Zwei Psychotherapeuten erklären, wie wir in Zeiten vieler schlechter Nachrichten psychisch gesund bleiben können.
„Wir sind platt“So kann man in Krisenzeiten schlechte Nachrichten konsumieren
Ukraine-Krieg, Klimakrise, Flutkatastrophe, Coronapandemie – und jetzt der Angriff der Palästinenser-Organisation Hamas auf Israel: Die Welt ist voller Probleme. Von schlechten Nachrichten umgeben zu sein, kann sich auf Dauer negativ auf die Psyche des Menschen auswirken.
Doch wie geht man damit um, wenn die schlechten Nachrichten einem psychisch zusetzen, man aber trotzdem informiert bleiben möchte? Und was kann man tun, wenn eine Nachricht oder ein Bild einen nicht mehr loslässt?
Gerd Höhner, Psychotherapeut und Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, und Franca Cerutti, Psychotherapeutin, Podcasterin und Autorin, erklären, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen können. Während Höhner sich in seiner Laufbahn hauptsächlich mit der Tiefenpsychologie beschäftigt hat, fokussiert sich Cerutti auf Verhaltenstherapie.
Was macht das Hören schlechter Nachrichten mit der Psyche?
„Wir reagieren auf die Flut von schlechten Nachrichten mit Stressempfinden, und gleichzeitig Hilflosigkeit“, erklärt die Psychotherapeutin Franca Cerutti. Da wir in „real beängstigenden Zeiten“ leben, seien ängstliche Reaktionen angemessen, so Cerutti.
Das Problem sei aber, dass wir auf vieles gar keinen Einfluss haben. „Viele Menschen schlafen schlecht, sind gereizt oder entwickeln Depressionen oder Angststörungen“, so die Autorin.
Was macht der ständige Krisenmodus mit uns?
Der Diplom-Psychologe Gerd Höhner erklärt, warum wir den Eindruck haben, dass wir von einer Krise in die nächste stolpern: „Man muss davon ausgehen, dass wir alle nur begrenzt Kraft haben, um die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen.“ Nach der Corona-Pandemie, dem Überfall auf die Ukraine und dem Dauerkrisenzustand durch die Klimakrise sei „unser Reservoir an Bewältigungskraft irgendwann aufgebraucht“.
Die Folge: „Wir sind platt“, so Höhner, und „können keine Zuversicht mehr aufbringen“. Dieses Gefühl äußere sich in Symptomen wie Verzweiflung, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und Angst. Alles Merkmale einer Depression, so der Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW.
Cerutti weist auf eine weitere Entwicklung hin: Das „Phänomen der Mitgefühlserschöpfung“ beschreibe eine Notwehr der Psyche, bei der man sich nach einer langen Phase der Empathie und des Mitgefühls abgestumpft fühle. Man habe dann nicht mehr die Fähigkeit, „auf die Not von Menschen emotional zu reagieren“, so Cerutti. Sie habe den Eindruck, dass es inzwischen sehr vielen Menschen so gehe.
Wie kann ich mit dem Konsum schlechter Nachrichten umgehen?
Cerutti empfiehlt, sich ein Zeitlimit für den Nachrichtenkonsum zu setzen. Außerdem sollte man sich auf ein bis zwei seriöse Quellen verlassen und vor allem vor dem Schlafengehen „nachrichtenfreie Puffer“ einplanen, in denen man keine Nachrichten mehr konsumiert.
Man dürfe sich aber nicht aus dem Wunsch heraus, informiert zu sein, „psychisch selbst ein Beinchen stellen“ und sich seiner Kraft berauben. „Ich möchte unbedingt zur Selbstfürsorge ermutigen“, appelliert Cerutti. Kindernachrichten können ein Weg sein, das Wesentliche ohne emotionale Schärfe zu erfahren, erklärt die Psychotherapeutin.
Der Psychologe und Psychotherapeut Höhner rät davon ab, sich in einer Überforderungssituation völlig von der Wirklichkeit abzuschotten oder in Ersatzwelten zu flüchten. Vielmehr sollte man sich bewusst machen, dass die Situation einen belastet und beängstigt. Man solle aber nicht die Bewältigungsstrategie wählen, sich mit gegensätzlichen Dingen zu beschäftigen und beispielsweise den ganzen Tag nur auf Instagram oder TikTok zu verbringen und „den Kopf in den Sand zu stecken“.
Das sei „psychisch nicht gesund“, die Wirklichkeit komme „mit doppelter Wucht zurück“, verdeutlicht Höhner. Um Herausforderungen psychisch gesund zu meistern, müsse man sich der Realität stellen und dürfe sie nicht verdrängen, vermeiden oder verleugnen, so Höhner. Wie man sich das Leben leichter machen kann? Man solle sich sagen: Das Leben ist gerade schwierig und ich muss mich dieser Herausforderung stellen.
Denn Verdrängung führe spätestens dann dazu, dass man mit der Realität konfrontiert werde, wenn man das Haus verlasse. Zum Beispiel, wenn man dann feststellt, dass die Milch im Supermarkt durch die Inflation um 30 Cent teurer geworden ist. Verdrängung sei „vergeudete Kraft“.
