Düsseldorf/Essen – Gliederschmerzen, Fieber, Abgeschlagenheit: klassische Symptome einer Grippe. In Zeiten der Corona-Pandemie könnten sie aber auch ein Hinweis auf Covid-19 sein. Mit Blick auf die anstehende Grippewelle ist es sinnvoll, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Infektionen herauszustellen. Es hilft uns, die Krankheiten an sich und den unterschiedlichen Umgang mit den Infektionen besser zu verstehen. Es zeigt auch, warum der Vergleich von Todeszahlen problematisch ist. Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Was unterscheidet und was eint die Grippe und Covid-19?
Influenza und Sars-CoV-2 sind Atemwegserkrankungen, die durch unterschiedliche Viren ausgelöst werden. Bei beiden Infektionen gibt es Betroffene, die asymptomatisch sind – also sich zwar mit dem Virus angesteckt haben, selbst aber nicht krank werden. Forscher vom University College London zeigen in einer Studie, dass von 115 Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, 88 am Testtag asymptomatisch waren. Bei der Influenza sind laut EU-Seuchenschutzbehörde bis zu 75 Prozent der Fälle ohne Symptome.
Die amerikanische Seuchenschutzbehörde (CDC) hat folgende Hauptunterschiede ausgemacht: Sars-CoV-2 scheint sich leichter auszubreiten, es gibt mehr ernste Krankheitsverläufe, es dauert länger, dass Menschen Symptome zeigen und sie können länger andere Menschen anstecken, als bei der Grippe. Bislang gibt es gegen das Coronavirus noch keinen wirksamen Impfstoff. Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI) kommt ebenso zu dem Ergebnis, dass es bei Covid-19 zu mehr schweren Verläufen als bei der Influenza kommt. Das RKI hat die Daten von Krankenhauspatienten, die 2020 an Covid-19 erkrankt waren, mit Daten der Grippewellen 2015 bis 2019 verglichen. Rund jeder fünfte Sars-CoV-2-Patient musste beatmet werden. Bei der Grippe war es nur knapp jeder Siebte. An Influenza verstarben 12 Prozent, bei Covid-19 mit 22 Prozent bald doppelt so viele Menschen.
Für Dr. Torsten Feldt, Oberarzt für Infektiologie an der Uniklinik Düsseldorf, ist ein entscheidender Unterschied zwischen Influenza und Sars-CoV-2, dass Mediziner über das neuartige Virus noch sehr viele Dinge nicht wissen. „Wir fangen bei Covid-19-Infektionen gerade erst an, zu erkennen, welche Spätfolgen es gibt und zum Beispiel neurologische Beteiligungen zu verstehen.“
Kann man Grippe und Sars-Cov-2 anhand ihrer Symptome voneinander unterscheiden?
Eine Studie vom University College in London verdeutlicht, dass der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns ein starker Indikator für eine Covid-19-Infektion ist. Rund 80 Prozent der Befragten, bei denen eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde, litten unter dem Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn.
Prof. Oliver Witzke, Direktor für Infektiologie am Uniklinikum Essen, erklärt: „Die Grippe beginnt in der Regel stürmisch. Patienten sind schlagartig krank — haben häufig Gliederschmerzen.“ Eine Sars-CoV-2-Infektion hingegen beginne oft langsamer. Schwere Krankheitsverläufe zeichnen sich meist erst nach fünf bis sieben Tagen ab und die Infektion verschlechtere sich von Tag zu Tag. „Beide Viren lösen Lungenentzündungen aus, bei der Grippe kann es aber sein, dass zusätzlich eine Lungenentzündung durch Bakterien ausgelöst wird.“ Die Infektionen lassen sich nur durch eine Viren-Testung eindeutig voneinander unterscheiden, erklärt der Infektiologe.
Kann man sich mit Grippe und Covid-19 gleichzeitig infizieren?
Ja, sagt Oliver Witzke. Es ist möglich, dass Patienten sich zeitgleich mit dem Coronavirus und Grippeviren anstecken. „Ich persönlich glaube als Arzt, dass es nicht gut ist, wenn man Grippe und Covid-19 hintereinander bekommen würde.“
Kann eine Grippeimpfung helfen?
Eine Studie der Jacobs-Universität geht davon aus, dass es sein könnte, dass eine Grippeimpfung das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöhen könnte, eine andere Studie kommt zu einem gegenteiligen Schluss. „Welche Auswirkung die Grippeimpfung auf eine Covid-19-Infektion hat, ist sehr spekulativ“, sagt Oliver Witzke. Er empfiehlt ganz klar eine Grippeimpfung und meint, dass in Deutschland alle verfügbaren Impfdosen eingesetzt werden sollten.
Bei der starken Grippewelle 2017/2018 gab es rund 25.000 Todesfälle und seit Beginn der Pandemie zählt das RKI bald 10.700 Covid-19-Tote. Wie kommen diese Zahlen zu Stande, wenn Sars-CoV-2 die gefährlichere Infektion ist?
Dieser Vergleich lässt sich aus mehreren Gründen so nicht ziehen. Zum einen ist die Masse an potentiell infizierbaren Menschen bei Covid-19 viel größer als bei der Grippe. „Bei Influenza haben wir eine signifikante Durchseuchung der Bevölkerung und einen Schutz durch den Impfstoff“, erklärt Oliver Witzke. Das bedeutet auch: Bisher gibt es nur so wenige Corona-Fälle und Tote, weil die Maßnahmen im Frühjahr die Ausbreitung begrenzt haben. Der Düsseldorfer Infektiologe Torsten Feldt ergänzt: Bei der Grippe ist ein so großer Teil der Bevölkerung jährlich infiziert, weil sich das Virus unter empfänglichen Personen normalerweise nahezu ungehindert ausbreiten kann und keine so umfassenden Maßnahmen ergriffen werden. Aber die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Sars-CoV-2 sind auch für Influenza wirksam.
