Gefahr BandscheibenvorfallWie man dem Schmerzteufelskreis richtig vorbeugt
- In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
- Im März beantworten Expertinnen und Experten Fragen rund um den Rücken.
- In dieser Folge gibt Neurochirurg Makoto Nakamura Tipps, wie man das Risiko eines Bandscheibenvorfalles minimiert und wie er behandelt werden kann.
Übergewicht, zu wenig Bewegung oder falsche Belastung – das sind drei Risikofaktoren für einen Bandscheibenvorfall. Zwar spielt das Alter bei Problemen mit der Bandscheibe auch eine Rolle, trotzdem kann jeder etwas für seinen Rücken tun, um dem vorzubeugen. Welche Aufgabe die Bandscheiben im Körper haben, wodurch Schmerzen entstehen und wie Bandscheibenvorfälle behandelt werden, erklärt Professor Makoto Nakamura, Chefarzt für Neurochirurgie an den Kliniken Köln.
Was ist eigentlich die Aufgabe der Bandscheiben?
Makoto Nakamura: Die Wirbelsäule besteht aus 33 bis 34 Wirbelkörpern. Zwischen diesen Wirbelkörpern befindet sich die Bandscheibe – von Hals- bis Lendenwirbel gibt es diese bewegliche Komponente. Die Bandscheibe setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: ein äußerer knorpeliger Faserring und ein Gallertkern. Bei Bewegungen der einzelnen Wirbelkörper gegeneinander dienen die Bandscheiben als druckelastisches Polster. Unter Belastung werden die Bandscheiben zusammengedrückt und der Druck verteilt sich über den Gallertkern. Bei Entlastung nimmt die Bandscheibe durch die elastische Beschaffenheit des Faserrings die ursprüngliche Form wieder an.
Schmerzen treten also auf, wenn diese Polsterung nicht mehr funktioniert?
Schmerzen können auftreten, wenn der Faserring stark gedehnt wird oder aufreißt. Dadurch ist die Elastizität eingeschränkt und der Gallertkern, der sich im Inneren des Faserrings befindet, kann nach Außen treten. Wölbt sich dieser Gallertkern nach vorne, kommt es zu einer Bandscheibenvorwölbung. Das kann ohne Schmerzen ablaufen und von Patientinnen und Patienten durchaus unbemerkt bleiben. Wird der Druck auf das Bandsystem zu groß oder tritt der Gallertkern aus und drückt auf einen Nerv, können Schmerzen auftreten.
Wenn das passiert, spricht man von einem Bandscheibenvorfall?
Genau, reißt der Faserring auf und der Gallertkern dringt nach Außen, ist es ein Bandscheibenvorfall.
Was passiert bei einem Bandscheibenvorfall genau?
Der Gallertkern drückt auf einen Spinalnerv. Der Spinalnerv versorgt in der Lendenwirbelsäule zum Beispiel die Beinregion. Je nachdem welcher Nerv betroffen ist, verursacht der Bandscheibenvorfall einen starken ziehenden Schmerz im Bein, beispielweise in der Fußsohle oder im Fußrücken. Wo genau der Schmerz auftritt, ist also davon abhängig, auf welcher Höhe der Wirbelsäule der Bandscheibenvorfall ist.
Video-Chat mit Prof. Makoto Nakamura
Foto: Kliniken Köln/Fürst-Fastré
Am Mittwoch, 24. März 2021, um 17.30 Uhr, beantwortet Prof. Makoto Nakamura, Chefarzt der Neurochirurgie der Kliniken der Stadt Köln, im Video-Chat für eine Stunde Ihre Fragen rund um das Thema Bandscheibe. Nakamura ist Spezialist für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie.
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In welchem Teil des Rückens kommen Bandscheibenvorfälle am häufigsten vor?
Meist treten sie im Lendenwirbelbereich, genauer gesagt zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbel oder zwischen dem fünften Lendenwirbel und dem ersten Kreuzwirbel auf. Ein Bandscheibenvorfall kann aber auch im Halswirbelbereich vorkommen, ganz selten im Bereich der Brustwirbelsäule.
Wie kann man ihn behandeln?
In den meisten Fällen von einer Bandscheibenvorwölbung oder eines Bandscheibenvorfalls ist keine Operation nötig. In der Physiotherapie lernen Patientinnen und Patienten, wie sie sich schmerzarm bewegen können und bekommen Tipps für den Alltag. Wer einen Bandscheibenvorfall hat, muss nicht völlige Ruhe bewahren. Bei ganz starken Schmerzen ist dies für eine Zeit sinnvoll, aber in Therapie setzt man auf Bewegung, um das Wechseln zwischen Be- und Entlastung der Bandscheibe zu lernen. Die körperliche Aktivität und die Stärkung der Bauch- und Rumpfmuskulatur sind sehr wichtig, weil sie langfristig die Bandscheibe entlasten. Entspannungsübungen und Wärme sind hilfreich, um die Muskulatur zu entspannen. Das bewahrt vor einem Schmerzteufelskreis, bei dem die Rückenmuskulatur angespannt ist und durch die Schmerzen ungünstige Schonhaltungen eingenommen werden, die weitere Schmerzen verursachen können. Es werden auch Schmerzmedikamente eingesetzt, um diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Wann wird eine Operation notwendig?
