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Verteilung von Corona-Impfstoffen„Es gilt, möglichst viele Todesfälle zu verhindern“

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Impffolgen werden derzeit untersucht, auch wenn ein Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung jeweils unwahrscheinlich scheint.

  1. Die Suche nach möglichen Impfstoff-Kandidaten ist weit fortgeschritten. Einige Mittel gegen Covid-19 befinden sich bereits in der finalen Phase-III-Studie. Bis zur Zulassung müssen einige Hürden überwunden werden.
  2. Wie schnell könnte ein Impfstoff produziert werden, wie sollte man ihn verteilen? Und: Werden ihn überhaupt genug Menschen nutzen wollen? Ist eine Impfpflicht völlig ausgeschlossen?
  3. Lesen Sie hier den ersten Teil unseres Interviews mit dem Kölner Virologen Florian Klein.

Das Mainzer Unternehmen Biontech will den Behörden in wenigen Wochen ein Mittel zur Genehmigung vorlegen. Ist in diesem Jahr doch noch mit einem Impfstoff zu rechnen?Prof. Florian Klein: Aktuell werden um die 40 Impfstoffe in klinischen Studien getestet, davon neun in späten, sogenannten Phase-III-Studien. Eine so schnelle Entwicklung von Impfstoffen gegen ein neues Virus hat es noch nie gegeben. Wenn es die Ergebnisse erlauben, werden noch in diesem Jahr die ersten Zulassungsanträge gestellt.

Ist bereits abzusehen, wie gut eine Corona-Impfung funktionieren wird?

Die ersten Ergebnisse kleinerer Studien sind vielversprechend. Für die Zulassung eines Impfstoffs muss jedoch die klinische Wirksamkeit nachgewiesen werden. Das heißt es muss gezeigt werden, dass es nach einer Impfung seltener zu einer Infektion oder Erkrankung kommt. Dieses wird in den aktuellen Studien untersucht.

Worauf kommt es für eine Zulassung nach den Phase-III-Studien an?

Das für die Zulassung von Impfstoffen in Deutschland zuständige Paul-Ehrlich-Institut und die europäische Arzneimittelbehörde EMA prüfen auf Grundlage von Studien- und Produktionsdaten vor allen Dingen die Sicherheit, Wirksamkeit und die Qualität der Impfstoffe. Alle diese Punkte müssen für eine Zulassung erfüllt sein.

Welche Risiken würde man bei einer Zulassung in Kauf nehmen?

Impfstoffe werden vielen Millionen oder gar Milliarden von gesunden Menschen verabreicht. Dabei werden auch Menschen geimpft, die auch ohne Impfung keine Infektion bekommen würden. In der Risiko-Nutzen-Abwägung ist daher die Sicherheit und Unbedenklichkeit der Anwendung ganz entscheidend. Hierbei wird nicht nur die Häufigkeit von Nebenwirkungen, sondern auch deren Art kritisch geprüft. Bestimmte Nebenwirkungen werden nach einer Impfung relativ häufig beobachtet. Hierzu zählen zum Beispiel vorübergehende Schmerzen und eine Rötung an der Einstichstelle oder auch eine erhöhte Körpertemperatur. Solche Symptome sind meist unproblematisch und oft Ausdruck der durch die Impfung gewünschten Immunantwort. Schwerere Nebenwirkungen und Impfkomplikationen treten nach Impfungen nur äußerst selten auf. Eine Häufung würde das sofortige Aus für einen Impfstoff bedeuten. In klinischen Studien, im Zulassungsverfahren, aber auch nach der Zulassung wird die Sicherheit kontinuierlich überprüft.

Prof. Florian Klein

Eine Impfstoff-Studie von AstraZeneca wurde zwischenzeitlich gestoppt. Viele Wissenschaftler haben diesen Schritt begrüßt. Sie auch?

Bei einer Teilnehmerin dieser Studie ist nach ersten Berichten eine seltene Entzündung des Rückenmarks aufgetreten. Wenn schwerwiegende Erkrankungen beobachtet werden ist es notwendig, diesem ganz genau nachzugehen: Besteht hier ein Zusammenhang mit der Impfung oder ist es Zufall? Oft ist im Vorhinein genau festgelegt, in welchen Situationen eine Unterbrechung der Studie erfolgen muss. Die Entscheidung wird meist durch eine unabhängige Experten-Kommission getroffen. Bei aller Dringlichkeit, was einen Impfstoff angeht: Bei der Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln können bestimmte Anforderungen nicht abgekürzt werden.