Zum anderen lassen sich die Todesfallzahlen von Influenza und Covid-19 nicht vergleichen. Denn: Die Zahlen werden unterschiedlich ermittelt. Die Todesfälle durch Grippe werden nur geschätzt, da viele dieser Fälle nicht erkannt und bestätigt werden. Wenn ein Patient an Grippe erkrankt war und gleichzeitig auch an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litt, kann es sein, dass als Todesursache nur die Herzerkrankung angegeben wird.
Die Zahl der Grippetoten ist also eine statistische Rechnung. Zuerst wird eine sogenannte „Hintergrundmortalität“ ausgerechnet, also wie viele Menschen in diesem Zeitraum ohne Grippe sterben würden. Grassiert das Influenzavirus stark, gibt es deutlich mehr Todesfälle als in der Hintergrundmortalität errechnet. Anhand dieser Zahlen werden dann die Grippetoten geschätzt. Bei Covid-19 hingegen werden alle Personen, die positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden und versterben als Corona-Todesfall gezählt. Heißt: Auch Todesfälle bei denen es nicht vollkommen klar ist, ob das Coronavirus eindeutig für den Tod verantwortlich war, werden als solche gezählt. Diese Unterscheidung sei oft schwierig, da Covid-19-Patienten mit Begleiterkrankungen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an der Infektion zu versterben. Daher sprechen wir bei Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen von Risikogruppen – denn die zusätzliche Covid-19-Infektion erhöht das Risiko für diese Patienten. Wenn man diese Todeszahlen auf die Zahl der an das RKI gemeldeten SARS-CoV-2 Infektionen bezieht, erhält man die sogenannte Fallsterblichkeit. Das sind harte Daten. „Dabei besteht immer die Unsicherheit, dass die Frage offen bleibt, wie viele Infektionen es tatsächlich gibt. Heißt: Es kann eine hohe Dunkelziffer geben“, erklärt Feldt.
Selbst starke Grippewellen haben noch nie so drastische Einschnitte bedeutet, wie sie durch Covid-19 verursacht werden. Warum ist das so?
Im Gesundheitswesen sind auch starke Grippewellen deutlich spürbar. Infektiologe Oliver Witzke erinnert sich an 2017/2018, dass Klinikbereiche heruntergefahren werden mussten, Ärzte und Pfleger aus dem Urlaub zurückkommen mussten, um die vielen Influenza-Patienten behandeln zu können.
Doch es gibt eine Kennzahl, mit der sich Influenza und Covid-19 gut vergleichen lassen, die sehr deutlich macht, warum Covid-19 sich nicht mit einer starken Grippewelle gleichsetzen lässt: die Infektionssterblichkeit. In Studien werde dazu die Gesamtzahl der Infektionen analysiert. Diese wird auf Basis virologischer Tests und Hochrechnungen ermittelt, erklärt Torsten Feldt. Berechnungen einer Metaanalyse aus den USA zeigen, dass bei der Grippewelle 2018/2019 in Amerika 0,05 Prozent der Infizierten starben. Für Covid-19 hingegen errechnen die Forscher eine Infektionssterblichkeit von 0,8 Prozent, wenn sich die Krankheit über alle Altersgruppen gleich verteilt. Die Metaanalyse zeigt auch: Die Sterblichkeit bei Sars-CoV-2 steigt mit dem Alter dramatisch an. „Auch wenn sich die Daten aus den USA nicht einfach auf Deutschland übertragen lassen und die Infektionssterblichkeitsrate vielleicht nicht bei 0,8 Prozent, sondern 0,7 Prozent oder auch 0,6 Prozent liegt, wird eins deutlich: Das Risiko an einer Sars-CoV-2-Infektion zu sterben, ist deutlich höher als das, an einer Influenza zu versterben“, sagt Torsten Feldt.
Was wäre also, wenn alle Maßnahmen gekippt würden und sich das Coronavirus ungehindert verbreiten könnte?
„Keiner weiß genau, was passieren würde, wenn wir Sars-CoV-2 einfach laufen lassen würde. Sicher ist, dass die Infektion irgendwann zum Stillstand kommen würde“, sagt Torsten Feldt. Der Infektiologe sagt aber auch, dass wir sehen, wie sich die Fallzahlen im Oktober entwickelt haben, obwohl Maßnahmen getroffen wurden. „Würde man nichts tun, würden die Corona-Fallzahlen explodieren, mit schlimmen Folgen.“ Die Intensivbetten wären schnell belegt und mehr Menschen würden sterben, auch weil sie keine intensivmedizinische Behandlung bekommen könnten. Schon jetzt ist die Lage in den Kliniken angespannt. „Wenn wir jetzt alle Beschränkungen aufheben würden, bin ich davon überzeugt, dass es so kommen würde. Jeder Herzinfarkt, jeder Tumor, jeder Patient, der akut eine Behandlung benötigt, würde auch darunter leiden und die Sterblichkeit würde auch bei diesen Fällen ansteigen“, mahnt Torsten Feldt.