Ernährungswissenschaftler Uwe Knop plädiert dafür, dass wir beim Essen nur auf den eigenen Körper hören sollten.
Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel hält er für wissenschaftlich nicht erwiesen.
Der Experte zweifelt die Aussagekraft von Studien an und empfiehlt, der eigenen Intuition zu folgen. Doch wie kann das gelingen?
Köln – Immer essen, was man möchte – das klingt erstmal nicht nach einer gesunden Ernährung. Doch bei der Essensplanung auf den eigenen Körper zu hören, soll nach einer Studie von Schweizer Wissenschaftlern sogar dabei helfen, die Pfunde purzeln zu lassen. Intuitives Essen nennt sich diese Methode.
Der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop erklärt in seinem Buch „Dein Körpernavigator” wie intuitives Essen funktioniert. Knop hält Ernährungsregeln für unsinnig und meint, dass sich jeder Mensch automatisch gesund ernährt, wenn er auf seinen Körper hört. Wie das funktionieren soll und warum es keinen Sinn machen soll, sich nach Ernährungsregeln zu richten, hat der Experte im Interview erklärt.
Sie sagen, dass die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel falsch sei.
Uwe Knop: Das Problem bei gesunden und ungesunden Lebensmitteln ist: es gibt keine wissenschaftlichen Daten und Belege dafür, dass ein Lebensmittel gesünder oder ungesünder als ein anderes ist. Deshalb lehnen auch die fünf großen ernährungswissenschaftlichen Institutionen die Deutsche- Österreichische- und Schweizerische Gesellschaft für Ernährung, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung und das Bundeszentrum für Ernährung diese kategorische Einteilung unisono ab.
Kaffee ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Lebensmittel vom Saulus zum Paulus wurde. Früher hat man Kaffee verteufelt. Ich habe in der Schule sogar noch das Lied gelernt: „Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann.“ Bluthochdruck, dem Körper Wasser entziehen und nervös machen – diese Eigenschaften wurden dem Getränk zugeschrieben. Mittlerweile wird Kaffee positiv zur Flüssigkeitsbilanz gezählt und gilt nicht mehr als schädlich. Dass Studien zu einem Lebensmittel zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen, liegt daran, dass in der Ernährungsforschung nur Korrelationen gefunden werden. Das sind aber nur statistische Zusammenhänge. Oft werden Studienergebnisse überinterpretiert, weil beispielsweise gesagt wird „Kaffee hilft gegen Diabetes“. Richtig wäre aber: „Kaffee könnte bei Diabetes helfen.“
Es gibt aber zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Empfehlungen, wie viel ich von bestimmten Nährstoffen und Lebensmitteln am Tag aufnehmen sollte. Sie meinen also, dass diese Regeln unsinnig sind?
Knop: Das ist absoluter Quatsch, sich nach irgendwelchen Regeln zu ernähren. Natürlich ist es wichtig, verschiedene Lebensmittel zu sich zu nehmen. Das machen Menschen aber automatisch – schließlich isst niemand nur Äpfel und Birnen oder Pommes und Burger an einem Tag – und in einer Woche, einem Monat, einem Jahr schon gar nicht. Wenn man intuitiv auf den Körper hört, isst man zu unterschiedlichen Tageszeiten verschiedene Lebensmittel, weil der Körper ein breites Spektrum an Nährstoffen braucht. Wir ernähren uns also schon von Natur aus ausgewogen – aber nur, weil wir in einem Schlaraffenland leben. Das sollten wir nicht vergessen.
Nicht jeder Mensch scheint aber ein gutes Körpergefühl zu haben. Schließlich gibt es immer mehr übergewichtige und fettleibige Menschen in Deutschland.
Knop: Wenn man sein Gefühl dafür verloren hat, was der Körper braucht, wann der Hunger kommt, worauf man Lust hat und welche Lebensmittel verträglich sind, kann es sein, dass man zu viel isst. Aus Frust, wegen Medikamenten, einer Krankheit, Emotional Eating oder einer Essstörung. Wenn Menschen hungerfrei zu viel essen und dadurch zunehmen, kann es aber viele Ursachen haben. Es muss immer für den Einzelfall geklärt werden, was die Ursachen sind.