Nun wurde allerdings binnen weniger Wochen die Fortsetzung der Studie erlaubt.

Nach einer Prüfung der Unterlagen sind die Aufsichtsbehörden mehrerer Länder – Großbritannien, Brasilien und Südafrika – zu der Auffassung gelangt, dass die Studie fortgesetzt werden kann. Die Entscheidung kommt hier also nicht vom Hersteller des Impfstoffs. In den USA dauert die Untersuchung der Behörden aktuell noch an. Generell ist es jedoch nicht ungewöhnlich, dass Aufsichtsbehörden hier in recht kurzer Zeit eine Untersuchung durchführen können.

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Sollte ein zugelassener Impfstoff bereitstehen: Wie schnell kann er flächendeckend produziert werden?

Die Firmen bereiten die Produktion des Impfstoffs bereits parallel zu den Zulassungsstudien vor. Biontech hat in dieser Woche eine Produktionsstätte in Marburg übernommen, in der bis Mitte 2021 bis zu 250 Millionen Impfstoffdosen hergestellt werden können. Nach einer Zulassung wird ein Impfstoff nicht direkt für alle Menschen zur Verfügung stehen. Daher ist es sinnvoll, bereits jetzt die Verteilung und das Vorgehen bei noch begrenztem Impfstoff zu planen. Die Strategie und Priorisierung wird durch die Ständige Impfkommission erarbeitet und später auch vorgegeben.

Sollten Risikogruppen und Krankenhauspersonal zuerst bedient werden?

Für Deutschland ist das ein sinnvoller Ansatz, aber es gibt noch weitere Gruppen die einbezogen werden müssen, wie zum Beispiel Mitarbeiter in Pflegeheimen. Ziel ist es, mit dem verfügbaren Impfstoff den bestmöglichen Nutzen für die Bevölkerung zu erreichen. Es gilt, möglichst viele schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern.

Von Bioethikern wurde das Modell „Fair Priority“ entwickelt. Das geht etwa so: Zunächst sollen Länder bedient werden, in denen besonders viele Todesfälle verhindert werden können. Im zweiten Schritt sollen dramatische wirtschaftliche Schäden abgemildert werden. Und im dritten Schritt geht das Präparat an Länder mit hohen übertragungsraten. Wie stehen Sie hierzu?

Es ist ganz wichtig, dass man bereits jetzt Strategien diskutiert und festlegt, die eine gerechte globale Verteilung gewährleisten. „Fair Priority“ ist hier ein möglicher Ansatz. Die gerechte globale Verteilung ist im Detail eine hochkomplizierte Aufgabe. Wirtschaftliche Schäden gehen in vielen Ländern einher mit einem Versagen der Infrastruktur, Leid und Armut – all dies gilt es zu bedenken.

Eine mögliche „Impfplicht“ geistert immer wieder durch die öffentliche Debatte, wurde bislang aber nicht ernsthaft diskutiert. Halten Sie es für möglich, dass sich das im kommenden Jahr ändert?

Das halte ich für eher unwahrscheinlich und hoffe, dass durch eine gute Aufklärung die Bereitschaft zur Impfung in der Bevölkerung hoch ist. Es ist entscheidend, darüber aufzuklären, welch großen Nutzen wir durch die heutigen Impfungen ganz allgemein haben. Keine andere medizinische Maßnahme kann so effektiv Krankheiten verhindern und die Lebenserwartung erhöhen. Für eine Sars-CoV-2 Impfung muss die Wirksamkeit natürlich erst noch nachgewiesen werden.

Denken Sie, dass sich viele Personen gegen einen Impfung stellen würden?

In Deutschland gibt es einen kleinen Anteil – wenige Prozent – wirklicher Impfgegner. Die erreicht man mit Argumenten erfahrungsgemäß nur schwer oder gar nicht. Aber es gibt auch eine zweite, größere Gruppe an Impfskeptikern, bei denen es häufig fehlende oder falsche Information sind, die für Unsicherheit sorgen. Aufklärung und Transparenz sind hier besonders entscheidend. Auch gute Wissenschaftskommunikation ist wichtig. Dass diese möglich ist, konnten wir in diesem Jahr an vielen Stellen beobachten.

Lesen Sie hier Teil zwei des Interviews.