Nach InfarktenWieviel Sport tut Herzkranken gut und welcher besonders?
- In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
- Im Monat November geht es um unser Herz.
- In dieser Folge geht es darum, warum und welchen Sport Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen treiben sollten. Und wieso das Thema auch eines für gesunde Menschen ist.
Köln – Fritz Kolb ist seit 22 Jahren dabei. Mit 69 erlitt er einen Herzinfarkt. Er bekam vier Bypässe und von seinem Operateur den Rat: „Gehen Sie da hin, das tut Ihnen gut.“ So erzählt es der inzwischen 91 Jahre alte Kölner. Er befolgt den Rat seines Arztes bis heute und trainiert noch immer zwei Mal in der Woche in einer Herzsportgruppe an der Sporthochschule. Wäre der Herzinfarkt nicht gewesen, wäre er wohl nicht so sportlich geworden. Und nicht so alt.
Das ist ein bisschen spekulativ. Aber durchaus realistisch. Seinen Lebensstil zu ändern, ist nicht leicht. Aber ein Herzinfarkt kann ungeahnte Willenskräfte freisetzen. „Und wer dann dauerhaft zu mehr Bewegung und einer gesünderen Ernährung findet, lebt im Idealfall nicht nur länger, sondern auch besser als zuvor“, sagt Hans-Georg Predel. Der Internist und Sportmediziner ist Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) und langjähriger Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin.
Irgendwann kam der Herzinfarkt
„Wir haben eine sehr dankbare Klientel“, sagt Katrin Dillschnitter. Sie koordiniert die DSHS-Herzgruppen. „Viele sind froh, noch am Leben zu sein und nehmen unsere Ratschläge und Trainingstipps gern an.“ Wie Fritz Kolb. Er habe als junger Mann viel Sport getrieben, erzählt er. Später reduzierte sich das auf ein bisschen Völkerball mit der Betriebssportgruppe. Da waren die Arbeit, die Familie, der Kater Charly. Und irgendwann kam der Herzinfarkt.
Gäbe es eine Pille, durch die Heilung und eine Verbesserung der Lebensqualität in ähnlichem Ausmaß erreicht werden könnten wie durch Sport – ihr Erfinder würde sich eine goldene Nase verdienen. „Sport als Medikament müsste viel offensiver propagiert werden ob des Gewinns für jeden Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt“, betont Mediziner Predel. Denn: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Todesursache Nummer eins in Deutschland. Und nach Angaben des „Aktionsbündnis beherzt Handeln“ der höchste Kostenfaktor im deutschen Gesundheitssystem.
Sport kann Risiken stark reduzieren
Die häufigste Ursache für einen Herzanfall ist die Koronare Herzkrankheit (KHK), bei der die Herzkranzgefäße arteriosklerotisch verändert sind. Umgangssprachlich ausgedrückt: Sie sind verkalkt. „Das ist eine chronische Erkrankung, die begleitet einen bis ans Lebensende“, erklärt Dillschnitter. Heißt: Die Veränderung der Gefäße lässt sich nicht rückgängig machen. Aber: Betroffene können an ihrem körperlichen Gesamtzustand arbeiten. Sie können fitter werden, leichter, gesünder. Und so das Risiko für ein weiteres kardiales Ereignis signifikant reduzieren.
Besser noch wäre natürlich, ein bewegtes Leben zu beginnen, bevor es zu einem Herzinfarkt kommt. Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes sind drei der Risikofaktoren für ein Herzereignis – und diese drei lassen sich ganz wunderbar durch Sport beeinflussen. „Bei einem Infarkt wird immer ein Teil des Herzmuskelgewebes unwiderruflich geschädigt“, sagt Predel. Es entstehen Narben, die ein Leben lang bleiben.
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Durch gezieltes und individuell abgestimmtes Training lässt sich die Herzfunktion jedoch wieder deutlich verbessern. Überflüssige Pfunde können schwinden und auch Bluthochdruck und Zuckerstoffwechsel lassen sich positiv beeinflussen. Oft sind bei mehr Bewegung weniger Medikamente nötig. Unser Herz dankt uns jedes Training. Jeder Schritt zählt. Die wichtigsten Fakten rund um das Thema Herzsport haben wir im Folgenden für Sie zusammengestellt:
Wer hat’s erfunden?
Ein Kölner. Tatsächlich. Der legendäre Sportmediziner Wildor Hollmann, in diesem Jahr im Alter von 96 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Infektion verstorben, gehörte zu jenen, die das Herztraining in den 50er Jahren auf der Ergometerbasis entwickelten und begründeten. Seither gilt Schonung nicht mehr als oberste Maxime nach einem Herzinfarkt. Im Gegenteil. 1974 entstand an der DSHS unter Hollmanns Leitung eine erste „Koronarsportgruppe“. 1978 gab es deutschlandweit rund 80 Herzsportgruppen, heute sind es etwa 9000 mit rund 180.000 Patienten, Tendenz steigend. Eine Übersicht der Herzsportangebote in Nordrhein-Westfahlen bietet der Landessportbund.
Warum tut Sport dem Herzen gut?
