Alphatier oder Opfertyp?Warum die richtige Körpersprache im Job so wichtig ist
Gut gelaunt kommt der Schauspieler Jürgen List zum Interview – und lässt sich in einen braunen Ledersessel fallen. Doch er fällt viel tiefer: Seine Seele rutscht in den „Tiefstatus“, wie es der Experte für Körpersprache nennt. Der zu niedrige Sessel erlaubt es nicht mehr, ein Gespräch „auf Augenhöhe“ zu führen. „Eine Szene wie bei Loriot“, kommentiert er die eigene Reaktion. „Ich sinke in den tiefen Sessel und strample mich innerlich ab – wie nach einem Sprung ins Schwimmbecken.“
An dieser zufälligen Szene zeigt List, was Führungskräfte bei ihm lernen können: Ein solcher „Tiefstatus“ stellt sich automatisch ein, jeder Mensch fühlt sich dabei unterlegen. Dagegen kann sich niemand wehren, aber diese Situation ist mit Übung schnell zu durchschauen.
Die entscheidende Frage lautet: Wie kommt der Kopf wieder übers Wasser? List lässt seine Arme breit auf die Sessellehnen fallen, schlägt die Beine übereinander – und dreht sich etwas von seinem Gesprächspartner weg. „So verknappe ich den Blickkontakt und gewinne neuen Raum hinzu, um aus dem ‚Tiefstatus‘ herauszukommen“, erklärt der Schauspieler, der auch Systemisches Coaching anbietet.
Sitzposition verändern
Sein Kollege Eugen Gerein beobachtet die Szene: „Wer einen Menschen in solcher Not erlebt, kann ihm Unterstützung geben.“ Eine Frage der Empathie, denn ein gutes Gespräch sollte in Augenhöhe stattfinden. Da reicht es schon, einen besseren Stuhl anzubieten, damit der Gesprächspartner nicht im „Tiefstatus“ versinkt.
Ebenfalls kann es unangenehm sein, ins grelle Gegenlicht zu schauen, das durch ein Fenster kommt. „Solche Situationen lassen sich rasch korrigieren, indem Sitzpositionen gewechselt werden“, sagt der Performance Trainer. Kleine Tricks mit großer Wirkung.
Überlegenheit durch „Hochstatus“
„Auf diese scheinbaren Kleinigkeiten sollten alle achten, die bewusst Wertschöpfung durch Wertschätzung anstreben“, sagt der Systemische Coach Sabine Gilliar vom Netzwerk culture2business. Denn: „Wir brauchen viel mehr wertschätzende Kommunikation in Unternehmen, gerade junge Fachleute sind nicht mehr bereit, alle Kröten zu schlucken.“ Wer Menschen für sich gewinnen will, sollte eine Gesprächskultur pflegen, die empathisch und wohlwollend ist.
Dazu sollten Chefs ihre Mitarbeiter nicht bewusst in den „Tiefstatus“ schicken. Aber: Wo es ihn gibt, muss es auch einen „Hochstatus“ geben. Das demonstrieren Gerein und List, wenn sie ihre interaktiven Vorträge zur Körpersprache halten, eine Mischung aus praktischen Übungen, Improvisationstheater und Grundlagen zur menschlichen Kommunikation.
Machtspiele mit der Körperhaltung
„Wer sich im ‚Hochstatus‘ befindet, demonstriert Überlegenheit“, so Gerein. Etwa durch archaische Signale: Auf einem Stuhl sitzt das „Alpha-Tier“ in Rücklage, präsentiert offen seinen Bauch und Hals. Botschaft: „Ich bin Dir so überlegen, Du kannst mir niemals an die Kehle gehen.“
Daher zeigt sich das „Alpha-Tier“ in einer sehr verletzlichen Pose – eine Geste, die aber Stärke signalisiert und bei Machtspielen gerne zum Einsatz kommt. Genauso wie das gönnerische Schulterklopfen und das Eindringen in die körperliche Intimsphäre, indem ein Hochstatus-Typ anderen Menschen „auf die Pelle“ rückt.