Allgemeinaussagen wie „Die Dicken essen zu viel“ können nicht getroffen werden. 70 bis 80 Prozent des Körpergewichts wird durch die Gene bestimmt: Aus einem Bernhardiner kann man keinen Windhund machen. In einer Gesellschaft gibt es immer einige sehr dünne Menschen, viele in der Mitte und wieder wenige richtig Dicke. Einfache Antworten wie „Cola macht dick“ oder „Obst und Gemüse machen gesund und schlank“ gibt es nicht. Die Lebensmittel kann man für Übergewicht nicht verantwortlich machen.
Kann ich lernen, wieder auf meinen Körper zu hören?
Knop: Wenn der Kopf voller Gedanken ist zu schlechter Ernährung oder einen das schlechte Gewissen plagt, weil man zu wenig Obst oder Gemüse esse, muss man sich bewusst machen, dass es keine wissenschaftlichen Belege für gesunde Ernährung gibt. Ich muss meinen Kopf also frei von diesen Gedanken machen, was mich im eigenen Körpervertrauen bremst. Das kann am Anfang schwer sein, weil es ein Gefühl von Sicherheit gibt, wenn ich weiß, welche Lebensmittel vermeintlich gut und schlecht sind.
Dann kann ich achtsam erspüren, wann ich wirklich Hunger habe. Wer nicht mehr weiß, was ein Hungergefühl ist, sollte zum Beispiel am Morgen einfach nichts essen. Morgens nur zu frühstücken, weil man denkt, dass es die wichtigste Mahlzeit des Tages ist, ist unsinnig. Wer keinen Hunger hat, sollte morgens nichts essen. Nur wenn der Körper wirklich ein Hungergefühl hat, quittiert er die Nahrungsaufnahme mit einem Wohlgefühl. Wenn man richtig ausgehungert ist, das Lieblingsessen isst – erst dann merkt man, wie schön genussvoll es wirklich ist. Man sollte nicht mehr aus Frust, Langeweile oder wegen Ernährungsregeln essen. Das alles braucht kein Mensch. Hunger, Lust, Sättigung, der eigene gute Geschmack und besonders die Verträglichkeit sollten uns beim Essen anleiten.
Was ist aber mit gemeinsamen Mahlzeiten – wenn ich gar keinen Hunger habe?
Knop: Das ist nicht als Dogma zu verstehen – wenn ich nicht viel dicker werde oder mich unwohl fühle, kann ich auch mit homöopathischem Hunger mit meiner Familie essen, wenn es mir wichtig ist. Grundsätzlich ist das eine ganz individuelle Entscheidung, wann ich aus gesellschaftlichen, beruflichen oder anderen Gründen ohne Hunger esse. Man sollte das alles nicht so eng sehen.
Empfehlungen der großen Ernährungsinstitutionen
Die Deutsche-, Österreichische-, und Schweizerische Gesellschaft für Ernährung und das Bundeszentrum für Ernährung geben alle Empfehlungen raus, von welchen Lebensmitteln man viel und von welchen besser weniger essen sollte, um sich ausgewogen zu ernähren.
Diese großen Ernährungsinstitutionen empfehlen alle, sich an einem Lebensmittelkreis, einer Lebensmittelpyramide oder an zehn Regeln der DGE oder ÖGE zu orientieren. Das biete eine grobe Orientierung.
Auf das eigene Körpergefühl zu hören, sei im hektischen Alltag nicht immer einfach, erklärt Esther Jost, Leiterin der SGE. „Es braucht außerdem viel Übung und eine ausgeprägte Körperwahrnehmung um genau zu spüren, welche Ernährungsweise dem Körper gut tut. Ergänzend braucht es Ernährungsinformationen, die eine Orientierung geben, wie die Schweizer Lebensmittelpyramide der SGE.“
Sie kritisieren Ernährungsstudien massiv. Können Sie sagen, warum Sie die Forschung einer ganzen Disziplin für hinfällig halten?
Knop: Ernährungsstudien sind so schlecht, dass Ernährungsforschung dem Blick in eine Glaskugel gleicht. Sie sind in der Regel Beobachtungsstudien und liefern nur Korrelationen und keine Kausalitäten; eine Ursache-Wirkungsbeziehung gibt es also nicht. Sie finden zum Beispiel heraus: „Wer am meisten Bananen isst, der lebt am längsten.“ Daraus wird aber gemacht: „Bananen verlängern das Leben.“ Das ist unsinnig. Deshalb gibt es auch so viele verschiedene Besser-Esser-Hypes wie Low carb, Clean eating, Paleo, Vegan, Keto und Co., denn jeder findet die Korrelationen, die er für seinen Essensglauben braucht.
Ein weiteres großes Problem bei Ernährungsstudien ist die Zufallsauswahl der Befragten. Würde man einen Veganer oder Vegetarier in die Gruppe der Probanden losen, die Fleisch essen sollen, würden sie an der Studie gar nicht teilnehmen. Der wesentliche Punkt aber ist, dass niemand weiß, was die Studienteilnehmer wirklich gegessen haben. Die Datengrundlagen beruhen alle auf Eigenangaben. Es tritt das sogenannte „underreporting“ auf: Menschen schummeln bei ihren Antworten und ersetzen in der Dokumentation den vermeintlich ungesunden Hamburger durch einen Apfel. Niemand kann also überprüfen, ob diese Angaben stimmen. Und daraus werden Regeln gemacht.
Das ganze System ist so marode und so schlecht, dass mittlerweile viele Wissenschaftler sagen, dass sich die Forschung ändern müsste: Sie fordern nicht weniger als eine Radikalreform. Denn mit dem jetzigen Vorgehen sind wir nicht in der Lage herauszufinden, welche Ernährung krankheitsvorbeugend und lebensverlängernd wirkt. Gesunde Menschen werden durch Ernährungsforschung nur verunsichert, sonst nichts.
Annahmen wie, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsstand sich ungesünder ernähren, als gebildete Menschen, stimmen also nicht?
Knop: Man weiß zum Beispiel, dass dicke Kinder sehr ungleich in der Gesellschaft verteilt sind. Wir haben aber allgemein kein Problem mit übermäßig schwerem Nachwuchs, es gibt sogar mehr untergewichtige als fettleibige Kinder. Nach der einzigen deutschen Verlaufsstudie des Robert-Koch-Instituts (KiGGS) gibt es seit mehr als zehn Jahren unverändert konstant 5,9 Prozent adipöse Kinder und Jugendliche in Deutschland.
In den sozial schwachen Schichten gibt es mehr dicke Kinder, als in höheren sozialen Schichten. Warum das so ist, wissen wir allerdings nicht. Wir haben auch hier nur Korrelationen, aber keine Beweise. Die Forscher stehen vor dem Dilemma, dass sie nur Korrelationen haben und nicht beantworten können, warum es mehr fettleibige Kinder in sozial schwachen Schichten gibt. Dessen ungeachtet wird gerne Panik verbreitet, die Kinder würden immer dicker und wir bräuchten deshalb Werbeverbote für Kinderlebensmittel und eine Zuckersteuer.
Das heißt also, ich brauche kein fundiertes Ernährungswissen, um mich gesund zu ernähren.
Knop: Kein gesunder Mensch braucht Ernährungswissenschaft, sondern nur ein gutes Körpergefühl und volles Vertrauen in sich selbst. Niemand braucht ein schlechtes Gewissen haben, weil er vermeintlich ungesunde Lebensmittel isst. Mit intuitivem Essen, kommen der Genuss, die Lust und die Freude am Essen zurück – und Sie haben dabei gleich noch mehr Lebensqualität und Zufriedenheit „im Gepäck“. Probieren Sie es aus, es lohnt sich.