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Fünf Jahre CoronaKölner Experte erklärt, warum wir nicht komplett immun werden

Lesezeit 7 Minuten
HANDOUT - Diese von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) im Januar 2020 zur Verfügung gestellte Illustration zeigt das Coronavirus (2019-nCoV). Das Coronavirus hat seinen Namen von den Stacheln, manche nannten es auch China-Virus.

Das Coronavirus hat seinen Namen von den Stacheln, manche nannten es auch China-Virus.

Wie hoch ist das Risiko, sich mit Sars-CoV-2 anzustecken? Wie weit sind Wissenschaftler beim Erforschen von Long Covid? Antworten auf die wichtigsten Fragen zu Corona.

Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Fall in NRW hat sich der Horizont deutlich aufgehellt. Noch ist nicht alles gut und auch neue Pandemien könnten natürlich auf uns zukommen. Aber dennoch überwiegen die positiven Nachrichten aus der Forschung. Wie hoch ist das Risiko, heute an Corona zu versterben? Wie häufig entwickelt sich Long Covid? Welche Vorsichtsmaßnahmen sind noch nötig und warum werden wir nicht einfach komplett immun? Wir beantworten zusammen mit Jakob Malin, Infektiologe von der Uniklinik Köln die wichtigsten Fragen zu Covid-19.

Wie viele Menschen in NRW haben eine Infektion nachweislich bereits hinter sich?

Laut Zahlen des Robert Koch Instituts (RKI) haben sich bislang nachweislich 8.202.543 Menschen in NRW mit Corona infiziert. 34.622 Bürger Nordrhein-Westfalens sind demnach bislang an oder mit der Infektion verstorben. Das sind 0,4 Prozent der Erkrankten. Die 7-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 2,7 und damit unter dem Bundesdurchschnitt.

Porträt von Jakob Malin, Uniklinik Köln

Jakob Malin arbeitet als Infektiologe an der Uniklinik Köln.

Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr derzeit?

Dr. Jakob Malin, Infektiologe an der Uniklinik Köln, gibt Entwarnung. Das Risiko sich mit Covid zu infizieren sei derzeit niedrig. „Sars-CoV-2 spielt derzeit eine eher untergeordnete Rolle im Infektionsgeschehen. Wahrscheinlicher ist es aktuell, sich mit einem Influenzavirus die echte Grippe einzufangen“, sagt Malin im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. Damit ist die Situation hinsichtlich Covid weit entspannter als wir im Herbst vergangenen Jahres befürchtet hatten. Die Welle die man damals kommen sah, sei letztlich nicht eingetreten. „Es gibt zudem erfreulicherweise immer weniger Menschen, die an der Covid-19 Erkrankung versterben und auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen ist zurück gegangen“, so Malin. Was die Schwere der Erkrankung angeht, könne man Corona mittlerweile in den meisten Fällen mit einer Influenza vergleichen. „Das Virus hat sich in die Gruppe respiratorischer Atemwegserreger eingereiht.“ Ganz ähnlich wie bei Infektionen mit Influenza-Viren, besteht für Risikogruppen jedoch nach wie vor ein Risiko für schwere Infektionen und Lungenentzündungen. Bei Personen mit schwerer Immunschwäche können zudem sehr langwierige Krankheitsverläufe auftreten, welche eine antivirale Therapie erforderlich machen.

Wie hoch ist die Impfrate in NRW und sollte man sich noch impfen lassen?

