Fatale ÜberschätzungAutofahrern ist nicht klar, wie sehr das Handy am Steuer ablenkt
- In seiner Kolumne „Aus der Praxis” schreibt Dr. Magnus Heier wöchentlich über ein wichtiges medizinisches Thema.
- Diesmal geht es um die Gefahren durch Handynutzung am Steuer, denn Hand aufs Herz: Fast jeder hat schon mal eine Nachricht im Auto beantwortet.
- Jeder weiß, dass das falsch war. Aber kaum einer weiß, wie falsch und wie gefährlich...
Köln – Ein Auto rast in ein Stauende. Anscheinend ungebremst. Wir haben es erlebt: Die Sekunden vor dem Aufprall sind eine Mischung aus Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit. Hilflos, weil man das Unglück Sekunden lang kommen sieht. Fassungslos, weil man sich fragt: Warum bremst der nicht?
Das Handy am Steuer nutzen – eine lebensgefährliche Entscheidung
Später kommen dann noch ganz andere Gedanken: Daran, wie unkonzentriert man selbst manchmal am Steuer sitzt. Vor allem aber auch daran, dass man möglicherweise schon mal beim Fahren auf das Handy guckt – oder gar ein, zwei Worte eingetippt haben mag. Die Reaktion ist im gesamten Bekanntenkreis dieselbe: Fast jeder hat schon mal eine WhatsApp-Nachricht beantwortet. Und jeder weiß, dass das falsch war. Aber kaum einer weiß, wie falsch und wie gefährlich.
Wie lange dauert es, ein, zwei Worte zu tippen? Sicherlich drei, vier Sekunden. In der Zeit ist die Umgebung, bei moderaten 100 Kilometern pro Stunde, aber schon knapp 100 Meter weitergerast. Und wenn ein Stauende etwa in einer Kurve liegt, wenn ein Auto nur bremst oder die Spur wechselt, hat sich die Situation längst grundlegend verändert. Lebensgefährlich verändert. Der kurze Blick aufs Display ist übrigens ein gewichtiges Argument für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Straßen. Wer mit 200 über die Autobahn rast, der verändert in wenigen unaufmerksamen Sekunden nicht nur die Situation für sich selbst, sondern auch für andere.
Reaktionsgeschwindigkeit sinkt bei Handynutzung messbar
Die Neurologie weiß, dass Aufmerksamkeit eine Entweder-oder-Funktion ist: Das Gehirn kann unterbewusst zwar viele Dinge gleichzeitig tun – die Aufmerksamkeit ist aber entweder auf die Straße gerichtet, oder auf die Nachricht oder das Telefongespräch. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird etwa beim Telefonieren messbar langsamer – auch wenn man das Telefon gar nicht in der Hand hält, sondern über die erlaubte Freisprecheinrichtung spricht. Alles was ablenkt, beansprucht Aufmerksamkeit – und verzögert damit die Reaktionen. Und wenn der Blick sekundenlang auf einem Display ruht, dann wird es lebensgefährlich.
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Es gibt wohl keinen Bereich, in dem sich Menschen so fatal überschätzen, wie im Straßenverkehr! Gerade die, die sich für Superfahrer halten, sind in Wirklichkeit oft rasende Blinde. Das Gehirn macht bei der Einschätzung von Gefahren anscheinend regelmäßig den gleichen Fehler: Situationen, die wir scheinbar kontrollieren können, werden unterschätzt. Risiken, denen wir uns ausgeliefert fühlen, überschätzt.
Viele haben Flugangst, die statistisch gesehen fast grundlos ist. Fast niemand hat Autofahrangst – vermutlich vor allem deshalb, weil der Autofahrer das Steuer selbst in der Hand hat. Und weil er glaubt, damit die Kontrolle zu haben. Bei dem Auffahrunfall wurde uns klar, wie wenig das stimmt – der Fahrer im vorderen Auto konnte nichts kontrollieren. Übrigens steht in der aktuellen Unfallstatistik NRW, dass von 458 (!) Verkehrstoten in 2019 einer auf das Konto eines Handys am Steuer geht. Nur einer? Zweifel scheinen angebracht. „Unser“ Unfall ging übrigens glimpflich aus.