Unser Corona-Expertenrat hat Leserinnen und Lesern durch die Pandemie geholfen – nun blickt er zurück. Ein Beitrag von Gerd Fätkenheuer.
Fünf Jahre Corona„Das Wort ‚Pandemie der Ungeimpften‘ war mindestens unglücklich“
Die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus und von Medikamenten war eine beispiellose Leistung. Mit den mRNA-Impfstoffen kam eine völlig neue Technologie zur Anwendung – und das in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Das grenzt an ein wissenschaftliches und medizinisches Wunder.
Natürlich wurde auch sehr viel Geld investiert, Forschungskapazitäten konzentriert, Genehmigungsverfahren beschleunigt. Und ein bisschen Glück war auch dabei: Zehn Jahre früher – und wir hätten keine Chance gehabt, weil die Arbeit an den mRNA-Impfstoffen damals noch nicht so weit war.
Ähnliches gilt für Covid-Medikamente. Bei dem Präparat Remdesivir konnten wir zum Beispiel darauf aufbauen, dass es testweise schon gegen Ebola eingesetzt worden war. Auch da kann ich mich nicht erinnern, dass ein Medikament jemals so schnell zugelassen worden wäre: fünf Monate vom ersten Bericht bis zum Einsatz am Patienten! Normalerweise dauert das etwa zehn Jahre.
Was wir daraus lernen können? Wenn Ethikkommissionen, Universitätsverwaltungen, Genehmigungsbehörden mitziehen, lassen sich die Prozesse entschlacken und beschleunigen, ohne dabei – und das muss betont werden – die Sicherheitsstandards zu senken.
Die Impfstoffe haben schwere Erkrankungen höchst wirksam verhindert. Beim Schutz vor Infektionen waren sie allerdings schwächer als angenommen. Das muss ich auch für mich selbst eingestehen. Impfgegner haben das aufgegriffen und argumentiert: Diese Impfstoffe, die schützen ja nicht. Das war eine Verdrehung der Tatsachen. Denn ihre erste und wichtigste Funktion haben die Impfstoffe hervorragend erfüllt: Erkrankungen zu verhindern oder ihren Verlauf zu mildern. Und das ist gelungen. Es war aber eine Fehleinschätzung, dass flächendeckende Impfungen die Pandemie vollständig gestoppt hätten.
Im Nachhinein muss man sagen: Hier sind in der öffentlichen und politischen Kommunikation falsche Akzente gesetzt worden, auch in der Auseinandersetzung mit den Impfgegnern. Das Wort „Pandemie der Ungeimpften“ war mindestens unglücklich. Ich glaube nach wie vor nicht an bewusste Fehlinformation der Bevölkerung. Aber objektiv sind hier Fehler passiert. Darüber sollten wir offen und ehrlich reden.
Das gilt auch für den Umgang mit den Erkrankten. Höchste Priorität hatte damals die Vermeidung von Übertragungen und weiteren Infektionen. Prinzipiell war das auch richtig. Dass selbst Schwerstkranke und Sterbende dann aber keinen Besuch mehr bekommen durften, nicht einmal von engsten Angehörigen, und wir sie buchstäblich im Tod alleingelassen haben, das hätte nicht passieren dürfen. Da haben wir den Infektionsschutz aus meiner Sicht zu weit getrieben – auf Kosten existenzieller menschlicher Bedürfnisse.
Das war im Grunde nicht vertretbar und darf sich nicht wiederholen.
Aufgezeichnet von Joachim Frank.