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Kölner Infektiologe„Wir brauchen die Maskenpflicht über geschlossene Bereiche hinaus“

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Restaurant voll Bause

Volle Straßen und Bars – wie hier in Köln zu sehen – sind gefährlich für die Ausbreitung des Coronavirus. Der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer fordert deswegen eine weite Maskenpflicht.

  1. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt auf den höchsten Wert seit Mai. In NRW wird immer deutlicher: Ein erheblicher Teil der Ansteckungen ist auf Urlauber zurückzuführen.
  2. Wir haben uns mit dem Kölner Professor Gerd Fätkenheuer über die aktuelle Lage, die Impfstoff-Entwicklung und den Schulstart unterhalten.
  3. Seiner Meinung nach ist die Situation so bedrohlich wie seit dem Frühjahr nicht mehr. Er fordert eine deutliche Ausweitung der Maskenpflicht.

Herr Fätkenheuer, mit 1226 täglichen Neuinfektionen pro Tag vermeldet das RKI den höchsten Stand seit Mai. Sie sprechen ungern von einer zweiten Welle. Wie würden Sie die Lage beschreiben?Gerd Fätkenheuer: Ich würde eher von zunehmendem Hochwasser sprechen. Es ist eine Situation, in der Infektionen auf breiter Fläche zunehmen. Das ist extrem beunruhigend, weil es relativ wenige Ansatzpunkte gibt, lokale Infektionsherde zu bekämpfen.

Ist Corona aktuell so bedrohlich wie seit dem Frühjahr nicht mehr?

Ich denke schon, dass das so ist. Seit rund drei Wochen beobachten wir einen Anstieg der Infektionszahlen, so dass mich die aktuellen Zahlen leider nicht überraschen. Und wir müssen alles dafür tun, dass dieser Trend wieder umgekehrt wird.

Das Erkennen von Infektionsherden, lokale Reaktionen und umsichtiges Verhalten. Diese Strategien zur Pandemie-Bekämpfung werden immer wieder genannt. Braucht es nun weitere?

Ich würde dafür plädieren, dass wir wieder zu einer verstärkten Maskenpflicht übergehen. Dass in geschlossenen Bereichen wie Supermärkten und Bahnen stärkere Kontrollen und Strafmaßnahmen angekündigt werden, ist aus meiner Sicht richtig. Doch ich denke, wir brauchen auch darüber hinaus eine Maskenpflicht – vor allem in stark belebten Zonen. Auf beliebten Plätzen, auch in Köln, herrscht ein viel zu dichtes Gedränge. Hier brauchen wir Masken, um Infektionen zu verhindern und um das Bewusstsein für die wirklich bedrohliche Situation wieder mehr zu schärfen. Ich hielte es für angemessen, überall eine Maskenpflicht einzuführen, wo sich mehrere Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, in der Öffentlichkeit treffen.

Die Maskenpflicht in Klassenräumen gilt nicht in allen Bundesländern. Halten Sie das infektiologisch für vertretbar?

Das Problem ist, dass wir nach wie vor nicht genau wissen, welche Rolle die Schulen bei der Übertragung des Virus spielen. Auch haben wir nur beschränkt Informationen darüber, wie effektiv eine Maskenpflicht an Schulen weitere Neuinfektionen verhindern kann. Die unterschiedliche Handhabung ist ein Ausdruck eines Mangels an zuverlässigen Informationen. Dass wir in Nordrhein-Westfalen in diesem Aspekt eher vorsichtig agieren, begrüße ich allerdings sehr.

In Nordrhein-Westfalen gab es pro 100000 Einwohner 13,2 Corona-Fälle innerhalb einer Woche, Tendenz stark steigend. Was sagt uns das?

Diese Zahl für sich sagt nicht besonders viel aus. Aber in Kombination mit den akut steigenden Neuinfektionen in Nordrhein-Westfalen, die bundesweit am höchsten liegen, wird deutlich, in welcher Lage wir uns befinden.

Etwa 25 Prozent der Neuinfektionen sind in Nordrhein-Westfalen auf Reiserückkehrer zurückzuführen.

Auf der einen Seite finde ich das schlimm, denn diese Gefahr war bekannt. Man wusste, dass es ein Risiko darstellt, in diesem Sommer in bestimmte Regionen zu reisen. Andererseits sehe ich darin einen Hoffnungsschimmer, was die Bekämpfung der Pandemie angeht. Denn getestete Reiserückkehrer können relativ einfach und sicher isoliert werden – und die hohe Reisetätigkeit hört nun erst einmal wieder auf. Dass es aber so weit kommen musste, ist traurig.

In Köln sind die Zahlen noch deutlicher: Die Stadt vermeldete vergangene Woche, die Hälfte der neu Infizierten seien Reiserückkehrer. Kam die Testpflicht zu spät?

Ich halte die Testpflicht für notwendig und richtig. Im Nachhinein, unter Berücksichtigung der hohen Infektionszahlen, wäre eine frühere Testpflicht sicher besser gewesen. Nun ist es aber sehr wichtig, dass wir sie haben.

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Auch Großveranstaltungen können zu Infektionen führen. Wie denken Sie über das geplante Konzert mit 13000 Zuschauern in Düsseldorf?

Die Motive sind nachvollziehbar. Ich habe großes Verständnis für die Situation von Künstlern und Kulturschaffenden, die in einem großen Ausmaß unter der Situation leiden. Dennoch denke ich nicht, dass heute der richtige Zeitpunkt für Veranstaltungen dieser Art ist.

Die Fußball-Bundesliga würde lieber heute als morgen wieder Fans begrüßen. Sind Stadionbesuche noch in diesem Jahr denkbar?

Dass eine baldige Rückkehr der Zuschauer nun politisch abgelehnt wurde, war aus medizinischer Sicht sehr sinnvoll. Stadien mit tausenden Fans sollten erst möglich sein, wenn Maßnahmen auch in anderen Bereichen mit gutem Gewissen gelockert werden. Der Fußball sollte keine Sondergenehmigung bekommen. Egal, wie gut das Hygienekonzept ist: Die Fans müssten ja erstmal zum Stadion kommen, meist in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die Forschung könnte die Lage verbessern. Wie bewerten Sie den nun zugelassenen russischen Impfstoff?

Die Zulassung ist rein politisch motiviert und der Bevölkerung gegenüber unverantwortlich. Die strengen Richtlinien für klinische Tests haben ihren Sinn. Wenn man den Status dieses Impfstoffs zugrundelegen würde, hätten schon viele weitere Impfstoffe zugelassen werden können. Dass dies nicht geschah, ist richtig. Hierzulande wäre ein solches Vorgehen kriminell.

Wann erwarten Sie, dass einer der Impfstoffe, die aktuell entwickelt werden, zuverlässig und flächendeckend zur Verfügung stehen wird?

Ich bin mit Prognosen dieser Art eher zurückhaltend. Klaus Cichutek ist hier deutlich weiter vorgeprescht und erwartet schon Ende des Jahres einen Impfstoff. Als Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, das zuständig ist für die Zulassung von Impfstoffen, ist er aus meiner Sicht einer der kompetentesten Experten in diesem Bereich. Ich würde seinem Urteil grundsätzlich vertrauen und halte es für nicht aus der Luft gegriffen. Aber: Es gibt weiterhin sehr viele Unwägbarkeiten, eine Impfstoff-Prognose ist zum heutigen Zeitpunkt eine bloße Wette. Ich hoffe sehr, dass Cichutek Recht behält.