Abnehmspritzen versprechen Gewichtsabnahme ohne Hunger. An der Uniklinik Köln befürchtet man, dass die Nutzung eine Anorexie triggern könnte.
Kölner Experte warnt vor OzempicAbnehmspritze könnte Druck auf Mädchen mit Magersucht erhöhen
Herr Professor Bender, Sie arbeiten an der Uniklinik Köln mit Kindern und Jugendlichen, die von einer Essstörung betroffen sind. Spielt die neue Abnehmspritze Ozempic für ihre Patienten eine Rolle?
Das neue Mittel ist durchaus Thema bei uns, wir haben den Eindruck, dass sich durch die öffentliche Diskussion etwas verändern wird. Allerdings besteht bei Ozempic ja das Problem der Verfügbarkeit. Untergewichtigen Patienten wird kein Arzt die Spritze verschreiben und einen Schwarzmarkt gibt es zumindest in der Breite bislang nicht. Außerdem wäre das Medikament da dann sehr teuer. Bislang gibt es günstigere Alternativen, mit denen gerade unsere Anorexie-Patienten versuchen, ihr Gewicht nach unten zu manipulieren.
Was ist da vor allem beliebt?
Die klassischen Abführmittel. Die sind günstig und haben zwar auch Nebenwirkungen wie zum Beispiel langfristig eine Verstopfung, aber das wird meist in Kauf genommen. Süßstoff in großen Mengen spielt auch eine Rolle.
Ozempic soll das Hungergefühl reduzieren. Klingt das nicht verlockend für jemanden, der an Magersucht leidet?
Das würde ich gar nicht sagen. Schließlich sind Mägen von Menschen mit Anorexie ohnehin klein, das Hungergefühl wird außerdem oft gar nicht als Belastung, sondern im Gegenteil als positiv wahrgenommen. Die Spritze verspricht Menschen, die zu viel essen, die Kontrolle über die Nahrungsaufnahme zu bekommen. Menschen mit Magersucht kriegen das aber auch ohne Spritze hin. Sie essen nichts, ziehen das sehr selbstdiszipliniert durch, darin liegt ja die Befriedigung. Insofern könnte die Spritze eher für Menschen mit einer Bulimie und unkontrollierbaren Essattacken eine Verlockung sein, die sich nach Essanfällen erbrechen.
Könnte Ozempic in diesen Fällen sogar helfen, eine Essstörung zu heilen?
Das wäre natürlich wunderbar. Ich bin da aber nicht so optimistisch. Die Essstörung ist ja nur ein Symptom eines Defizits. Essen oder Hungern wird eingesetzt zur Emotionskontrolle. Selbst wenn die Essstörung verschwände, bliebe also das Problem dahinter bestehen. Ein besseres Verständnis der Vorgänge im Körper, die zu Essattacken führen könnte jedoch die Symptomkontrolle und damit die Behandlung erleichtern.
Könnten Mittel wie Ozempic Essstörungen auch auslösen?
Es ist noch zu früh, um das zu bewerten. Wir wissen, dass Diäten ein häufiger Trigger für eine Anorexie sind. Meiner Meinung nach könnte die Spritze einen ähnlichen Risikofaktor darstellen. Wir müssen aber die Studien und eine breitere klinische Erfahrung abwarten, um auch weniger häufige Risiken ausreichend zu beurteilen.
Ozempic soll auch andere Suchtrisiken reduzieren. Nutzer berichten, dass sich auch ihre Lust auf Alkohol oder Nikotin reduziere. Das hört sich erstmal gut an, könnte der Wirkstoff aber so nicht auch unser generelles Genussempfinden einschränken?
Das glaube ich nicht. Schließlich kann man auch andere Sachen genießen: Hobbys, soziale Kontakte, zum Beispiel. Darauf wirkt sich die Spritze meines Wissens in Studien nicht negativ aus, das Belohnungssystem wird ja nicht komplett unterdrückt. Im Gegenteil könnten diese Aspekte sogar einen größeren Stellenwert einnehmen, wenn das Essen eben nicht mehr so im Vordergrund steht. Die Frage: Wie gut bin ich im Leben abseits vom Essen verortet, ist ohnehin eine wichtige, auch bei der Behandlung von Essstörungen.
Erhöht es den Druck auf Menschen, die unter Anorexie leiden, wenn nun alle Adipösen abnehmen?
Das fürchte ich, ja. Je mehr sich das Schönheitsideal zum sehr schlanken Körper hin entwickelt, umso rascher geraten Menschen mit einer Magersucht in körperlich bedrohliche Gewichtsbereiche. Das ist ohnehin ein Trend, den wir schon seit der Pandemie beobachten. Die Zahl unserer Patienten hat sich deutlich erhöht. In Köln zählen wir immer noch etwa ein Drittel mehr als in den Jahren vor der Pandemie. Und auch das Gewicht der Betroffenen, in der großen Überzahl Mädchen, ist niedriger, das Alter bei Eintritt der Störung oft jünger. Noch immer haben viele Jugendliche nicht in ihren sozialen Alltag zurückgefunden, alte Hobbys wiederaufgenommen. Das muss sich dringend ändern, schließlich ist ein gutes soziales Miteinander die beste Prophylaxe gegen Essstörungen.