Wegen Delta-VarianteWird im Herbst eine dritte Corona-Impfung notwendig?
Köln – Der Impf-Turbo scheint auch in Deutschland endlich gezündet zu sein. „Bis Ende Juli wird jeder Erwachsene in Deutschland, der geimpft werden will, auch eine erste Impfung erhalten haben können; wenn die Lieferungen so weitergehen, vielleicht noch ein Stück früher“, kündigte jedenfalls Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jüngst an. Doch zunehmend steht die Frage im Raum, ob Deutschland nach abgeschlossener zweiter Impfung aller impfwilligen Bundesbürger und Bundesbürgerinnen tatsächlich am Ziel ist. Oder ob sich der Turbo-Jet nicht doch in einen Langstreckenflug verwandeln müsste. Denn vor allem angesichts der weiter um sich greifenden hochansteckenden Delta-Variante des Coronavirus werden Warnungen lauter, bestimmte Personengruppen bereits im Herbst ein drittes Mal zu impfen. Fünf Fragen und Antworten, was wir über den Impfschutz der Covid-Vakzine bereits wissen – und was wir noch nicht wissen.
Wie gut schützen die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen die Delta-Variante?
Die Delta-Variante des Coronavirus ist ansteckender und gefährlicher als vorherige Virusmutationen. Konkrete Zahlen zur Wirksamkeit gibt es bislang nur zu den Impfstoffen von Biontech, Astrazeneca und Moderna: So sind einer Datenanalyse der britischen Gesundheitsbehörde PHE zufolge Personen, die mit Biontech, Moderna oder AstraZeneca bereits vollständig geimpft sind, sehr gut gegen schwere Krankheitsverläufe geschützt. Verglichen mit Ungeimpften ist das Risiko für eine Krankenhauseinweisung demnach um jeweils mehr als 90 Prozent verringert – jedoch erst nach der zweiten Impfdosis. Allerdings wirken die Impfstoffe gegen die Delta-Variante weniger gut als gegen andere Virusvarianten.
Bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna liegt der Schutz vor einer symptomatischen Erkrankung bei 88 Prozent. Gegen die Alpha-Variante hatten die Vakzine noch eine Wirksamkeit von 93 Prozent erreicht. Der Vektorimpfstoff von Astrazeneca schützt zu 60 Prozent vor einer symptomatischen Infektion mit der Delta-Variante und liegt damit ebenfalls unter der Schutzwirkung von 66 Prozent gegen symptomatische B.1.1.7-Infektionen. Bei dem Vakzin von Johnson&Johnson, bei dem nur eine Impfung für den vollständigen Schutz notwendig ist, ist die Datenlage noch unklar.
Wie lange hält der Immunschutz nach vollständiger Impfung an?
Eine Masernimpfung hält ein Leben lang, der Impfschutz gegen Tetanus muss hingegen etwa alle zehn Jahre aufgefrischt werden. Doch wie verhält es sich bei den Corona-Impfstoffen? Die Antwort lautet derzeit: Das wissen wir (noch) nicht. Das Virus ist zu neu – und die Impfstoffe erst recht. In Deutschland hat die Impfkampagne erst Ende Dezember 2020 begonnen. Auf verlässliche Daten werden wir also noch warten müssen.
Erste gute Nachrichten liefert jedoch eine Studie aus den USA. Im Fachblatt „Nature“ berichten die US-Forscher, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer offenbar eine relativ langanhaltende starke Immunreaktion auslöst. Dass die mRNA-Impfungen mindestens sechs Monate lang zuverlässig vor der Erkrankung Covid-19 schützen, war schon zuvor bekannt. Unklar dagegen ist, wie lange der Schutz darüber hinaus anhält. Die Studie legt nun einen Immunschutz weit über diesen Zeitraum hinaus nahe. Wenn sich diese Ergebnisse bestätigen, würde das für Biontech-Geimpfte bedeuten, dass keine dritte Booster-Impfung nötig wäre. Sicherheit gibt es jedoch noch keineswegs, auch Daten über die langfristige Wirksamkeit gegen die Delta-Variante fehlen noch.
Für die Schutzwirkung des Vektorimpfstoffs von Astrazeneca berichteten Forschende der Oxford Universität, dass ein Zeitabstand von mehreren Monaten zwischen der ersten und zweiten Dosis den Immunschutz offenbar deutlich erhöht. Die Immunreaktion falle demnach stärker aus, wenn der Abstand bis zu 45 Wochen betrage. Eine mit einem Abstand von sechs Monaten verabreichte dritte Dosis führe ebenfalls zu einem „erheblichen Anstieg“ an Antikörpern und fördere die Immunreaktion – auch gegen Virusvarianten. Die vorveröffentlichten Ergebnisse müssen allerdings noch von anderen Forschern begutachtet werden. Hier wiederum gilt: Bestätigen sich die Ergebnisse, könnte eine dritte Booster-Impfung für Astrazeneca-Geimpfte empfehlenswert sein. Gegebenenfalls auch mit einem mRNA-Impfstoff (siehe Frage vier). Doch auch hier ist wichtig: Das ist noch keinesfalls sicher.