Was kann ich tun, wenn ich ein Bild oder Video gesehen habe, dessen Inhalt mich nicht loslässt?
Bilder von zerstörten Häusern, Videos von entführten und getöteten Zivilisten: Gerade in sozialen Netzwerken verbreiten sich explizite und unzensierte Inhalte wie ein Lauffeuer. Aber auch redaktionell aufbereitete Nachrichten aus Kriegsgebieten sind oft erschreckend.
Der Psychologe Gerd Höhner empfiehlt, den Kontakt zu vertrauten Menschen im sozialen Umfeld zu suchen. Die Hilfe bestehe darin, „dass man mit seinem Schrecken und seiner Angst nicht allein ist“, so Höhner. Wenn das nicht hilft, sollte man sich damit beschäftigen, warum einen die Nachricht nicht loslässt. Oft steckten neurotische Gründe im Sinne einer psychischen Störung dahinter, so der Präsident der Psychotherapeutenkammer NRW. Diese könnten dann zum Beispiel im Rahmen einer Therapie bearbeitet werden.
Cerutti hat dazu auch einen Tipp: Man solle die belastende Szene vor dem inneren Auge ablaufen lassen und sich vorstellen, eine Fernbedienung in die Hand zu nehmen, um „den Film bewusst abzuschalten“.
„Außerdem helfen Achtsamkeitsübungen bei einer sicheren Verortung im Hier und Jetzt, sodass das Gehirn versteht: Ich bin im Moment nicht in Gefahr“, so die Autorin und Podcasterin. Gleichzeitig könne ein schlimmes Bild oder ein tiefer Eindruck auch ein „guter Motor“ sein, um aktiv zu werden und etwas dagegen zu tun, so Cerutti.
Was kann man gegen Doomscrolling tun?
Doomscrolling bezeichnet ein relativ neues Phänomen des Nachrichtenkonsums beziehungsweise des Konsums sozialer Medien. Der Begriff setzt sich aus den englischen Begriffen „doom“ (Verderben) und „scrolling“ – der Maus- oder Fingerbewegung bei der Computer- oder Handy-Nutzung – zusammen. Beim Doomscrolling verfolgen die Betroffenen ständig die Nachrichtenlage und Breaking News, beschreiben ihren Medienkonsum aber als emotional zehrend.
„Wenn der Konsum von Nachrichten, News etc. einen großen Teil des Lebens ausmacht, dann hat dieser Mensch ein Problem, dessen Hintergrund ihm aber nicht bewusst ist“, meint Höhner. Das sei belastend, weil es eine Form der Unfreiheit darstelle. „Das geht dann auch in Richtung einer psychischen Störung und kann zwanghafte Züge annehmen“, so der Psychologe. Ein solches Problem äußere sich etwa in dem Gefühl, nicht mehr über das eigene Leben verfügen zu können.
Was kann ich für mich selbst tun, wenn ich Angehörige oder Bekannte in einem Krisengebiet habe?
Cerutti empfiehlt: „Es ist wichtig, dass Angehörige in diesen extremen Situationen zusammenrücken und sich gegenseitig stützen.“ Die Psychotherapeutin räumt ein, dass es in schlimmen Situationen „nahezu nichts gibt, was den Schmerz und die Angst lindern könnte“. In extrem schlimmen Situationen dürfe es einem auch psychisch extrem schlecht gehen, hält Cerutti fest.
Der Psychotherapeut Höhner kann Menschen in einer solchen Extremsituation, in der man zum Beispiel nicht weiß, ob Angehörige noch leben, nur eines raten: „Sich nicht abzuschotten und zurückzuziehen, den Kontakt zu seinen Mitmenschen zu halten und nicht in Parallelwelten die Wirklichkeit verdrängen“. Das Wichtigste in solchen Extremsituationen sei, sich nicht erschöpft hinzusetzen und innerlich zusammenzubrechen, so Höhner.
Sollte man mit Kindern über belastende Nachrichten aus der Welt sprechen?
Höhner erklärt, dass sich die meisten Erwachsenen falsche Vorstellungen darüber haben, was Kinder alles aufnehmen. „Kinder bekommen alles mit, was über die Medien wahrnehmbar ist“, so der Psychologe. Aufgabe der Erwachsenen und insbesondere der Eltern sei es dann, dem Thema nicht auszuweichen, sondern mit ihren Kindern im Gespräch zu bleiben. Ansonsten könnte es die Situation verschlimmern, so der Psychotherapeut.
Ein Gespräch zu suchen, empfiehlt auch Cerutti. Das könne helfen, erstmal zu erfassen, auf welchem Kenntnisstand ein Kind selbst ist. „Es braucht Fingerspitzengefühle, die Kinder nicht mit den eigenen Sorgen anzustecken, die sie bis dahin vielleicht gar nicht hatten“, betont die Podcasterin. Außerdem empfiehlt sie Kindernachrichten, um Kinder vor allzu schlimmen Bildern zu schützen.