In den Arztpraxen wird wieder fleißig geimpft. Doch wer braucht in diesem Winter eigentlich welche Impfung? Eine Expertin klärt auf.
Corona, Grippe, RSVWelche Impfung brauche ich in diesem Winter?
Die Erkältungssaison hat begonnen: Bei vielen Menschen kratzt schon wieder der Hals oder läuft die Nase. Die Gesamtzahl der akuten Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung bezifferte das Robert Koch-Institut (RKI) zuletzt mit rund 7,3 Millionen Menschen. Sie liege damit „auf einem für diese Jahreszeit vergleichsweise hohen Niveau“, schreibt die Behörde in ihrem Wochenbericht zu Atemwegserkrankungen.
Aktuell sind es vor allem Rhinoviren, die die Menschen krank machen. Doch wie in der kalten Jahreszeit üblich könnten auch noch einmal Corona- und Grippeviren verstärkt zirkulieren. Auch das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV, ist ein Erreger, der sich im Herbst und Winter generell besser verbreitet.
Während die Krankheitserreger allmählich Fahrt aufnehmen, rüsten sich die Arztpraxen mit Impfstoffen aus. Eine Abfrage des RND beim Paul-Ehrlich-Institut hatte jüngst ergeben, dass bislang rund 22 Millionen Dosen der Grippe- und Corona-Impfstoffe vorrätig sind. Doch: Wer sollte sich dieses Jahr gegen Grippe und Corona impfen lassen? Und was ist mit RSV? Wir haben bei Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover nachgefragt.
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Corona
Das sagt die Expertin: Die Corona-Impfungen waren aus Sicht von Immunologin Falk ein „Game-Changer“. „Wir haben jetzt über die Bevölkerung hinweg einen so hohen Impfschutz, dass das Virus zwar noch zirkuliert. Es ist aber jetzt nicht mehr so, dass bei einer Infektion das Risiko für einen schweren Verlauf besonders erhöht ist – mit Ausnahme bei den Risikogruppen gemäß der Stiko-Empfehlung“, sagt sie. Deshalb müsse man jetzt niemanden mehr zu einer Impfung überreden. Jeder und jede könne selbst entscheiden, ob er oder sie sich gegen Covid-19 impfen lassen will oder nicht.
Chronisch kranken Menschen sowie Transplantierten rät Falk, sich von ihrem behandelnden Arzt oder ihrer behandelnden Ärztin über die Corona-Impfung beraten zu lassen. „Aber das machen die meisten auch.“ Der Arzt oder die Ärztin kann dann auch entscheiden, was zu tun ist, wenn es kurze Zeit zuvor eine Infektion mit dem Coronavirus gab. Für Menschen, die immunsystemunterdrückende Medikamente wie Kortison nehmen, wodurch sie kaum oder gar keine Antikörper aufbauen, könne eine Auffrischungsimpfung durchaus noch einmal wichtig sein in diesem Herbst – auch, wenn sie vor Kurzem mit Corona infiziert waren.
„Ob sie jetzt den neuesten angepassten Impfstoff bekommen oder einen der vorherigen angepassten Impfstoffe, ist nicht so entscheidend“, sagt Falk. Zur Verfügung stehen in dieser Impfsaison Corona-Impfstoffe, die an die Omikron-Variante JN.1 angepasst wurden. Diese dominiert zwar nicht mehr das Infektionsgeschehen in Deutschland, aber ihre Nachfolger gehören ebenfalls zur Omikron-Familie. Zurzeit scheint sich die Variante XEC durchzusetzen – eine Kreuzung von zwei Unterlinien der früheren JN.1-Variante. Auch gegen diese Variante sei der Impfstoff aber weiterhin wirksam.
Was weiterhin unklar ist: Wie gut schützen die Impfstoffe vor Spätfolgen – Long Covid genannt? Um das beurteilen zu können, brauche es eine bessere Datengrundlage, sagt Falk. Krankenversicherungsdaten, etwa aus Niedersachsen, würden jedoch zeigen, dass mit der Einführung der Impfungen und dem Auftauchen der Omikron-Variante die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen Long Covid zurückgegangen ist. Die Frage ist: Ist das der schützenden Wirkung der Impfung zu verdanken oder der Tatsache, dass Omikron weniger schwere Krankheitsverläufe verursacht? Genau diese Frage ist noch unbeantwortet.
