BruxismusWelche Folgen Knirschen für die Zähne hat und was dagegen helfen kann
- In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
- Im Juni geht es um das Thema gesunde Zähne, in dieser Folge um das Zähneknirschen.
- Welche Ursachen hinter dem Knirschen und Reiben stecken, was die Folgen sein können und welches neue Diagnoseverfahren Hoffnung weckt.
Köln/Düsseldorf – 480 Kilogramm pro Quadratzentimeter – ein enormer Druck kann beim Zähneknirschen entstehen. Dabei können nicht nur die Zähne selbst schwer geschädigt werden, auch Muskelverspannungen, Kopfschmerzen oder Schwindel können folgen. Jeder Zweite knirscht zeitweise im Laufe seines Lebens mit den Zähnen, schätzt die Bundeszahnärztekammer – meistens ohne sich darüber bewusst zu sein. Bei einigen entwickelt sich das Knirschen zu einem dauerhaften Verhaltensmuster. Häufig wird erst der Zahnarzt darauf aufmerksam, allerdings erst dann, wenn bereits Schäden an den Zähnen sichtbar sind.
Das ständige, unbewusste Aufeinanderpressen oder Reiben der Zähne wird Bruxismus genannt. Ärzte unterscheiden dabei zwischen dem Schlaf- und dem Wachbruxismus – je nachdem, wann das Pressen oder Knirschen stattfindet. „Das Zähnepressen, auch Wachbruxismus genannt, kommt vorwiegend während des Tages vor. Das Zähneknirschen hingegen tritt zumeist während des Schlafes auf und wird daher als Schlafbruxismus bezeichnet“, erklärt Professorin Michelle Ommerborn, kommissarische Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Endodontologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. „Wach- und Schlafbruxismus können auch bei einem Menschen zusammen auftreten. Momentan wird aber davon ausgegangen, dass es sich um zwei verschiedene Verhaltensmuster handelt.“
Corona-Pandemie führte zu Anstieg
„Die Zähne zusammenbeißen“ ist ein häufiger Ratschlag wenn es gilt, unangenehme Situationen zu überstehen. Und tatsächlich scheint Stress eine wesentliche Ursache für den Bruxismus zu sein. Forschende konnten beobachten, dass das Verhalten häufig in schwierigen Lebensphasen auftritt. Etwa zur Bewältigung von Alltagsproblemen, aber auch wenn das emotionale Gleichgewicht aus der Balance geraten ist. Experten sprechen auch von pathologischen Angst- und Unterdrückungsmechanismen.
Den Zusammenhang zwischen dem Knirschen und emotionalem Stress haben israelische Forscher und Forscherinnen auch im Zuge der Corona-Pandemie beobachtet. Einer Studie zufolge hat die Problematik während des ersten Lockdowns unter knapp 1800 Befragten in Israel und Polen zugenommen.
Ursachen für Schlafbruxismus noch ungeklärt
Am Universitätsklinikum Düsseldorf forscht seit über 20 Jahren eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe zum Thema Bruxismus. „Unser Team besteht unter anderem aus Zahnmedizinern, Psychologen und Ingenieuren und wir untersuchen beispielsweise die Entstehung des Bruxismus oder führen Studien durch, wie man diesen behandeln kann“, erläutert Michelle Ommerborn. Die kommissarische Direktorin der Zahnklinik hat sich auf den Schlafbruxismus spezialisiert.
Während emotionale Belastungen vor allem bei der Entstehung von Wachbruxismus eine wichtige Rolle zu spielen scheinen, werde beim Schlafbruxismus eine multifaktorielle Entstehung angenommen, erklärt die Expertin. „Das heißt, an der Entstehung des nächtlichen Zähneknirschens sind vermutlich mehrere Einflussfaktoren beteiligt, wobei die genauen Mechanismen noch nicht sicher geklärt sind.“ Dazu zählten neurochemische Faktoren, autonome Aktivierungsprozesse des Körpers oder auch psychologische Faktoren. Auch die Einnahme bestimmter Medikamente oder verschiedener Substanzen wie Alkohol- oder Tabakgenuss könne das Zähneknirschen bedingen. „Abschließend ist die Entstehung von Bruxismus jedoch nicht geklärt.“
Bruxismus wird oft zu spät erkannt
Zähneknirschen im Schlaf oder das feste Zusammenpressen der Zähne während des Tages kann bei jedem Menschen unabhängig vom Alter vorkommen. „Bruxismus kann in allen Lebensphasen auftreten, wobei die Häufigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt“, beobachtet auch die Bruxismusspezialistin. Beim Schlafbruxismus werde bei Kindern bis zum Jungendlichenalter eine Prävalenz von circa 20 Prozent und bei den Erwachsenen von etwa acht Prozent angegeben. „Bei Menschen in höherem Lebensalter beträgt der Wert noch etwa drei Prozent.“ Das emotional bedingte Aufeinanderpressen der Zähne am Tage ist unter Erwachsenen wesentlich verbreiteter: „Wachbruxismus kommt bei circa 20 Prozent der Erwachsenen vor“, gibt Ommerborn an.
