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Psychotherapie in der GruppeWas gut daran ist, mit Fremden über die eigenen Probleme zu sprechen

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau legt einer anderen Frau in einem Stuhlkreis die Hand auf die Schulter.

Studien zeigen: Zusammenhalt hilft bei einer Therapie

Klingt peinlich: Fremden Menschen von seinen Problemen erzählen. Dabei lassen sich die in der Gruppe besonders gut lösen, sagen Experten.

In ihrem Leben habe es immer gewisse Baustellen gegeben, sagt Claudia. Diese innere Wut, die sie manchmal überkam. Die Unsicherheit, nicht hineinzupassen, nicht dazuzugehören. „Nach der Trennung von meinem Mann, habe ich gemerkt: Ich muss mich endlich mit meinen Baustellen beschäftigen.“ Das ist nun drei Jahre her. Claudia heißt eigentlich anders, als in diesem Artikel. Sie möchte nur anonym über ihre Erfahrungen mit Gruppentherapien erzählen.

Erst machte sie eine Einzeltherapie. „Die hat mir schon geholfen, aber letztlich spricht man immer nur mit derselben Person, was mir irgendwann zu wenig war“, sagt Claudia. Eher aus Zufall entschied sie sich dazu, zusätzlich eine Familienaufstellung zu machen.

Seine Scham überwinden lernen, eine Stärke der Gruppentherapie

Anstatt mit nur einer Person – ihrem Therapeuten – saß Claudia nun einen Tag lang mit rund zehn unbekannten Menschen in einer Runde und erzählte, von sich und von ihren Baustellen. Danach wählte sie Personen aus der Runde aus: Die eine sollte ihre Mutter spielen, der andere den Ex-Mann, und eine weitere sie selbst. Und so sah Claudia Fremden dabei zu, wie sie ihr Leben spontan in Szene setzten. „Dadurch konnte ich ganz neue Perspektiven auf die Gefühle und die Beweggründe meiner Familie und meiner Freunde entwickeln und so mein eigenes Verhalten besser einordnen“, sagt sie rückblickend. Inzwischen hat Claudia nicht nur mehrere Familienaufstellungen gemacht, sondern auch ein mehrtägiges gestalttherapeutisches Gruppen-Seminar besucht.

Sein Innerstes vor Fremden auszubreiten, diese Vorstellung finden viele erst einmal befremdlich. Dabei liegt genau im Überwinden dieser Scham eine der größten Stärken von gruppentherapeutischen Angeboten, sagt nicht nur Claudia. So fand ein australisches Forschungsteam um den Psychologen Peter McEvoy in einer Studie mit Angstpatienten in Gruppentherapie heraus, dass der Zusammenhalt in der Gruppe eine große Rolle für den Therapieerfolg gespielt habe. Auch ältere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Gruppenpsychotherapie genauso wirksam sein kann, wie eine Einzeltherapie. Trotzdem würden Gruppentherapien nach wie vor zu selten angeboten, mahnt unter anderem Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie am Universitätsklinikum Jena. Die Therapieform wird dort schon lange erforscht.

Gruppentherapien haben sogar einen nicht zu unterschätzenden Vorteil gegenüber Einzeltherapien, sagt auch Ingrid Prassel: „Sie bekommen schneller einen Platz.“ Mehrmals die Woche empfängt die Fachärztin für psychosomatische Medizin aus Köln Therapiegruppen in ihrer lichtdurchfluteten Praxis nahe dem Wiener Platz. In der Mitte des Raums steht ein Stuhlkreis.

Ingrid Prassel sitzt auf einem Ledersessel.

Ingrid Prassel ist Psychoanalytikerin und Fachärztin für psychosomatische Medizin und hat eine Praxis in Köln.

Es gibt verschiedene Formen der Gruppentherapie, auch die Länge variiert

„Zu Beginn der Therapie sind die Teilnehmenden meistens noch ängstlich und unsicher und deswegen sehr auf mich konzentriert. Aber es dauert nicht lange, bis sie dann so interessiert aneinander sind, dass sie vor allem miteinander sprechen“, sagt Prassel. Dann greift die Ärztin nur noch gelegentlich ein, um ein Gespräch zu vertiefen, dabei zu helfen, Konflikte einzuordnen oder um Symptome besser zu verstehen. Die überwiegende Zeit für Gespräche gehöre den Patientinnen und Patienten. Ängste, körperliche Beschwerden, Hoffnungen, über all das sollen die Gruppenmitglieder möglichst offen reden. „Es hilft einfach, wenn jemand sagt, ach, das kenne ich auch“, sagt Prassel.


Veranstaltungshinweis: „F wie Familie: Seelenleid und Therapie – Möglichkeiten und Grenzen“, am 26. September von 19-20.30 Uhr im Studio Dumont, Breite Str. 72, 50667 Köln | Mit Dr. phil. Christiane Jendrich und Dr. med. Stefan Battel, beide lehrende Therapeuten am Kölner Institut für Systemische Beratung und Therapie (KIS) | Karten über koelnticket.de und an der Abendkasse.