Bei den Impfzahlen liegt NRW auf Platz eins – was natürlich daran liegt, dass in diesem Bundesland auch die meisten Menschen leben. Fast 15 Millionen Menschen bekamen hier eine Erstimpfung. Damit gelten nach Zahlen des RKI von 2024 fast 82 Prozent der Gesamtbevölkerung als grundimmunisiert. Ein großer Erfolg, der laut Malin maßgeblich dazu beigetragen haben dürfte, dass die Krankheit ihren Schrecken verlor. Derzeit empfiehlt das RKI einen jährlichen Booster, also eine Auffrischimpfung nur für Menschen, die ihren 60. Geburtstag schon hinter sich haben sowie für Risikogruppen. „Bei Risikogruppen kann es nach wie vor zu schweren Infektionen kommen. Ein Booster schützt vor schweren Krankheitsverläufen“, so Malin. Kinder und Jugendliche, die keine Grunderkrankungen haben und nicht in Einrichtungen mit erhöhtem Risiko wohnen oder arbeiten, müssen laut RKI derzeit gar nicht geimpft werden. Ungeimpften, die mutmaßlich schon infiziert waren, empfiehlt das RKI eine Erstimpfung.

Warum macht die Impfung uns eigentlich nicht immun?

Das liegt zunächst an der Wandlungsfähigkeit des Virus. Es bleibt also nicht wie es ist, sondern mutiert und kann von den auf die frühere Version spezialisierten Antikörper-Truppen quasi nicht mehr angegriffen werden. „Gerade weil die Immunität der Bevölkerung steigt, steht Sars-CoV-2 unter einem hohen Mutationsdruck, es passt sich immer weiter an.“ Die Fähigkeit das Immunsystem zu umgehen ist allerdings kein Spezifikum des Corona-Virus‘. Könige der Verwandlung sind beispielsweise die Rhinoviren, sagt Malin: „Sie können das Immunsystem richtiggehend veräppeln. Das ermöglicht ihnen sogar, für mehrere Infektionen nacheinander zu sorgen. Wer Pech hat, steckt sich nach der Genesung bei einem Familienmitglied mit demselben Virus wieder an.“ Bei Corona beobachtet man derlei Pingpong-Infektionen in der Regel nicht.

Forscher haben aber noch eine andere Vermutung, warum Corona-Impfung und Infektion uns nicht dauerhaft immun machen. Es könnte daran liegen, dass das Immunsystem im Falle von Corona keine langlebigen Gedächtniszellen ausbildet, die nach bestimmten Infektionen in unserem Knochenmark schlummern, um bei einer erneuten Infektion auch nach Jahren als spezifische Abwehrtruppe bereit zu stehen. Forscher in Baltimore und Atlanta haben das Knochenmark von Infizierten und Geimpften untersucht und in beiden Fällen keine Langzeitgedächtniszellen gefunden. Das könnte erklären, warum eine Immunität nur für einige Monate gegeben ist – solange die spezifischen Antikörper im Blut ohne Nachschub aus dem Knochenmark überleben.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Post Covid zu entwickeln?

Eine Studie aus Deutschland besagt, dass gut sechs Prozent der Infizierten neun bis zwölf Monate nach der Infektion noch über Beschwerden klagen. In eine ähnliche Richtung weisen routinemäßig erhobene Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen. Es zeigt sich, dass die Wahrscheinlichkeit von Long-Covid getroffen zu werden nach einer schweren Akuterkrankung mit Klinikaufenthalt erhöht ist. Langwierige Erschöpfungszustände sind allerdings kein Alleinstellungsmerkmal von Sars-CoV-2. Auch andere Virus-Erkrankungen können ein solches Fatigue-Syndrom nach sich ziehen. „Für beispielsweise die Influenza allerdings wurde das nie systematisch erfasst“, sagt Malin. Viele Patienten seien hier vor Corona unter dem Radar gelaufen. Durch die große Menge an Infektionen während der Pandemie stieg Malin zu Folge auch die Zahl der Syndrome so stark, dass die Krankheit plötzlich auffiel und in den Blickpunkt geriet. Malin hat aber auch hier gute Nachrichten. „Studien deuten darauf hin, dass die heute vorherrschenden Omikron-Varianten möglicherweise weniger häufig Long-Covid-Beschwerden nach sich ziehen als frühere Varianten.“

Gibt es Fortschritte in der Forschung zu Post Covid?