Was ist mit Menschen mit schwachem Immunsystem?
Nach Meinung vieler Experten brauchen Hochbetagte und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem bereits in diesem Herbst eine dritte Impfdosis. Für jüngere und gesunde Menschen seien Auffrischungsimpfungen dagegen noch kein Thema. „Wir müssen die nächste Phase beim Impfen jetzt schon andenken“, sagt Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité. „Ich gehe davon aus, dass wir bei älteren Menschen, die zu Beginn dieses Jahres ihre Erst- und Zweitimpfung erhalten haben, eine nachlassende Immunantwort sehen werden.“ Sander hält es für möglich, dass es ohne Auffrischungsimpfung im Winterhalbjahr zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen dadurch zu zusätzlichen Infektionen kommen könnte, „einem gewissen JoJo-Effekt“, ergänzt er. Sander hält auch ein Nachdenken über Booster für Kontaktpersonen dieser Risikogruppen für sinnvoll. „Zum Beispiel für Teile des Gesundheitspersonals.“
Vom Prinzip her sieht das Thomas Mertens als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission für Risikogruppen ähnlich. Er formuliert es jedoch vorsichtiger: „Die Daten dazu, wer wann erneut geimpft werden sollte, sind noch etwas unsicher“, sagt er. „Wir erwarten mehr Anhaltspunkte zur Dauer der Immunantwort nach einer Impfung bis zum August.“
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Verlässliche Daten gebe es bisher nur für einige Gruppen von Menschen mit erheblicher Immunsuppression. Sie entsteht zum Beispiel, wenn das eigene Immunsystem bewusst durch Medikamente unterdrückt wird – wie nach einer Organtransplantation. „Diese Daten zeigen in der Tat, dass die Immunantwort in Abhängigkeit zur Immunsuppression bei Organtransplantierten viel schlechter sein kann. Sie liegt dann nur noch bei 50 Prozent“, berichtet Mertens. Normal sind nach zwei Impfungen sonst über 90 Prozent. Auch bei Rheuma- und Krebspatienten zeigten sich Defizite bei der Immunantwort. „Bei einem solchen Mangel an Immunschutz wäre relativ kurzfristig eine Nachimpfung zu empfehlen“, sagt auch Mertens. „Dafür müssen wir aber erst ganz genau die immunsupprimierten Gruppen mit dem höchsten Risiko definieren.“ Es wäre ein Prinzip wie bei den Priorisierungen zum Impfstart.
Welcher Impfstoff kommt für die sogenannte Booster-Impfung in Frage?
Für Booster müsste man das Rad wahrscheinlich gar nicht neu erfinden, schätzen Experten. Sander geht davon aus, dass eine dritte Impfung mit bekannten und hier zugelassenen Impfstoffen einen sehr guten Auffrischungseffekt haben werde. „Es kann sein, dass bestimmte Kombinationen dann noch einmal einen Vorteil bringen.“ Vermutlich werde man die Vektorimpfstoffe wie den von Astrazeneca nach zweimaliger Impfung nicht noch ein drittes Mal geben, schätzt der Infektionsimmunologe Sander. „Denn es baut sich auch eine sogenannte Vektor-Immunität auf, die die Impfwirkung abschwächt. Ich glaube, dass wir hier dann mit einem mRNA-Impfstoff wie Biontech/Pfizer oder Moderna kommen sollten.“ Und auch umgekehrt. Die besten Kombinationen müssten aber noch in Studien gezeigt werden. Booster-Impfungen kämen häufig auch mit rund der Hälfte der Dosis aus.
Für eine Update-Impfung ist nach Sanders Kenntnis eine Zulassung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA notwendig. Dafür reichten aber kleinere Studien, um die bestehende Zulassung für einen Impfstoff zu erweitern. Verteilungskämpfe befürchtet er nicht. „Ich denke, es wird über die Erst- und Zweitimpfungen hinaus im Herbst Impfstoff-Reserven geben. Die Auffrischung würde dann parallel zum Lückenschließen bei den Erst- und Zweitimpfungen laufen.“
Gibt es schon einen Beschluss zu einer möglichen dritten Impfung?
Nein. Angesichts der sich ausbreitenden Delta-Variante empfehlen derzeit zudem viele Experten, zunächst einen möglichst breiten Teil der Bevölkerung erst- und zweitzuimpfen bevor bereits über eine mögliche dritte Impfung gesprochen wird. Zudem gibt es derzeit noch zu viele offene Fragen – unter anderem, wie sich die Impfstoffe im Bezug auf zukünftige mögliche Virusmutationen verhalten werden. Wie es also im Herbst und darüber hinaus mit der Impfkampagne weitergehen wird, lässt sich derzeit noch nicht sagen. (mit dpa, afp)