Soweit die Gruppentherapie von einer zugelassenen Therapeutin angeboten wird, trägt die Krankenkasse die Kosten. Es gibt geschlossene Therapie-Gruppen mit einem festen Teilnehmerkreis und halboffene Gruppen, wo Teilnehmende nur so lange bleiben, wie es erforderlich ist und dann wieder neue Gruppenmitglieder hinzukommen. Manche Therapeuten arbeiten tiefenpsychologisch und analytisch, wie Prassel, andere verhaltenstherapeutisch. Auch die Länge der Behandlung kann variieren.

Wer Teil einer solchen Gruppe werden möchte, muss erst einmal einen Sprechstundentermin ausmachen, in dem die Psychoanalytikerin Prassel eine Diagnose stellt und die richtige Therapieform bespricht. „Nicht für jeden eignet sich eine Gruppentherapie, manchmal ist eine Einzeltherapie oder eine Kombination aus beidem die bessere Lösung“, sagt Prassel. „Wieder andere machen erst eine Einzeltherapie und wechseln dann in die Gruppe, wenn sie sich stabiler fühlen.“ Außerdem muss ein Platz in der passenden Gruppe frei sein. „Ich achte sehr auf die Zusammensetzung, damit es eine gute Durchmischung gibt, was Alter, Geschlecht und auch die jeweiligen Themen betrifft“, sagt Prassel. Wichtig sei auch, dass die Personen, die wöchentlich in dem Stuhlkreis Platz nehmen, sich nicht aus anderen Zusammenhängen kennen.

Für alle Teilnehmenden aus der Gruppe gilt die Schweigepflicht

Zu Prassel kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen. Manche sind ausgebrannt wegen ihres Berufes oder gescheiterten Beziehungen, andere haben Depressionen, Essstörungen, Suchterkrankungen oder Phobien. „Unabhängig von diesen konkreten Diagnosen sind sich die Emotionen, die diesen Problemen zugrunde liegen, häufig sehr ähnlich, und daraus ergibt sich die Dynamik der Gruppentherapie“, sagt Prassel. Weil die Teilnehmenden diesen Gefühlen gemeinsam nachspüren und versuchen, gegenseitig die Erzählungen zu entlarven, die unbewusst womöglich schon ihr ganzes Leben bestimmen. „Die Gruppe spiegelt das echte Leben“, sagt Prassel. Unbewusste Beziehungsthemen, Bezüge zum eigenen Leben, all das reinszeniere sich irgendwann in der Gruppe und wird den Teilnehmenden so häufig erst bewusst. Für die meisten sei es regelrecht befreiend, dass sie endlich einmal ohne Ablehnung über ihre Gefühle und ihre Probleme sprechen können. Das mache auch den Umgang mit Kritik leichter, sagt Prassel.

Aber bis es so weit ist, sind meistens schon einige Sitzungen vergangen. 100 Minuten dauert eine typische Runde. Wenn die sieben bis neun Teilnehmenden das erste Mal in Prassels Stuhlkreis sitzen, dann stellen sie sich erst einmal vor und erzählen von sich und ihren Beweggründen, eine Gruppentherapie zu machen. „Es ist jedem und jeder selbst überlassen, wie viel er oder sie von sich preisgibt, manche verraten auch nur den Vornamen“, sagt Prassel.

Hier liegt nämlich der größte Vorbehalt gegenüber der Gruppenpsychotherapie: Es fällt schwer, so vertrauliche Inhalte mit Fremden zu teilen. Was ist, wenn die anderen etwas weitererzählen, wenn man jemanden aus der Therapiegruppe plötzlich im Supermarkt oder beim Sport trifft? In der Praxis von Prassel gibt es deswegen klare Regeln. „Die Schweigepflicht gilt nicht nur für mich, sondern für alle, die an der Therapiesitzung teilnehmen“, sagt sie. Sollten Teilnehmende sich doch einmal an einem anderen Ort treffen, sei nicht nur Diskretion entscheidend. Sondern auch der Schritt, diese Begegnung in der Gruppe transparent zu machen, also allen davon zu erzählen, sagt Prassel. Damit keine unbewussten Spannungen und Misstrauen entstehen. „Manchmal vereinbaren die Gruppenmitglieder auch, dass sie sich außerhalb der Therapie nicht ansprechen, wenn sie sich begegnen und eine weitere Person dabei ist“, sagt Prassel. Und sie rät immer, die anderen nicht zu googeln. „Damit nimmt man sich die Möglichkeit, unvoreingenommen aufeinander zuzugehen.“

Die Anfragen, die Ingrid Prassel erreichen, haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, berichtet die Psychotherapeutin. Viele fühlten sich in ihrer Symptomatik einfach alleine und suchten nach einem geschützten Raum, um ehrlich über sich zu sprechen. Im Fall von Claudia hat diese Strategie funktioniert. „Meine Wut habe ich unter Kontrolle, sie ist eigentlich fast weg“, sagt Claudia. Mit ihrem Ex-Mann ist sie gut befreundet. Auch beruflich stellt sie sich derzeit ganz neu auf. „Ich spüre viel Aufwind in meinem Leben“, sagt Claudia. Und dann sagt sie noch: „Alleine hätte ich das nicht so schnell geschafft.“