Das RKI geht zurzeit davon aus, dass die Corona-Impfung durchaus vor Long Covid schützt. „Dabei kann von einer Wirksamkeit von bis zu 60 Prozent ausgegangen werden“, erklärt die Behörde auf ihrer Internetseite. Allerdings räumt sie auch ein, dass die Schutzwirkung „wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt“ ist. Das RKI hat deshalb im September vergangenen Jahres ein Projekt gestartet, das den Schutz der Corona-Impfung vor Long Covid genauer untersuchen soll. Im Februar kommenden Jahres soll es abgeschlossen sein.
Grippe
Das sagt die Expertin: Die Influenzaviren, die die echte Grippe verursachen, waren im vergangenen Winter wieder mehr aktiv. Das war vor allem der Tatsache geschuldet, dass die letzten Corona-Maßnahmen, die auch Infektionen mit Influenzaviren verhindert hatten, aufgehoben worden waren.
Noch finden sich im jüngsten Wochenbericht des RKI keine Influenza-Meldungen. Das sei „ein guter Start“, meint Immunologin Falk. „Wenn sich jetzt noch die von der Stiko benannten Risikopersonen impfen lassen, könnten wir die saisonale Grippewelle vielleicht etwas einfangen.“ Auch bei der Grippeimpfung sei es am Ende aber jeder und jedem selbst überlassen, sich impfen zu lassen oder nicht.
Wie stark die Grippewelle in diesem Winter ausfällt, ist noch unklar. Das hängt unter anderem davon ab, welche Virusvarianten sich durchsetzen, aber auch, wie sich die Menschen verhalten. Halten sie Abstand? Setzen sie Masken auf? Bleiben sie bei Symptomen zu Hause? „Ich habe das Gefühl, die Leute sind etwas aufmerksamer geworden“, sagt Falk. „Aber ganz genau kann ich das nicht einschätzen. Vielleicht sagen sie auch: ‚Mir egal.‘ Und dann haben wir die nächste große Influenza-Welle.“
RSV
Das sagt die Expertin: Im Jahr 2022, als ein Großteil der Corona-Maßnahmen wegfielen, gab es eine RSV-Welle, die vor allem unter Kleinkindern grassierte. In diesem Winter dürfte es wieder „eine normale Verbreitung“ geben, so wie in den Vorjahren, vermutet Immunologin Falk.
Für die Impfungen bedeutet das: „Wer kein eingeschränktes Immunsystem hat, muss sich nicht impfen lassen, weil das Risiko, ernsthaft zu erkranken, sehr gering ist.“ Ältere, Immungeschwächte sowie gegebenenfalls auch medizinisches Personal sollten sich hingegen auch hier überlegen, ob sie sich nicht impfen lassen.
Theoretisch ist es sogar möglich, sich gegen Corona, Grippe und RSV gleichzeitig impfen zu lassen. Dass die Corona-Impfung zusammen mit der Grippe-Impfung erfolgen kann, empfiehlt die Stiko schon länger. Sich zusätzlich noch gegen RSV zu schützen, könne jedoch stärkere Impfreaktionen zur Folge haben, warnt Falk. „Dann ist das Antikörper-Team Corona aktiviert, das Team Grippe und dann noch das Team RSV – das dürfte man auf jeden Fall spüren.“ Die Expertin rät deshalb, lieber Abstand zwischen den Impfungen zu halten. „Am Ende muss das aber jeder und jede auch hier für sich selbst entscheiden.“
Erstmals ist in dieser Impfsaison auch der monoklonale Antikörper Nirsevimab für Säuglinge als RSV-Prophylaxe einsetzbar. „Das ist eine andere Art von Impfung“, erklärt Falk. Es handele sich dabei um eine Form der passiven Immunisierung. „Das heißt, das Immunsystem muss nicht erst zur Bildung von Antikörpern angeregt werden, sondern der Antikörper, der verimpft wird, ist schon fertig, sodass er einen direkten Schutz gegen RSV bietet.“ Folglich sei mit weniger Impfreaktionen und Nebenwirkungen zu rechnen.
Diese RSV-Prophylaxe ist aus Sicht von Falk eine Kann-Impfung. Eltern müssen ihre Kinder nicht unbedingt impfen lassen. „Ich würde Eltern empfehlen, im Zweifelsfall noch einmal vorab mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin über diese Impfung zu sprechen“, rät die Immunologin.