Die konservative Therapie steht an erster Stelle, tritt aber nach sechs- bis acht Wochen gar keine Besserung ein, sollte man eine Operation in Erwägung ziehen. Es gibt aber sogenannte „Red Flags“, bei denen man sofort reagieren muss, um Folgeschäden zu vermeiden: Bei muskulären Lähmungen, wenn es also zu einem hohen Kraftverlust der Muskulatur kommt, ist dies ein deutliches Alarmzeichen. Sehr problematisch sind Bandscheibenvorfälle, die sich auch auf das vegetative System auswirken – der Urin oder der Stuhlgang nicht mehr gehalten werden kann. Auch bei motorischen Problemen ist ein operativer Eingriff nötig. Wenn ein ausstrahlender Schmerz im Bein auftritt und neben einer Schmerzlinderung eine Schwäche im Bein auftritt, ist es ein ganz schlechtes Zeichen, weil der Nerv durch den Bandscheibenvorfall abzusterben droht.
Welche Verfahren gibt es?
Die mikrochirurgischen Eingriffe sind am weitesten verbreitet und etabliert. Bei dieser Art von Operation wird nur ein kleiner Hautschnitt gemacht und es wird mit sehr feinen mikrochirurgischen Instrumenten operiert. Es wird versucht, die Rückenmuskulatur zu schonen. Durch den Einsatz eines Operationsmikroskops können die Chirurgen sehr genau arbeiten. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, endoskopisch zu operieren, dabei wird ein Endoskop, durch einen kleinen Hautschnitt eingeführt und die Operationsstelle über das integrierte Videosystem durch einen Bildschirm sichtbar gemacht. Auch bei diesen Eingriffen werden mikrochirurgische Instrumente genutzt. Das endoskopische Verfahren ist noch nicht so weit verbreitet wie das mikrochirurgische Verfahren.
Welche Risikofaktoren gibt es für einen Bandscheibenvorfall?
Durch Bewegungsmangel kann sich eine schwache Rumpfmuskulatur entwickeln, es kann sein, dass die Muskulatur nicht stark genug ist und es zu einer stärkeren Belastung der Bandscheiben kommt. Übergewicht ist ein wesentlicher Risikofaktor. Durch Fehlbelastung der Bandscheiben kann ein Vorfall entstehen.
Was sind die Ursachen eines Bandscheibenvorfalls?
Übergewicht spielt zwar eine wichtige eine Rolle. Die häufigste Ursache ist aber die altersbedingte und belastungsbedingte Degeneration des Bindegewebsrings der Bandscheibe. Das liegt daran, dass das Bindegewebe seine stabilisierende Funktion mit der Zeit verlieren kann und bei großer Belastung der Faserring reißen kann. Meist treten die Bandscheibenvorfälle zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf. Ab 50 Jahren sinkt das Vorkommen wieder, weil der Gallertkern an Flüssigkeit verliert und dadurch seltener austritt. Mögliche Auslöser von Bandscheibenvorfällen sind auch falsche oder ruckartige Bewegungen bei manchen Sportarten: Beim Reiten oder Mountainbiking wird die Wirbelsäule zum Beispiel erschüttert und beim Tennis oder Squash muss sie rotieren. Auch bei beruflichen Tätigkeiten, bei denen man schwere Lasten trägt, kann es zum Austreten das Gallertkerns kommen.
Welche Präventionsmaßnahmen gibt es?
Wer übergewichtig ist, sollte sein Gewicht reduzieren. Sportliche Übungen, die die Rücken- und Bauchmuskulatur stärken, wie Schwimmen oder Gymnastik, sind wichtige Präventionsmaßnahmen. Entspannungstechniken, die man beispielsweise im Yoga oder Tai Chi erlernen kann, sind hilfreich, um eine gute Körperhaltung zu entwickeln und die Rumpf- und Rückenmuskulatur zu stärken – die Bandscheibe wird entlastet. Im Alltag ist es wichtig, auf die Körperhaltung zu achten, beim Sitzen sollte man sich aufrichten und die Sitzpositionen wechseln oder im Stehen arbeiten. Es lohnt sich, auch auf ganz alltägliche Dinge zu achten: Schwere Gegenstände sollten nie mit gestreckten Beinen und aus der Beuge heraus hochgehoben werden, sondern man sollte richtig in die Knie gehen und dann die Last heben. Die Arme sollten beim Tragen dicht am Körper sein.
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Bei welchem Alarmzeichen sollte ich zum Arzt gehen?
Jeder Mensch hat im Laufe des Lebens Rückenschmerzen, meist gehen sie von alleine wieder weg. Halten die Schmerzen aber drei bis vier Wochen an, dann sollte man einen Arzt aufsuchen. Rückenschmerz ist ein häufiges Symptom, das ganz viele Ursachen haben kann. Ein Bandscheibenschaden zählt zwar zu den häufigsten Ursachen, aber auch Gelenkverbindungen, die knöchernen Teile der Wirbelsäule, Entzündungen oder tumoröse Erkrankungen können die Schmerzen auslösen. Ein chronischer Rückenschmerz sollte durch einen Arztbesuch abgeklärt werden, um zu wissen, welche Ursache dahinter steckt.
Herr Nakamura, vielen Dank für das Gespräch.