„Menschen im ‚Tiefstatus‘ zeigen ebenfalls typische Verhaltensweisen“, erläutert List: Sie fassen nicht andere, sondern sich selbst an; sie suchen keinen Blickkontakt. Und: Statt eine verwundbare Kehle zu präsentieren, schrumpfen sie in sich zusammen, um eine Abwehrhaltung einzunehmen. Sie fürchten bereits die Schläge, bevor sie das Chefzimmer betreten …
Natürlich sind „Hoch- und Tiefstatus“ die polaren Endpunkte einer körpersprachlichen Skala, die ganz unterschiedliche Abstufungen enthält. So lassen sich mit dieser Skala auch Machtspiele leichter durchschauen, wie sie Dr. Barbara Schmidt schildert. Die Soziologin hat das aktuelle Buch geschrieben: „Erfolgreich führen mit innerer Macht – Machtspiele umwandeln“.
In diesen Machtspielen charakterisiert Dr. Schmidt sehr unterschiedliche Rollen. Da gibt’s Angreifer wie das „Alpha-Tier“ mit offener Kehle, aber auch Retter, Hilflose, Opfer oder Flüchtende. Sie alle haben ihren eigenen Anteil an Konflikten, die täglich in Unternehmen Nerven fressen. Und egal in welcher Rolle jemand bleibt – „Entscheidend ist es, aus diesen blockierenden Emotionen herauszugehen, den Raum des Dauerkonflikts zu verlassen“, sagt Dr. Schmidt.
Die Körperhaltung spricht Bände
Sympathie fliegt zunächst dem Opfer zu. „Das scheinen die ‚Gutmenschen‘ zu sein, die aber die Machtspieler nicht in ihre Schranken weisen“, erklärt Dr. Schmidt. Sie hätten zwar Zugang zu ihren Gefühlen, doch es mangele ihnen an Durchsetzungskraft. Ihre Körperhaltung spricht Bände: „Versuchen Sie mal im ‚Tiefstatus‘ auszurufen: ‚Was für ein herrlicher Tag!‘“, so Gerein. Das klappt beim „Opfer“ überhaupt nicht, weil seine Körperhaltung auf die seelische Verfassung wirkt – und umgekehrt!
Ganz anders ergeht es den „Machtspielern“: „Sie haben Herz und Gefühl abgespalten, um erfolgreich ihren Weg zu gehen“, so Dr. Schmidt. Diese „Erfolgsmenschen“ zahlen aber einen hohen Preis – bis eventuell der Dampfkessel explodiert, und nur verbrannte Erde übrig bleibt. Dann gibt es niemanden mehr, den eine ungeschützte Kehle beeindruckt …
Lässt sich dieser Konflikt bewältigen? Dr. Schmidt skizziert in ihrem Buch einen Lösungsansatz für das scheinbare Opfer: „Der Angegriffene [steigt] aus dem Machtspiel aus, distanziert sich innerlich, erkennt seine komplementäre Machtrolle, verändert sie, sucht seinen Standpunkt, findet zu seiner inneren Kraft, fokussiert sich auf seine Ziele und sieht die übergeordnete gemeinsame Zielrichtung.“Aus Machtspielen aussteigen – ein Weg zu diesem Ziel ist es, Körpersprache besser zu „lesen“.
Dafür gibt es aber kein Patenrezept, wie List klarstellt: „Das ist immer ein individueller Dialekt. Die einen sprechen Bayerisch, die anderen Friesisch – und alles ist Deutsch.“ Und es wird noch schwieriger: Körpersprache ist an konkrete Situationen gebunden, sowie an die innere Haltung der einzelnen Akteure.
Gekreuzte Arme sind ein Zeichen von Distanz
Das stellt Gerein an einem Beispiel dar: „Wenn ich mit gekreuzten Armen vor jemandem sitze, ist das ein Zeichen von Distanz“. Wer dazu noch die Stirn runzelt und einen abschätzigen Blick aufsetzt, signalisiert Kritik und Abwehr. „Ich kann auch die Arme genauso lassen“, sagt Gerein, „mich aber mit einem wohlwollenden Blick dem Gesprächspartner zuwenden.“ Schon ergibt sich eine andere Situation; aus einer kritischen Haltung entsteht Empathie.
Ein solcher Wandel geschieht aber nur, wenn die Beteiligten „Ja“ zur Situation sagen, „wie sie ist“, betont List. Achtsamkeit bedeute, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein – eine Fähigkeit, die beide Schauspieler im Improvisationstheater vertiefen konnten.
Daran dachte wohl auch der buddhistische Mönch Thích Nhát Hanh, als er formulierte: „Achtsamkeit wirft ihr Licht auf alle Dinge. Achtsamkeit bringt die Kraft der Konzentration. Achtsamkeit führt zu tiefer Einsicht.“
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