Weil er im Intimbereich liegt, sprechen wir nicht gerne über ihn. Dabei erfüllt der Beckenboden wichtige Funktionen – und ist ständig aktiv.
Kontinenz, Erektion, OrgasmusWofür der Beckenboden wichtig ist und warum ihn auch Männer trainieren sollten
Starke Männer zeigen gern ihren Bizeps. Sportliche Frauen (und Männer) trainieren ihre Abs, also die Bauchmuskeln. Und wenn man Verspannungen in Rücken oder Nacken hat, beklagt man sich auch über diese Muskeln. Nur über ihn spricht man am liebsten gar nicht: den Beckenboden. Dabei erfüllt diese Muskelgruppe eine gar nicht so unwichtige Aufgabe. Sie sorgt nämlich dafür, dass unsere Organe im Bauchraum, Darm, Blase, Gebärmutter, Prostata nicht einfach so aus uns herauspurzeln. Und nebenbei kann der Beckenboden auch noch für guten Sex sorgen, hilft bei Orgasmus und Erektion. Höchste Zeit also, dass wir uns mit der tabuisiertesten aller Muskelgruppen einmal genauer beschäftigen. Und zwar wir alle – nicht nur Frauen, die gerade ein Kind geboren haben.
Was ist der Beckenboden überhaupt?
„Der Beckenboden ist eine Schicht aus Muskeln und Bindegewebe, die unser Becken von unten abschließt“, erklärt Physiotherapeutin Anna Schweitzer. Und zwar bei Frauen als auch bei Männern, das sollte man direkt betonen. Wie eine Hängematte liegt er zwischen Schambeinknochen, Sitzbeinhöckern und Steißbein. „Der Beckenboden sorgt dafür, dass unsere Körperöffnungen – Harnröhre, After und gegebenenfalls Vagina – verschlossen und wir nicht inkontinent sind.“ Deswegen, sagt Schweitzer, die die Praxis „MORE Therapy“ in Köln-Bickendorf leitet, ist der Beckenboden den ganzen Tag über aktiv, weil wir ja jederzeit kontrollieren möchten, dass Urin und Stuhl da bleiben, wo sie sind. „Besonders gefragt ist der Beckenboden, wenn es körperlich anstrengend wird – beim Husten oder Niesen, wenn man das Kind hochhebt oder Sport macht.“ Dann sollte sich der Beckenboden anspannen. Lockerlassen darf er indes, wenn wir groß oder klein auf Toilette gehen, bei Geburt oder beim Sex. Denn: Ein gut funktionierender Beckenboden, der sich an- und entspannen kann, sorgt für einen intensiveren Orgasmus.
Welche Probleme kann der Beckenboden machen?
Der Beckenboden kann – wie jeder andere Muskel auch – zu schwach sein. Die häufigste Folge ist dann eine Belastungsinkontinenz: Wenn beim Husten, Niesen, Trampolinspringen oder dem Sprint zur Bahn ein paar Tropfen Urin in der Unterhose landen. „10 Millionen Menschen in Deutschland sind von einer Inkontinenz betroffen“, sagt Anna Schweitzer. Das wäre jeder achte. „Wir gehen aber davon aus, dass die Dunkelziffer viel höher ist. Denn eine Belastungsinkontinenz beginnt bereits dann, wenn man Blase oder Darm nicht mehr so unter Kontrolle hat, wie man möchte.“ Doch wer würde sich schon bei ein paar Tropfen selbst als inkontinent bezeichnen?
Wer ist besonders betroffen?
Frauen haben insgesamt häufiger Beckenboden-Probleme als Männer – allein aus anatomischen Gründen und weil sie mehr Bindegewebe zwischen den Beckenbodenmuskeln haben. Außerdem tragen viele Frauen Kinder aus. „In der Schwangerschaft steigt durch das Gewicht von Baby, Fruchtwasser und Plazenta der Druck auf den Beckenboden“, erklärt Anna Schweitzer. Schwerstarbeit leistet er auch bei der Geburt: Dann dehnt der Beckenboden sich fast um das Dreifache – eine Leistung, die nur die wenigsten anderen Muskeln vollbringen können. „Nach der Geburt braucht der Beckenboden etwa ein Jahr zur Regeneration“, sagt Schweitzer.
Auch die Menopause mit ihren hormonellen Veränderungen hat Einfluss auf den Beckenboden. Gleichzeitig gilt: Frauen, die noch nie schwanger waren, und jeden Alters können Probleme mit dem Beckenboden haben. Besonders schlimm wird es, wenn der Beckenboden so schwach ist, dass er die Organe im Bauchraum nicht mehr ausreichend halten kann, und diese sich absenken. Doch es geht auch in die andere Richtung: Der Beckenboden kann so verkrampft sein, dass zum Beispiel penetrativer Sex sehr schmerzhaft ist.
