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Anleitung in 5 SchrittenWas uns wirklich einsam sein lässt – und was dagegen hilft

Lesezeit 6 Minuten
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Sich einsam zu fühlen, ist für die meisten Menschen unangenehm. Dabei gibt es Wege, besser mit der negativen Emotion umzugehen (Symbolfoto).

  1. Einsamkeit ist für viele Menschen ein unangenehmes Gefühl, vor dem sie lieber davon laufen.
  2. Und es sind bei weitem nicht nur ältere Menschen, die sich häufig alleine fühlen. Das zeigt etwa das BBC Lonliness Experiment.
  3. Die Psychologin Christine Brähler erklärt, warum das Gefühl auch Chancen birgt und wie wir lernen, besser damit umzugehen.

Köln – Wir können alleine sein, es genießen, uns darüber freuen. Und wir können uns in einer Gruppe plötzlich einsam fühlen. Jeder Mensch hat diese Emotion in seinem Leben sehr wahrscheinlich schon kennengelernt. Es ist kein Phänomen, das allein Senioren betrifft. Die Auswertung des BBC Loneliness Experiments zeigt, dass sich junge Menschen häufiger einsam fühlen als ältere. Vor allem junge Männer. Das liegt laut dem Forscherteam der Universitäten Manchester, Exeter und Brunel unter anderem an den Ansprüchen, die Menschen in den verschiedenen Altersgruppen an soziale Beziehungen haben.

Einsamkeit auszuhalten ist nicht angenehm. Einige möchten die negative Emotion am liebsten aus ihrem Leben aussperren oder vor ihr weglaufen. Dazu beigetragen habe auch, dass Einsamkeit sprachlich zu einer Volkskrankheit hochstilisiert wurde, meint die Psychologin Christine Brähler. Sie hat sich intensiv mit dem Gefühl beschäftigt und das Buch „Neue Wege aus der Einsamkeit“ geschrieben. Wie über Einsamkeit gesprochen werde, habe einen großen Einfluss: der Begriff Volkskrankheit führe zu mehr Angst und mehr Stress – das wirke sich negativ auf die Gesundheit aus. „Und es führt dazu, dass wir Einsamkeit um jeden Preis vermeiden wollen.“ Doch sie kann auch Chancen bergen und es gibt Wege, wie man besser mit ihr zurechtkommt, erklärt die Psychologin.

Einsamkeit ist der Hunger nach Verbundenheit

„Einsamkeit ist ein Hunger nach Verbundenheit, den wir als soziale Wesen haben – wann wir uns unverbunden fühlen, hängt von vielen Faktoren ab.“ Zwar ist der typische einsame Mensch eher introvertiert und findet es herausfordernd, mit belastenden Emotionen umzugehen. Das zeigen auch die Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse (Buecker, S., Maes, M., Denissen, J. J., & Luhmann, M., 2020). Doch wann sich ein Mensch einsam fühle, sei sehr individuell. Schließlich handle es sich um ein sehr subjektives Erleben. Anderssein und Scham seien allerdings zwei Hauptfaktoren.

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Christine Brähler.

„Wenn ich mich unter Menschen einsam fühle, kann es dadurch entstehen, dass ich mich nicht verstanden, nicht gesehen oder akzeptiert fühle. Oder, wenn ich einen Teil von mir verstecke, aus Angst deswegen nicht mehr gemocht zu werden.“ Dies werde noch verstärkt, wenn sich jemand dafür schämt, einsam zu sein. Auch wer sich zu ungebildet oder zu unattraktiv fühle und sich dafür schämt, ist häufig einsam. „Scham und Einsamkeit gehen oft nebeneinander her und machen das Gefühl chronischer“, sagt die Expertin.

Durch die Krise Chancen entdecken

Wer sich immer so fühlt, kann darunter nicht nur psychisch, sondern auch physisch leiden. Die Befunde einer Studie (Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T., & Stephenson, D., 2015) zeigen, dass Menschen, die sich über einen langen Zeitraum einsam fühlen, eine höhere Sterblichkeit haben, vergleichbar mit dem Rauchen von 15 Zigaretten am Tag. Der Grund dafür: Höhere Entzündungswerte, die das Immunsystem schwächen und die Personen dadurch anfälliger für Krankheiten machen. „Dieser Effekt tritt aber immer bei chronischem Stress auf. Er zeigt uns das Bedürfnis von Nähe, Verbundenheit und Berührung“, erklärt Brähler.

Wie man mit Einsamkeit umgehen kann, hänge auch davon ab, wann und wie lange ein Mensch dieses Gefühl erlebe. „Wichtig ist, nicht mit Angst auf Einsamkeit zu reagieren, sondern zu lernen, mit dieser negativen Emotion umzugehen.“ Sie kann sogar eine Chance sein, sagt Brähler. Manchmal brauche es im Leben auch Krisen, um eine Innenschau zu betreiben. Sich wirklich mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu beschäftigen. Dazu rät die Psychologin grundsätzlich, wenn man sich einsam fühlt.

Selbstmitgefühl als gutes Mittel bei Einsamkeit

„Mit sich selbst liebevoller umzugehen, Beziehungen und Freundschaften zu hinterfragen, dass sehe ich als Chance von Einsamkeit. Sich verletzlich zu fühlen, wenn man einsam ist, kann wichtig sein, um einen Rückzug in uns selbst zu ermöglichen“, erklärt Brähler. So könne es eine Phase sei, in der man sich weiterentwickeln kann.

Dafür könne Selbstmitgefühl ein probates Mittel sein. Es bedeute, sich so zu behandeln, wie es eine perfekte Freundin oder ein perfekter Freund machen würden. Zu verstehen, dass keine andere Person für diese Emotion verantwortlich ist oder sie stillen kann, sondern sich selbst als wertvoll zu betrachten und sich selbst unterstützen zu können.

Zum Weiterlesen

Dr. Christine Brähler gibt in ihrem Buch „Neue Wege aus der Einsamkeit. Mit Selbstmitgefühl zu mehr Verbundenheit finden” zahlreiche Tipps, um besser mit Einsamkeit umgehen zu können. Es ist im Irisiana Verlag erschienen und kostet 18 Euro.

Wer sich einsam fühlt, dem können folgende Punkte helfen:

Schritt 1

„Wenn ich mich einsam fühle, kann ich anerkennen, dass es eine ganz normale menschliche Empfindung ist“, sagt Brähler. Es sei gut, sich selbst für diese negative Emotion Verständnis zu zeigen und sich selbst zu sagen: „Es ist ok, dass du dich so fühlst und es ist verständlich, dass du dich in der neuen Stadt einsam fühlst.“

Schritt 2

Dem Gefühl die Erlaubnis geben, da zu sein – es zulassen, die Empfindung im Körper wahrzunehmen. Nicht vor der Emotion weglaufen zu wollen.

Schritt 3

„Es kann uns helfen, uns eine Person vorzustellen, die sich auch schon mal einsam gefühlt hat, um uns verbunden zu fühlen und zu wissen, dass wir mit diesem Gefühl nicht alleine sind.“ Das könne auch eine berühmte Person sein, von der wir das gelesen haben.

Schritt 4

Es sei wichtig, liebevoll mit sich umzugehen und sich zu fragen, was man brauche. Eine Frage des Selbstmitgefühls ist: „Was brauche ich in diesem Moment wirklich, damit es mir nachhaltig so gut wie möglich geht?“, sagt Brähler. „Für manche Menschen ist es auch hilfreich, sich eine ideale Freundin oder einen Freund vorzustellen und sich zu fragen, was man gerne von jemand anderem bekommen würde: Trost, Ermutigung, eine Umarmung, tröstende oder andere verständnisvolle Worte.“

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Schritt 5

Wenn man sich mit sich selbst beschäftigt hat, könne es gut sein zu schauen, welche Beziehungen wirklich gut tun und welche eher das Gefühl von Einsamkeit hervorrufen. Sich zu fragen: „Wer ist mir eigentlich wichtig? Wem bin ich wichtig?“ „Momentan wird viel darüber diskutiert, dass man zehn Menschen als soziales Netz haben sollte – wen würde man sich dafür aussuchen, ist eine gute Frage.“

Das sei gut, um herauszufinden, welche Beziehungen, „uns wirklich nähren und uns nicht an alte Beziehungsmuster zu klammern, bei denen wir aber nicht wir selbst sein können.“ Aus der Forschung wisse man, dass die Qualität von Beziehungen viel wichtiger sei, als die Quantität: „Habe ich ein oder zwei Menschen, bei denen ich mich geliebt fühle und bei denen ich so seien kann, wie ich bin, hilft uns das mehr, als viele flüchtige Kontakte,“ sagt Brähler.