Die gute Nachricht: Die Zahl der Initiativen, die die Krankheit erforschen, steige, sagt Malin. Dass man dennoch keinen wirklichen Forschungsdurchbruch verzeichne, liege unter anderem daran, dass sich die Krankheit schwer fassen lasse. „Wir haben nach wie vor keinen Biomarker zur Diagnose. Wir haben sehr subjektive Symptome, wir sehen zudem eine sehr heterogene Gruppe an Patienten“, sagt Malin. Klinische Studien, bei welchen es auf Messbarkeiten ankomme, ließen sich unter diesen Bedingungen schwer durchführen. Die Versorgungsrealität für Betroffene ist gleichzeitig leider noch sehr unbefriedigend. Es fehlen nach wie vor Evidenz-basierte und einheitliche Therapieansätze sowie adäquate Versorgungsstrukturen. Betroffene fühlen sich daher häufig alleine gelassen und müssen medizinische Hilfe an vielen verschiedenen Stellen suchen. Hier ist sicherlich auch die Politik gefragt entsprechende Vergütungsmöglichkeiten für medizinische Einrichtungen zu etablieren, welche sich der Betreuung von betroffenen Personen widmen. Post COVID ist eine große Herausforderung für unsere Patienten wie auch für uns Ärzte.

Wie kann man dennoch helfen?

Einen wichtigen Schritt sieht Malin darin, Long Covid als ganzheitliche Krankheit anzuerkennen. „Wir sollten da nichts in Schubladen einsortieren: Hier die körperlichen Krankheiten mit dem Biomarker, dort die psychiatrischen. Das eine bedingt immer das andere“, so Malin. Auch in der Therapie müsse man individuell helfen. „In manchen Fällen sei Atemtraining und Konditionsaufbau sinnvoll. In anderen könne Entlastung, beispielsweise am Arbeitsplatz weiterhelfen. Energiemanagement könnte man das zusammenfassend nennen.“ An einigen Standorten gibt inzwischen auch physio- und ergotherapeutische Konzepte für Betroffene, die helfen sollen die körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit wieder zu steigern. Empfohlen werde häufig auch eine psychologische Betreuung. Bei manchen Patienten ließe sich auch eine Depression oder eine andere Erkrankung diagnostizieren. „Aus meiner Erfahrung können Antidepressiva für manche Patienten hilfreich sein, wenn depressive Symptome vorliegen und die Therapie mit einer entsprechenden psychotherapeutischen Begleitung einhergeht.“

Ist das Gesundheitssystem heute auf eine Pandemie besser vorbereitet?

Einige Maßnahmen zur Früherkennung und Bekämpfung möglicher Pandemien hat man in der Tat getroffen. Beispielsweise errichtete die WHO 2021 ein neues Pandemiezentrum in Berlin. Auch ans Geld hat jemand gedacht: Bei der Weltbank soll ein globaler Pandemiefonds ärmeren Ländern helfen, ihre Labore besser auszustatten und ausreichend Personal auszubilden. Auch juristisch hat man aus 2020 gelernt. Im Juni 2024 wurden die internationalen Gesundheitsvorschriften um eine pandemische Notlage ergänzt. Zudem verständigte man sich darauf, ein globales Abkommen zur Reaktion auf künftige Gesundheitskrisen auszuarbeiten. Bisher konnten sich die Mitgliedsstaaten der WHO aber nicht auf einen Entwurf einigen.

Malin sieht einen Fortschritt vor allem darin, dass man bei der nächsten Pandemie vorgenehmigte Protokolle für klinische Studien in den Schubladen liegen hat. Einige langwierige Wege der Bürokratie könnte man sich auf diese Weise sparen, mögliche Medikamente könnten so zügiger entwickelt werden und auf den Markt kommen. Malin sagt: „Wir arbeiten auf wissenschaftlicher Ebene intensiv daran, auf eine nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein.“