Wie sieht es bei Männern aus?
Doch auch Männer können Probleme mit dem Beckenboden haben. Hier ist die Prostata der neuralgische Punkt. „Die Prostata umhüllt einen Teil der Harnröhre und stützt durch ihre Lage die Blase von unten mit ab. Muss sie – etwa aufgrund einer Krebserkrankung – entfernt werden, muss der Beckenboden danach mehr arbeiten“, erklärt Schweitzer. Doch das klappt nicht immer, häufig ist eine Form von Inkontinenz die Folge. Auch bei Erektionsstörungen, etwa wenn die Steifigkeit nicht ausreichend ist, nicht aufgebaut oder lange genug gehalten werden kann, kann der Grund in einem geschwächten Beckenboden liegen. „Aber aufgepasst“, sagt Anna Schweitzer. „Gerade bei älteren Herren können die Erektionsprobleme auch durch Herzerkrankungen ausgelöst werden. Deswegen sollte man auf jeden Fall das Herz untersuchen lassen.“
Und Kinder?
Auch Kinder können bereits Probleme mit dem Beckenboden haben. Er sollte untersucht werden, wenn Kinder älter als sechs Jahre alt sind und noch einnässen, oder wenn sie (auch schon in jüngeren Jahren) an chronischen Verstopfungen leiden. Wir erinnern uns: Der Beckenboden soll lockerlassen, wenn wir uns entleeren müssen. „Wenn Kinder harten Stuhl haben und es auf Toilette wehtut, dann halten sie oft ein und spannen den Beckenboden an. Doch daraus wird schnell ein Teufelskreis: Denn je länger man nicht auf Toilette geht, desto härter wird der Stuhl“, erklärt Anna Schweitzer. Sie rät, einen Blick auf Ernährung, Trink- und Bewegungsverhalten der Kinder zu werfen, und mit der Kinderarztpraxis zu sprechen. Hier können, wenn sinnvoll, Stuhlweichmacher verschrieben werden.
Wie geht es meinem Beckenboden?
Wer keine Ahnung hat, wie es um den eigenen Beckenboden steht, kann das auf folgende Weise testen erklärt Anna Schweitzer: „Erstmal freimachen. Frauen halten einen kleinen Handspiegel zwischen die Beine, Männer stellen sich vor den Spiegel. Dann den Beckenboden anspannen. Frauen sehen dann, wie die Vagina und der Damm sich nach innen ziehen, bei Männern hebt der Penis sich etwas an.“ Man könne auch einen Finger in Vagina oder After einführen und dann anspannen. Wer keine Ahnung hat, wie man den Beckenboden überhaupt aktiv ansteuert, kann bei „MORE Therapy“ und anderen spezialisierten Praxen auch einen Beckenboden-Check machen lassen. Sportarten wie Yoga, Pilates, Schwimmen oder Walken sind übrigens beckenbodenfreundlich – Joggen und Kraftsport mit sehr hohen Gewichten weniger. Wer seinen Beckenboden direkt trainieren möchte, kann das mit einigen Übungen tun, die Anna Schweitzer in diesem Video zeigt.
Und wenn das nicht hilft?
Wer ernsthafte Probleme mit dem Beckenboden hat, sollte einen Arzt aufsuchen. Urologen, Proktologen und Gynäkologen sind die richtigen Ansprechpartner. Sie können auch ein Rezept für Physiotherapie ausstellen. Versuchen Sie, einen Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden, die im Bereich „Physio Pelvica“ fortgebildet ist und Ahnung von Beckenboden-Problemen hat. In Köln sind neben Anna Schweitzers „MORE Therapy“ noch zwei weitere Praxen spezialisiert: „fit again“ in Köln-Junkersdorf und „Leben bewegt“ im Agnesviertel sowie in Sülz. Hier kann man seinen Beckenboden unter fachkundiger Anleitung trainieren – und sowohl Anspannung als auch Entspannung üben.
Bei einer Senkung der Organe ist manchmal eine Operation notwendig – dann wird zum Beispiel eine Art Netz oberhalb des Beckenbodens implantiert, das dann die Aufgabe des Beckenbodens übernehmen kann. In Köln sind darauf zum Beispiel das Heilig-Geist-Krankenhaus in Longerich sowie das Severinsklösterchen in der Südstadt spezialisiert. Klar ist: In Zukunft sollten wir nicht nur Bizeps, Abs und Rückenmuskulatur trainieren, sondern auch dem Beckenboden ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken.