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Statt PotenzpillenEine App soll bei Erektionsproblemen helfen – wie geht das?

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Erektionsstörungen haben nicht immer körperliche Ursachen.

Köln – Ein Produkt zu verkaufen, über das man eigentlich nicht sprechen möchte, ist schwierig. Max Kersting kennt dieses Dilemma. Er schämte sich. Nicht für sein Produkt. Aber das Thema, um das es geht, ist immer noch ziemlich tabuisiert. Es geht um Erektionsstörungen. Kersting ist 33 Jahre alt, er litt lange unter erektilen Dysfunktionen, wie man es medizinisch ausdrückt. „Ich war bestimmt bei 15 bis 20 Urologen, habe alle möglichen Pillen genommen und mir Spritzen in den Penis geben lassen“, erzählt er. Was ihm letztlich geholfen hat, war aber etwas ganz anderes – und mit seiner App will er genau das anderen Männern zeigen.

Denn das Problem, dass der Penis nicht mehr so will wie man eigentlich möchte, ist ein unterschätztes Leiden. „Im Gesundheitsportal der Bundesregierung kommen Erektionsstörungen nicht mal vor“, sagt Kersting. Experten gehen davon aus, dass 30 Prozent der 30-Jährigen darunter leiden, 40 Prozent der 40-Jährigen und so weiter. „Bei jüngeren Männer ist es häufiger ein psychologisches Problem, bei Älteren sind es eher körperliche Ursachen“, erklärt Urologe Volker Wittkamp aus Köln. Wer regelmäßig eine morgendliche Erektion hat und durch Selbstbefriedigung eine Erektion bekommt, habe wahrscheinlich kein körperliches Problem, sagt Wittkamp.

Geänderte Routinen wirken wie 50 Milligramm Viagra

Die Smartphone-App Regimen (englisches Wort für „Kur“) will dieses Problem angehen. „Wir ersetzen allerdings keinen Arzt. Wir verstehen uns eher als Anleitung: Was kann ich selbst tun?“, sagt Kersting.

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Max Kersting ist Gründer der App „Regimen“.

Die Zahlen sprechen für sich. Zu Beginn muss jeder Nutzer Fragen („Für wie viele Penetrationen hielt ihre Erektion beim Sex in den letzten sechs Monaten?“) beantworten, danach erhält er einen Wert auf einer Skala namens „International Index of Erectile Function“, die von 1 bis 25 geht. Davon ausgehend wird ein individuell abgestimmtes Training konzipiert. Wer „Regimen“ zwölf Wochen lang nutzt, steigert seinen Wert im Schnitt um 5,5 Punkte, sagt Kersting. „80 Prozent der Männer verbessern sich“, sagt er. Die App ist komplett auf Englisch. Es ist ein Mix aus Bewegungsanleitungen, Atemübungen und Informationen.

Jede ausbleibende Erektion führt in eine Negativspirale

„Mein medizinischer Experte sagt: Eine Erektion am Tag ist wichtig – egal wie man die kriegt“, sagt Kersting. Das hängt mit einer sonst drohenden Negativspirale zusammen. Beim längeren Ausbleiben einer Erektion verkalken die Gefäße im Penis, weshalb jede weitere Erektion immer schwieriger wird. „Die Schwellkörper im Penis werden geschädigt, wenn ein Mann länger keine Erektion hat“, erklärt Wittkamp.

Eine Lösung, die das Problem möglicherweise sogar erschwert, ist 1998 in Deutschland zugelassen worden: Viagra. Die „blaue Pille“ fällt wahrscheinlich den meisten Leuten ein, wenn ein Mann Erektionsprobleme hat. Einfach schlucken, Problem gelöst. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Volker Wittkamp ist Urologe und schreibt regelmäßig für unsere Kolumne „In Sachen Liebe“.

„Viagra bekämpft das Symptom, aber nicht die Ursache“, sagt Kersting. Bei psychischen Probleme reiche es auch nicht, einfach Medikamente zu nehmen. „Kurzfristig geht es einem besser, aber langfristig sollte man eine Therapie machen.“ Auch für Urologe Wittkamp steht fest: Viagra ersetzt nicht die Bereitschaft, Lebensgewohnheiten zu ändern. „Dennoch hat Viagra schon sehr viele Ehen gerettet“, sagt Wittkamp. „Dabei ist es gut verträglich und hat nur wenig Nebenwirkungen.“ Nicht zu unterschätzen sei auch der Placebo-Effekt. Wer eine Pille nimmt, glaubt auch stärker daran, dass sie wirkt – und dann klappt es tatsächlich.

Bei Kersting half nichts davon. Als er fast schon nicht mehr weiter wusste, lernte er Wolf Beecken kennen, ein Urologe aus Frankfurt. Der verordnete ihm regelmäßige Kraft- und Atemübungen und eine gesündere Ernährung. Schon nach kurzer Zeit wurde es besser. Mittlerweile arbeiten Arzt und Patient zusammen. Beecken ist bei „Regimen“ eingestiegen.

17 Minuten pro Tag benutzen Nutzer im Schnitt die App

Die App setzt auf eine grundsätzliche Änderung von Routinen: mehr Bewegung (besonders die Beckenbodenmuskulatur soll gestärkt werden) und bessere Ernährung sind die Grundpfeiler. Dazu sollen Männer bewusster mit sich und ihren Erektionen umgehen. Eine Art Tagebuch (Gab es eine morgendliche Erektion? Wie ist die sexuelle Aktivität?) zwingt Nutzer dazu, sich mit ihrem Leiden auseinanderzusetzen, dazu ist sehr viel gebündeltes Wissen abrufbar. Denn: „Studien zeigen, dass es hilft, zu verstehen, wie und warum man unter einem medizinischen Problem leidet“, sagt Kersting. Rund 17 Minuten pro Tag benutzen Männer die App im Schnitt, häufig in einer Session.

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Die App zeigt Videoclips für körperliches Training.

Das Ziel von Kersting ist es, dass Krankenkassen die 65 Euro pro Jahr, so viel kostet die App zum Einstieg, übernehmen. Der Fokus liegt zunächst auf Großbritannien. Dort sei die Bereitschaft des National Health Service, dem nationalen Gesundheitsdienst, viel höher, auch digitale Produkte zu bezahlen.

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Das macht aus seiner Sicht nicht nur für ein erfüllteres Sexleben vieler Männer Sinn. Langfristig könnte das auch günstiger sein, denn erektile Dysfunktionen sind Vorboten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine Studie der Johns Hopkins University zeigt, dass Männer mit Erektionsstörungen ein fast doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt haben.

Urologe Wittkamp erklärt es so: „Im Penis sind die kleinsten Gefäße. Wenn die nicht funktionieren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass in ein paar Jahren auch im Herzen etwas nicht richtig funktioniert.“ Ein Kollege von ihm hat das mal auf eine sehr eingängige Formel gebracht: „Der Penis ist die Antenne des Herzens.“ Wenn die Antenne Funkstörungen hat, sollte man nachschauen – und seine Routinen ändern.