Zahnärzte und Zahnärztinnen bemerken den Bruxismus häufig erst, wenn die Zähne bereits geschädigt sind. Die Folgen können schwerwiegend sein. Der Druck auf den Zähnen und dem Kiefer beim Knirschen ist zehn Mal höher als der normale Kaudruck. Frakturen oder Schmelzrisse an der Zahnhartsubstanz können auftreten.
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„Als Folge von jahrelangem Bruxismus kommt es in aller Regel zuerst zur Ausbildung von lokalen Schäden an den Zähnen. Diese entstehen durch die Press- und Reibebewegungen der Ober- und Unterkieferzähne gegeneinander. Es handelt sich also um Abnutzungserscheinungen an der Zahnhartsubstanz, besonders an den Kauflächen der Backenzähne und den Schneidekanten der Frontzähne“, erklärt Professorin Ommerborn. „Darüber hinaus können die teilweise erheblichen einwirkenden Kräfte zu Rissen und/oder Absprengungen an Zähnen, Füllungen oder auch keramischen Versorgungen wie Keramikinlay’s und Kronen- beziehungsweise Brückenverblendungen führen.“ Auch könne man bei Patienten, die über viele Jahre mit den Zähnen knirschten, freiliegende Zahnhälse, teilweise mit typischen Zahnhalsdefekten finden.
Risikofaktor für craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)
Wissenschaftliche Studien konnten zudem einen Zusammenhang zwischen Zahnfleischproblemen bei Patienten mit Bruxismus zeigen sowie mit Verspannungen und Kaumuskelschmerzen im Kiefer-Gesichtsbereich.Treten neben den Schmerzen zusätzlich Funktionseinschränkungen der Kieferbewegung auf, spricht man von dem Krankheitsbild einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD). Der Bundeszahnärztekammer zufolge gilt Bruxismus als Risikofaktor für die Erkrankung. Konkret handelt es sich dabei um Störungen der gesamten Kieferbewegung. Sie äußern sich als Mundöffnungseinschränkung oder Seitenabweichungen des Unterkiefers. Auch Kiefergelenkknacken oder -geräusche kommen vor. Einige Betroffene beschreiben auch einen Tinnitus, wobei diese Zusammenhänge nicht eindeutig geklärt sind.
Aufgrund der unterschiedlichen Ursachen für das Knirschen beziehungsweise Pressen und der oft erst späten Diagnose gestaltet sich die Behandlung schwierig. In Frage kommen je nach Ursache zum Beispiel stressbewältigende Verfahren und Entspannungstechniken. Auch eine Psychotherapie kann je nach Ursache hilfreich sein. Hilfreich kann auch die Selbstbeobachtung sein, um sich bewusst zu machen, zu welchen Zeitpunkten man knirscht oder presst. Das Verhalten kann dann gezielt beeinflusst werden. Um den weiteren Zahnverschleiß aufzuhalten, verschreibt der Zahnarzt häufig Aufbissschienen. Dabei handelt es sich um eine an den Kiefer angepasste Schiene aus Hartplastik, die nachts oder auch tagsüber getragen werden kann, um die Zahnsubstanz zu schützen. Sie wirkt allerdings nur weiteren Schäden entgegen und kann nicht die Ursache therapieren. Problematisch ist vor allen Dingen, dass es bislang keine Möglichkeit gibt, den Bruxismus frühzeitig, und bevor Schäden aufgetreten sind, zu erkennen.
Neues Diagnostikverfahren für frühere Erkennung
Am Düsseldorfer Universitätsklinikum macht deshalb ein von Professorin Michelle Ommerborn mitentwickeltes neues Diagnostikverfahren Hoffnung auf eine frühere und gezieltere Behandlung des Bruxismus: „Ein zentraler Teil unserer Forschungsaktivitäten konzentriert sich auf die frühzeitige Diagnostik des zumeist unbewusst stattfindenden Zähneknirschens. Hierzu hat unsere wissenschaftliche Arbeitsgruppe ein neues Verfahren entwickelt, welches das nächtliche Zähneknirschen sicher erkennen und zugleich für die Patienten einfach anzuwenden sein soll.“
Mithilfe einer gefärbten Aufbissfolie soll nicht nur das nächtliche Zähneknirschen erkannt, sondern auch die Stärke des Knirschens gemessen werden können. Die Auswertung erfolgt hierbei mit einer dazugehörigen neuentwickelten Software. „Das Entscheidende ist: Bevor die Langzeitschäden an den Zähnen und beteiligten Strukturen aufgetreten sind. Das wäre ein entscheidender Fortschritt in der Prävention des durch Abnutzung bedingten Zahnhartsubstanzverlustes“, betont die Expertin. Trotz der Corona-Pandemie konnte zuletzt eine Studie die Wirksamkeit des Verfahrens belegen. Wenn weiterhin alles nach Plan verläuft, könnte die Folie im nächsten Jahr die Marktzulassung erhalten.