Das Thema Impfungen ist bei einigen Menschen mit Ängsten besetzt – manche sind strikt dagegen.
Der Berliner Kinderarzt Jakob Maske sagt im Interview, wie die Corona-Krise sich auf das Verhältnis der Deutschen zum Thema Impfen auswirkt.
Zudem erklärt der Mediziner, warum es sinnvoll ist, sich im Herbst wenigstens gegen Influenza impfen zu lassen.
Köln – Die einen wünschen sich sehnlichst eine Impfung gegen das Coronavirus, die anderen gehen aus Angst vor einer vermeintlichen Impfpflicht auf die Straße. Noch gibt es keinen Impfstoff gegen das Virus. Gegen eine andere Atemwegserkrankung kann man sich allerdings jedes Jahr mit einer Impfung schützen: Influenza. Trotzdem machen dies nicht viele Menschen, obwohl die Grippe in jeder Saison für Todesfälle sorgt. Der Berliner Kinderarzt Jakob Maske hat mit uns darüber gesprochen, wie sich die Corona-Krise auf das Impfverhalten der Deutschen auswirkt, warum viele Sorgen von Eltern zu Impfungen unbegründet sind und warum eine Grippeimpfung in diesem Jahr besonders sinnvoll ist.
Wird sich das Verhältnis der Deutschen durch die Corona-Krise gegenüber Impfungen ändern?
Jakob Maske: Das wird sich bestimmt verändern – in welche Richtung lässt sich momentan noch nicht genau sagen. Menschen demonstrieren derzeit gegen die Corona-Maßnahmen – darunter auch Impfgegner, die das Coronavirus für eine Verschwörung halten. Das ist aber sicherlich nicht die Meinung des Großteils der Bevölkerung. Die meisten Menschen freuen sich wahrscheinlich auf eine Impfung gegen das Coronavirus und werden sich dadurch wieder mehr Gedanken um Impfungen machen, wie beispielsweise über die Grippeimpfung.
Können Sie erklären, warum Impfungen nicht nur mich selbst schützen? Warum hilft es auch anderen Menschen, wenn ich geimpft bin?
Maske: Das lässt sich gut anhand der Masern erklären – dieses Virus ist so ansteckend, dass es reicht, mit einer infizierten Person im Bus zu sitzen, um sich anzustecken, wenn man selbst nicht geimpft ist. Wenn wir durch Impfungen verhindern, dass Kinder und Jugendliche krank werden, verhindern wir außerdem, dass sich andere anstecken. Das heißt auch, dass Menschen, die nicht geimpft werden können, weil sie zu jung sind oder unter schweren Erkrankungen leiden, geschützt werden. Eine Impfung ist bei diesen Personengruppen nicht möglich, weil ihr Immunsystem zu schwach für eine Impfung ist. Gerade die besonders empfindlichen und kranken Menschen gilt es zu schützen, daher ist Impfen auch immer etwas Soziales.
Was raten Sie in Ihrer Praxis Eltern, die ihre Kinder zum Beispiel nicht gegen Masern impfen lassen wollen?
Maske: Das ist immer schwierig, weil die Eltern große Ängste vor Reaktionen oder Nebenwirkungen haben. Wir versuchen im Gespräch sehr genau und detailliert aufzuklären, worum es bei einer Impfung überhaupt geht. Vielfach bestehen Ängste, die keine Begründung haben, die können wir so ausräumen. Wir haben sehr gute Daten dazu, dass Impfungen sehr wirksam sind und kaum Nebenwirkungen haben. Zu Reaktionen kann es nach einer Impfung immer wieder Mal kommen, diese klingen aber nach ein oder zwei Tagen wieder ab. Das ist etwas, was Eltern meist überzeugt. Circa ein bis zwei Prozent sind so stark gegen Impfungen, dass sie sich auch durch gute Ratschläge nicht von einer Impfung überzeugen lassen.
Covid-19 wird von einigen Menschen mit der Grippe verglichen. Bei Covid-19 hoffen viele Menschen auf den Impfstoff. Doch gegen Grippe könnte man sich schon jetzt jedes Jahr impfen lassen – nur machen das sehr wenige Menschen.
Maske: Ich warne davor, einzelne Krankheiten miteinander zu vergleichen – eine Covid-19-Erkrankung hat sehr viele Aspekte, die gar nicht zu einer Influenza passen. Das Coronavirus ist noch gar nicht bekannt und es gibt noch kaum Menschen, die dagegen immun sind. Es trifft auf eine völlig unvorbereitete Masse an Menschen, die dafür empfindlich sind. Bei der Grippe ist es eine ganz andere Situation, weil das Virus nicht auf so viele Menschen trifft, die es krank machen kann – einige Menschen sind geimpft oder noch immun, weil sie eine Influenza überstanden haben.
Wir empfehlen die Grippeimpfung für alte Menschen oder Kinder mit chronischen Krankheiten. Es ist eine sehr sinnvolle Impfung. Im Unterschied zu den von der ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen ist die Grippeimpfung nur für Menschen ab 60 und chronisch Kranke eine Kassenleistung. Alle anderen Patienten müssen die Impfung selbst bezahlen.
Könnte es die Todeszahlen bei der Grippe verringern, wenn wir uns alle und unsere Kinder gegen Grippe impfen lassen würden?
Maske: Ja, selbstverständlich – je weniger Erkrankte, desto weniger Todesfälle. Es gibt Jahre, wo die Grippe sehr viele Todesfälle verursacht, wie in der außergewöhnlich starken Grippesaison 2017/2018. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Zahl der Influenza-bedingten Todesfälle für diesen Zeitraum auf 25.000. Natürlich ist es sinnvoll, möglichst viele Menschen gegen Influenza zu impfen, damit weniger erkranken oder daran sterben.
Bei der nächsten Grippewelle im Herbst/ Winter sind wir in der besonderen Situation, dass neben der Grippewelle auch noch das Coronavirus weiter grassieren wird. Sollten wir uns diesen Herbst gegen Grippe impfen lassen? Wie sieht es da mit Kindern aus?
Maske: Es gilt auch in dieser Saison die Empfehlung, dass sich ältere Menschen ab 60 Jahren und Kinder mit chronischen Krankheiten und Atemwegserkrankungen impfen lassen sollten. Es wird sich zeigen, ob es eine generelle Impfempfehlung geben wird. Es macht aber Sinn, sich vor einer Grippe zu schützen, um bei einer eventuellen Covid-19-Infektion nicht gleichzeitig an einer Influenza erkrankt zu sein. Das würde das Immunsystem schwächen und könnte unter Umständen zu einem schwereren Verlauf führen.
Kinder werden häufig als Virenverbreiter angesehen. Macht es mit dem Blick auf diese Rolle Sinn, Kinder gegen Grippe zu impfen?
Maske: Wir sehen unsere Patienten nicht als Virenschleuder an und finden es nicht so schön, wenn sie auf diese Position herabgewürdigt werden. Es ist aber richtig, dass sich Kinder besonders häufig anstecken, weil sie sich viel in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen aufhalten. Von dort bringen sie die Infektionen nach Hause und sind Multiplikatoren solcher Infektionen, aber sie sind nicht der alleinige Grund, dass solche Krankheiten weiter getragen werden.