Wer sich regelmäßig bewegt, hat a) eine bessere Chance, abzunehmen oder sein Körpergewicht zu halten, denn es wird mehr Energie für das Sporttreiben benötigt und dadurch weniger als Körperfett abgespeichert. Und mit jedem Kilo weniger auf den Hüften sinkt der Blutdruck – und damit das Risiko für einen Herzinfarkt.
Wer sich regelmäßig bewegt, trainiert b) seinen Zuckerstoffwechsel. Der durch Bewegung immer wieder erhöhte Bedarf an Energie erhält die Funktionsfähigkeit der verschiedenen Energiebereitstellungssysteme im Körper. Sport ist quasi das Schmiermittel für den reibungslosen Ablauf unseres Stoffwechsels. Herzsportgruppenleiterin Katrin Dillschnitter formuliert es so: „Ausdauersport ist wie eine Flaschenbürste für unsere Gefäße.“ Komplett sauber bekommt er sie nicht mehr, aber eine weitere Verkalkung kann verhindert oder zumindest aufgehalten werden.
Wann bin ich zu alt für Sport?
„Es ist nie zu spät“, betont Hans-Georg Predel, „man kann immer noch viel herausholen“. Allerdings hielten sich in Deutschland sehr beharrlich „überkommene, tradierte Verhaltensmuster“. Nur ein Viertel der über 60-Jährigen bewege sich ausreichend, habe sein Institut vor einigen Jahren in einer repräsentativen Umfrage festgestellt. Ein Ergebnis, das sich bis heute mit anderen Studienergebnissen deckt. „Es ist in unserer Gesellschaft nicht verankert, dass ältere Menschen noch ordentlich aktiv sind“, sagt Predel. In Skandinavien sei das ganz anders. Von dort höre er von Kollegen immer wieder, dass diese kaum Studienteilnehmer finden, die im Alter nicht körperlich aktiv sind.
Sport ist die beste Möglichkeit des Menschen, sich ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter zu erhalten. Urlaube in den Bergen, Gartenarbeit, Einkaufen gehen, mit den Enkeln spielen – für all das braucht es einen gewissen Grad an Fitness.
Wie viel sollte ich trainieren?
Da sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sehr eindeutig. Dillschnitter fasst die Datenlage so zusammen: „Je höher das Aktivitätsniveau, desto geringer das Risiko, früher zu sterben.“ Einfach mal losrennen ist aber nicht für jeden die beste Idee. Menschen mit einer Herz-Kreislauf-Problematik und Menschen ab 50 Jahren sollten sich vor dem ersten Training einmal beim Arzt durchchecken lassen. Bei einem Belastungstest auf einem Fahrradergometer kann festgestellt werden, ob das Herz so gesund ist, dass es auch unter Belastung reibungslos funktioniert. Für die Intensität gilt dann der immer wieder gern zitierte Leitspruch: „Laufen, ohne zu schnaufen.“ Heißt: Wer sich beim Sport noch unterhalten kann, überlastet sich nicht.
Empfehlungen für eine Sport-Untergrenze gibt es von der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die lauten: Bitte nicht weniger als 150 Minuten pro Woche moderat oder nicht weniger als 75 Minuten pro Woche intensiv in Bewegung sein. Mehr ist sogar noch besser. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sagt über sportliche Aktivität: „Sie kann dem Leben mehr Jahre und den Jahren mehr Leben bringen.“
Was sollte ich trainieren?
Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination – nahezu die gesamte Bandbreite der motorischen Fähigkeiten. Vor allem die Gleichgewichtsfähigkeit im Sinne einer Sturzprophylaxe gewinnt spätestens ab dem 65. Lebensjahr immer mehr an Bedeutung. Ausdauer allein reicht also nicht? Dem Herzen schon. Dem Körper aber nicht. Denn etwa ab dem 30. Lebensjahr setzt beim Menschen der natürliche Muskelschwund ein. Von allein wird jetzt nichts mehr besser, die Kraft schwindet mehr und mehr. „Wenn man dagegen nichts unternimmt, kommt man mit 70 vielleicht nicht mehr aus dem Bett raus“, sagt Katrin Dillschnitter. Und wer bis 30 kaum Muskeln aufgebaut hat, dem schwinden die Kräfte natürlich schneller. Die gute Nachricht: Auch die Kraft lässt sich im Alter noch erstaunlich gut trainieren. Ganz klassisch an entsprechenden Geräten im Fitnessstudio. Aber auch mit Yoga oder Pilates oder am Freiluft-Kraftparcours im Wald oder im Park.
Was zahlen die Krankenkassen?
Herzsport als Rehabilitationsmaßnahme bei Erkrankungen des Herzens wird nach einer Verordnung durch einen Arzt von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Viele Kassen ermöglichen ihren Versicherten auch die kostenlose Teilnahme an bestimmten, zertifizierten Präventionskursen. „Da sind wir in Deutschland schon ganz gut aufgestellt“, sagt Mediziner Predel. Trotzdem wünscht er sich noch mehr Werbung für regelmäßigen Sport und Bewegung: „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von den Kindergärten und Grundschulen bis hin zu Präventionskursen für Ältere.“ Barrieren müssten abgebaut und Vorbehalte entkräftet werden. Sport ist die beste Herz-Medizin. Aber vor allem ist Sport: Spaß, Geselligkeit, Leben.