss üben, ihn bewusst zu lenken.“ Das gelingt, in dem man sich völlig auf sein Essen konzentriert, dessen Wärme, Konsistenz, Geschmack wahrnimmt und sich dabei entspannt. „Damit kehrt man in seinen Körper zurück – und macht wirklich Pause.“
Körperscan machen
Körperscan, das klingt nach Hightech-Medizin. Dabei meint es nichts anderes, als bewusst seinen eigenen Körper zu spüren. Man kann zum Beispiel die Augen schließen und zehnmal bewusst ein- und ausatmen. Durch diese Übung wird die Umgebung ausgeblendet. „Man merkt dann, wie man sich gerade fühlt – ob man müde ist, ob man Kopfschmerzen hat“, erläutert Hudasch. Aus dieser Wahrnehmung heraus lässt sich passend handeln: Reicht die Kraft noch aus für etwas mehr Arbeit, oder ist es Zeit für eine Pause?
Konzentriert heimgehen
Auf dem Nachhauseweg konzentrieren, nach vielen Stunden harter Arbeit? Das klingt abwegig, ist aber effektiv. Der Trick ist, jeden Schritt bewusst wahrzunehmen – der Druck auf den Fußsohlen, das Abrollen, das Heben des Fußes. „Es geht darum, bewusst von der Arbeit wegzugehen“, sagt Hudach. „Dadurch kann man Gedanken an den Job freundlich zur Seite schieben.“ Man kehrt zu sich und in den gegenwärtigen Moment zurück, ergänzt er. Dies ist als bewusster Start in den Feierabend zu verstehen. (mit dpa)